Archiv


EU-Abgeordneter: Gemeinsame Währung braucht gemeinsame Regeln

Das Europaparlament hat einer Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes zugestimmt. Nach Auffassung von Sven Giegold bleiben allerdings "Schlupflöcher" für Defizitsünder. Dennoch gebe es einen Durchbruch, da Regeln "für wirtschaftliche Ungleichgewichte in der Euro-Zone" vereinbart worden seien.

Sven Giegold im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Angekündigt wurde sein Auftritt als "State of the Union", als "Rede zur Lage der Europäischen Union", der Auftritt von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso heute Vormittag vor dem Europäischen Parlament. Ganz im Zeichen der für die Gemeinschaft existenziellen Euro- und Schuldenkrise stand denn auch seine Rede.
    Über die EU in der Schuldenkrise wollen wir sprechen mit dem Grünen-Europaabgeordneten und Wirtschaftswissenschaftler Sven Giegold. Guten Tag, Herr Giegold.

    Sven Giegold: Guten Tag, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Schon bei Attac haben Sie sich für eine Transaktionssteuer eingesetzt, eine Steuer auf den Handel mit Wertpapieren also. Diese soll nun kommen, sagt Kommissionspräsident Barroso, bei einem Steuersatz von 0,1 Prozent. Reicht das, Herr Giegold?

    Giegold: Also erst mal ist das ein großer Erfolg, dass jetzt erstmals ein Schritt gemacht wird, die Krisenlasten fair zu verteilen. Das ist wirklich dringend notwendig und ich glaube, das erwarten auch viele Bürgerinnen und Bürger. Jetzt sind die Mitgliedsländer dran, das auch wirklich umzusetzen.

    Dobovisek: Aber das heißt, wenn London, die das ja bisher eher kritisch gesehen haben, am Ende diese Transaktionssteuer nicht mitmachen wird, wird sie dann im Endeffekt scheitern?

    Giegold: Das glaube ich nicht, sondern London hat ja schon eine Finanztransaktionssteuer, wenn auch eine sehr begrenzte, und diese Transaktionssteuer, die kann jetzt praktisch europäisiert werden und vertieft werden. Und wenn wir mehr von diesem Geld in Armutsbekämpfung und Klimaschutz stecken, so wie das die Kirchen und viele soziale Bewegungen gefordert haben, dann haben wir auch eine gute Chance, dass weltweit viele Staaten sich daran beteiligen, so dass eine große Koalition für die Transaktionssteuer erfolgreich wird.

    Dobovisek: Ist das nicht ein Hirngespinst, wenn wir uns die Haltung zum Beispiel auch der USA angucken, oder anderer Länder wie China?

    Giegold: Diese ganze Steuer – ich bin schon so oft darauf angesprochen worden, das sei ein Hirngespinst, das sei nicht möglich, das würde nie kommen. Nach über zehn Jahren Arbeit für diese Steuer, unter anderem auch von Attac, ist das jetzt kurz vor der Verwirklichung. Also das Wort Hirngespinst in dem Zusammenhang akzeptiere ich nicht mehr. Auch die Amerikaner werden ihrer Bevölkerung erklären müssen, wer zahlt für diese Krise. Die Briten genauso werden ihrer Bevölkerung erklären müssen, wer zahlt für diese Krise. Und ich glaube, letztlich wird das jeder Regierung schwerfallen, gegen eine wachsende Koalition von Ländern, die das umsetzen, nein zu sagen.

    Dobovisek: Das Europäische Parlament, damit Sie auch haben vor wenigen Minuten das sogenannte Sixpack angenommen. Der Euro-Stabilitätspakt soll damit verschärft werden. Wird es nun einen wirklichen Automatismus im Verfahren gegen Defizitsünder geben, oder bleiben da noch Schlupflöcher offen?

    Giegold: Da bleiben Schlupflöcher, weil das im Vertrag anders steht, und das haben wir an vielen Stellen derzeit, dass die notwendige Demokratisierung und Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeitsregeln nicht möglich ist, weil es im Vertrag anders geregelt wurde. Im übrigen sage ich mal, der eigentliche Durchbruch heute war, dass es jetzt auch Regeln gibt für wirtschaftliche Ungleichgewichte in der Euro-Zone, die uns ja in die Krise geführt haben. Das waren ja Immobilienpreisblasen in Irland, in Spanien, und auch die deutschen großen Exportüberschüsse werden jetzt in den Blick der wirtschaftlichen Überwachung kommen, und da ist ein ausgeglichenes Vorgehen wichtig.

    Dobovisek: Ist das ein Ausbau der Transferunion?

    Giegold: Mit Transfers hat das jetzt erst mal überhaupt nichts zu tun, sondern es geht einfach darum: Wenn man eine gemeinsame Währung hat, dann braucht man gemeinsame Regeln. Wenn man keine gemeinsamen Regeln hat, oder sich an die nicht hält, dann wird man am Schluss gemeinsam dafür bezahlen. Insofern sind diese gemeinsamen Regeln eine Voraussetzung dafür, dass wir eben nicht mehr in Haftung genommen werden für private Akteure, die Risiken eingegangen sind, oder Staaten, die sich überschuldet haben.

    Dobovisek: Ist das nur ein Schritt in die richtige Richtung, wie Sie sagen, oder ist das wirklich umfassend?

    Giegold: Ich möchte das wirklich nicht schönreden. Wir haben hier einen Schritt gemacht im Bereich der Reduktion der Defizite. Es ist richtig, dass wir dort jetzt schärfer vorangehen. Wir haben allerdings immer scharf kritisiert, dass dabei zum Beispiel die Frage, wer trägt dann die Lasten bei der Defizitreduktion, in keinster Weise in den Griff bekommen wurde. Wir sehen ja jetzt gerade, dass das nicht funktioniert, in Griechenland, in Portugal. Also einfach nur einzusparen auf Kosten der Schwächsten, ohne Investitionen in die Zukunft, führt wirtschaftlich in große Probleme. Deshalb stehen wir diesem Teil des Pakets auch kritisch gegenüber und wir sind hier keineswegs am Ende. Dadurch ist auch nicht der Euro gerettet, sondern es wird weitere Maßnahmen brauchen, um aus dieser Krise herauszukommen.

    Dobovisek: Welche?

    Giegold: Ich glaube, das wichtigste ist, dass wir auch auf der Einnahmenseite etwas tun müssen. Die Staaten haben ja überall Defizite. Europa macht sich zwischen den Staaten Konkurrenz um das, sage ich mal, sogenannte wettbewerbsfähigste Steuersystem. Das Ergebnis ist, hohe Vermögen, Kapitaleinkommen werden immer schwerer besteuert, und auf die Weise kommt kein Land da heraus, mit einem fairen Steuersystem seine Einnahmen zu decken, und da müssen jetzt endlich auch Maßnahmen folgen. Es ist immer leicht, hier mit den Konservativen, Liberalen sich zu einigen, wenn es darum geht, Schulden zu reduzieren; es ist viel, viel schwieriger, sich mit denen darauf zu einigen, dass wir faire Steuern erheben.

    Dobovisek: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ja die Zukunft der Europäischen Union an die Zukunft des Euros geknüpft. Morgen wird der Bundestag über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms abstimmen. Was, Herr Giegold, sollte der Euro tatsächlich scheitern?

    Giegold: Diese Vorstellung möchte ich mir gar nicht machen. Das ist gerade für Deutschland, aber für uns alle in Europa so teuer, das darf nicht passieren, das wird nicht passieren. Aber das Entscheidende ist: das können wir nur dann verhindern, wenn es jetzt eine entschiedene und gleichzeitig solidarische Politik in Europa gibt. Und das bedeutet: alle Länder müssen ihre Hausaufgaben machen. Die Steueroasen müssen anfangen, Steuern zu erheben, die Länder, die sich überschulden, müssen ihre Haushalte ausgleichen, Länder, die exportieren ohne Ende und ihren Arbeitnehmern keine fairen Löhne zahlen, wie das bei uns derzeit der Fall ist, müssen Mindestlöhne einführen, ihre Nachfrage steigern, und wir brauchen Regeln für die Banken, und da sind einige Länder auch im Weg in Europa. Wenn jeder seine nationalen ökonomischen Privilegien zurückstellt, dann haben wir eine Chance, den Euro zu stabilisieren und gestärkt aus der Krise herauszukommen.

    Dobovisek: Wird Deutschland dafür bereit sein, die eigenen Nationalinteressen zurückzustellen?

    Giegold: Das sind unsere tiefsten nationalen Interessen. Die weitere Integration Europas ist die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt Werte wie Menschenrechte, Demokratie und sozialen Ausgleich, dass wir das in Zukunft vertreten können. Und den Euro aufzugeben, wäre, sage ich mal, so teuer für Deutschland, viel, viel teurer als die bisherigen Rettungsmaßnahmen, das möchte ich mir gar nicht ausmalen. Insofern geht es da nicht um unsere nationalen Interessen.
    Eines hat sich noch gezeigt: Es ist viel klüger, statt sozusagen andere Länder in Defizite zu treiben und ihnen Geld zu leihen, um unsere Exportprodukte zu bezahlen, wir wären viel klüger gewesen, wenn wir das in die Zukunft investiert hätten oder in faire Löhne, dann müssten wir jetzt nicht so viel Angst haben, dass wir das Geld auch wieder zurückbekommen.

    Dobovisek: Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. Vielen Dank für das Gespräch.

    Giegold: Danke!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.