"Bei der Etikette zeigen die Österreicher all ihre Leidenschaften", konstatierte die englische Lady Wortley Montagu einst. Das war im 18. Jahrhundert, zu Hochzeiten der Donaumonarchie. Und heute? Ein "Küss die Hand, gnäd'ge Frau" gehört in Wien noch zum guten Ton, aber unter dem Regelkorsett brodelt es.
"Ihr könntet's ein bisschen weniger g'schissn sein", findet Autor Markus Lust mit Blick auf seine grantelnden österreichischen Landsleute. Und Roman Svabek, Zeremonienmeister des Wiener Opernballs, fürchtet gar: "Wir haben die Etikette verloren".
Klar, auch heute nimmt der Kellner die Bestellung in der dritten Person entgegen, ein "Küss die Hand, gnäd'ge Frau" gehört in Wien zum guten Ton. Aber unter dem strengen Regelkorsett brodelt es: Rechtsradikale in Nadelstreifen, Feministinnen im Vollwichs, Punkrocker in Bundfaltenhose.
Die "Gesichter Europas" machen sich auf die Suche nach der österreichischen Etikette und fragen, was das 2018 eigentlich noch sein soll.
Im Walzertakt Manieren lernen Wenn Apotheker, Juristen und Psychologen Walzer tanzen, ist Ballsaison in Wien. Höhepunkt: der Wiener Opernball. An der Zahl der Festlichkeiten kann es also nicht liegen, dass Tanzlehrer Roman E. Svabek den Verlust der Etikette befürchtet.
"Küss die Hand" heißt "Du kannst mich mal" Das elitäre Gehabe, die Kleiderordnung, die verklausulierte Sprache in Österreich: Buchautor Markus Lust kann mit all dem wenig anfangen. Dieses Theatralische sei typisch für sein Land, glaubt er. Seit dem Ende der Monarchie habe Österreich einen Minderwertigkeitskomplex.
Das Geschäft mit dem Glanz alter Zeiten Schloss Schönbrunn und die Hofburg gehören zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten in Wien. Dafür gibt es drei Gründe, glaubt Karl Hohenlohe: Sissi I, II und III. Auch wenn die Monarchie überholt sei, ist dem Kommentator des Opernballs die Etikette wichtig.
Wer dazugehört – und wer nicht Zum informellen Plausch treffen sich Politiker im Café Landtmann. Für die Journalistin Corinna Milborn ist das Kaffeehaus nicht nur geographisch der Hofburg nah. Der Kaiserhof sei in Wien noch immer so präsent, dass es sich auf die politischen Beziehungen auswirke.
"Nicht analysieren, bis man deppert wird" Lotte Tobisch gilt als Inbegriff der "Wiener Salondame". Auf den Fotos in ihrer Wohnung: Prinz Philipp, Theodor Adorno, der Papst. 15 Jahre hat die Schauspielerin den Wiener Opernball organisiert. Heute sagt die Über-90-Jährige: Haben Sie mich gern mit Ihrer Etikette.