Tobias Armbrüster: Können Sparprogramme allein die Schuldenkrise in Europa lösen? Die Frage stellen sich viele Politiker, und das schon seit Jahren. Sie beobachten mit Sorge, dass die Regierungen innerhalb der EU zwar jede Menge tun, um ihre Haushaltsdefizite unter Kontrolle zu kriegen, aber die Folge sind eben auch steigende Arbeitslosigkeit und massenweise Unternehmenspleiten, weil eben öffentliche Aufträge wegbleiben. Die EU-Kommission will nun heute ein Papier vorstellen, in dem die Mitgliedsländer zu konkreten Konjunkturhilfen aufgefordert werden.
Am Telefon ist jetzt der Grünen-Europaabgeordnete und Finanzpolitiker Sven Giegold. Schönen guten Morgen.
Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Giegold, ist das heute auch ein Fingerzeig in Richtung deutscher Bundesregierung, nach dem Motto, Sparen allein ist noch keine Tugend?
Giegold: Auf jeden Fall. Es ist dringend notwendig, dass jetzt das Balancieren der EU-Maßnahmen endlich anfängt. Das bedeutet, wir haben bisher europäisch vor allem koordiniert, dass gespart wird. Es muss auch gespart werden, ich möchte das ganz deutlich sagen. Aber Investitionssignale fehlen und das Ergebnis ist ja fatal. Derzeit ziehen sich die Ökonomien der südlichen Mitgliedsländer immer weiter in die Krise und eine richtig verlorene Generation von Jugendlichen wächst dort heran. Es muss dringend gehandelt werden.
Armbrüster: Aber die Reihenfolge der Bundesregierung, die war doch sicher richtig: Erst sparen und dann erst über Investitionen reden?
Giegold: Ehrlich gesagt, die Reihenfolge zeigt sich jetzt an 50 Prozent Arbeitslosigkeit von Jugendlichen in Spanien, von 50 Prozent in Griechenland, und es ist jetzt auch nicht mehr die entscheidende Frage, ob die Reihenfolge richtig war oder nicht. Tatsache ist, dass wir vor dem Auseinanderbrechen im Geiste vor allem, aber auch ökonomisch der Euro-Zone nach wie vor stehen. Ein Teil der Länder kommt mit den jetzigen einseitigen Maßnahmen nicht klar und wir brauchen dringend das Ausbalancieren der Maßnahmen. Die Liste der Möglichkeiten ist bekannt, Deutschland müsste seine Löhne erhöhen, das sagt die EU-Kommission auch in der Kommunikation im Entwurf. Ich bin gespannt, ob das jetzt auch entschieden weitergeht, ob auch die Bundesregierung bereit ist, endlich über Mindestlöhne in Deutschland zum Beispiel zu sprechen, damit die Nachfrage in den stärkeren Ländern gegenüber den schwächeren anwächst und die mehr Luft zum Atmen bekommen.
Armbrüster: Wenn die EU-Kommission jetzt dafür sorgen will, dass europaweit der Konjunkturmotor sozusagen angeworfen wird, müssen sich dann auch die Deutschen darauf einstellen, dass sie mehr an die EU zahlen müssen?
Giegold: Der Kommunikationsentwurf der Kommission sieht das bisher überhaupt nicht vor. Das ist auch das Grundproblem der Maßnahmen, die derzeit diskutiert werden. Die EU-Kommission hat selbst ja wenig Geld, also auch wir als Europäisches Parlament verfügen ja nur über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während die nationalen Haushalte etwa das 40fache hergeben, und das bedeutet, dass entscheidend ist, wo man überhaupt die notwendigen Mittel generieren kann. Und absolut zentral dafür ist, dass die Europäische Investitionsbank in die Lage versetzt wird, mehr Kredite zu vergeben. Im Moment, aufgrund der internationalen Bankenregulierung, muss die Investitionsbank ihre Kredite zurückfahren. Dabei wäre das der beste Hebel, um gerade auch ökologische Investitionen wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz im Süden Europas voranzubringen und damit Arbeitsplätze zu schaffen.
Armbrüster: Das heißt, Deutschland sollte seine Überweisungen in Richtung Brüssel erhöhen?
Giegold: Es geht nicht um Überweisungen in den EU-Haushalt; es geht darum, dass man das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank stärkt. Da handelt es sich nicht um Transferleistungen, sondern da geht es darum, private Investitionen in den Ländern auszulösen, wo derzeit aufgrund der Krise niemand mehr investieren will.
Armbrüster: Lassen Sie uns kurz über die Vorschläge sprechen, die da heute auf den Tisch kommen. Diese Vorschläge, die klingen ja zumindest zum Teil wie von der deutschen Bundesregierung gemacht. Da ist von Arbeitsmarktreformen die Rede und von Investitionen in klimafreundliche Energien. Ist es richtig, dass es da viel Übereinstimmung gibt?
Giegold: Erst mal muss man sagen, dass in der Kommunikation sehr viel Richtiges steht und dass der Widerspruch hier eigentlich gering ist. Der Punkt ist: Gut ist, dass die Kommission die richtigen Sektoren auswählt, grüne Wirtschaft, dann außerdem Gesundheit und Pflege und die neuen Kommunikationstechnologien, und sie schlägt auch Maßnahmen vor, mit denen man daran etwas ändern kann. Das Grundproblem ist: Europa hat bei den zentralen Fragen der Beschäftigungspolitik, um die es da vor allem geht, wenig Einfluss. Die Löhne werden national gesetzt und auch die Grundregeln zum Beispiel des Abgabensystems sind nicht europäisch, sondern nach wie vor national. Im ganzen Bereich der Steuerpolitik bleiben wir in Europa bei Appellen, das gilt sowohl gegenüber den Steueroasen, aber auch bei der hohen Abgabenbelastung gerade niedriger Einkommen, wie wir sie auch in Deutschland haben, aber auch in vielen anderen Ländern.
Armbrüster: Das heißt, will die EU-Kommission hier heute auch ihre Kompetenzen erweitern?
Giegold: Nein! Die EU-Kommission drängt die Mitgliedsländer, in dieser Krise endlich das Vernünftige zu tun, und im Grundsatz steht das schon im sogenannten europäischen Semester, mit dem derzeit jährlich die Haushalte der Mitgliedsländer darauf abgeprüft werden, ob das im Einklang mit den europäisch gemeinsam beschlossenen Zielen steht – etwa der Beschäftigungsförderung -, und nach wie vor ist es so, dass die Mitgliedsländer die notwendigen Reformen verweigern. Nehmen wir mal das Beispiel Deutschland. Im Rahmen des europäischen Semesters wird genau das gleiche gefordert, was heute beschlossen wird, nämlich dass die Abgabenlast für die Niedrigverdiener sinkt und gleichzeitig solche Privilegien wie etwa bei uns das Ehegattensplitting eingeschränkt wird. Deutschland hatte diese Maßnahmen von der EU-Kommission empfohlen, der Europäische Rat hat diese Empfehlungen beschlossen, und die Bundesregierung ignoriert die Umsetzung dieser Maßnahmen, und das ist genau das Problem, vor dem wir stehen. Es geht nicht darum, dass Europa jetzt weiter das Füllhorn ausschüttet, sondern es geht darum, dass die Maßnahmen, die europäisch koordiniert werden, dass die tatsächlich von den Mitgliedsländern umgesetzt werden, und da geht Deutschland leider genau wie viele andere Mitgliedsländer derzeit nicht mit gutem Beispiel voran.
Armbrüster: Aber die EU-Kommission redet hier heute über zwei Themenfelder, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik, die eigentlich nicht zu ihrem Portfolio gehören.
Giegold: Genau, und deshalb koordinieren wir ja auch die Maßnahmen europäisch. Es geht nicht darum, dass jetzt Europa die Arbeitsmarktpolitik und die Sozialpolitik in den Mitgliedsländern ins Detail reguliert, das plant überhaupt niemand. Es geht darum, dass die besten Erfahrungen, die wir in den Mitgliedsländern haben, wie zum Beispiel in Dänemark, wie zum Beispiel in Schweden und anderen, dass wir die in den anderen Ländern umsetzen, und da kann man sehr viel voneinander lernen und Deutschland könnte zum Beispiel lernen, dass man eben auf diese hohen Sozialabgaben bei Niedrigstverdienern verzichtet und eher eine Bürgerversicherung einführt, oder eben, dass man auf solche Privilegien wie das Ehegattensplitting, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt heraushalten, verzichtet. Ganz ähnlich gibt es das in anderen Mitgliedsländern und die Empfehlungen bleiben hohl, weil sie nämlich jedes Jahr beschlossen werden, aber dann national nicht umgesetzt werden, selbst in einer solch akuten Krise wie heute, und deshalb wünsche ich der EU-Kommission viel Erfolg mit ihren Vorschlägen.
Armbrüster: So weit der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold zu den Konjunktur- und Wachstumsplänen der Europäischen Kommission, die Pläne sollen heute in Straßburg vorgestellt werden, und dieses Interview haben wir aus Termingründen vor etwa 20 Minuten aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon ist jetzt der Grünen-Europaabgeordnete und Finanzpolitiker Sven Giegold. Schönen guten Morgen.
Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Giegold, ist das heute auch ein Fingerzeig in Richtung deutscher Bundesregierung, nach dem Motto, Sparen allein ist noch keine Tugend?
Giegold: Auf jeden Fall. Es ist dringend notwendig, dass jetzt das Balancieren der EU-Maßnahmen endlich anfängt. Das bedeutet, wir haben bisher europäisch vor allem koordiniert, dass gespart wird. Es muss auch gespart werden, ich möchte das ganz deutlich sagen. Aber Investitionssignale fehlen und das Ergebnis ist ja fatal. Derzeit ziehen sich die Ökonomien der südlichen Mitgliedsländer immer weiter in die Krise und eine richtig verlorene Generation von Jugendlichen wächst dort heran. Es muss dringend gehandelt werden.
Armbrüster: Aber die Reihenfolge der Bundesregierung, die war doch sicher richtig: Erst sparen und dann erst über Investitionen reden?
Giegold: Ehrlich gesagt, die Reihenfolge zeigt sich jetzt an 50 Prozent Arbeitslosigkeit von Jugendlichen in Spanien, von 50 Prozent in Griechenland, und es ist jetzt auch nicht mehr die entscheidende Frage, ob die Reihenfolge richtig war oder nicht. Tatsache ist, dass wir vor dem Auseinanderbrechen im Geiste vor allem, aber auch ökonomisch der Euro-Zone nach wie vor stehen. Ein Teil der Länder kommt mit den jetzigen einseitigen Maßnahmen nicht klar und wir brauchen dringend das Ausbalancieren der Maßnahmen. Die Liste der Möglichkeiten ist bekannt, Deutschland müsste seine Löhne erhöhen, das sagt die EU-Kommission auch in der Kommunikation im Entwurf. Ich bin gespannt, ob das jetzt auch entschieden weitergeht, ob auch die Bundesregierung bereit ist, endlich über Mindestlöhne in Deutschland zum Beispiel zu sprechen, damit die Nachfrage in den stärkeren Ländern gegenüber den schwächeren anwächst und die mehr Luft zum Atmen bekommen.
Armbrüster: Wenn die EU-Kommission jetzt dafür sorgen will, dass europaweit der Konjunkturmotor sozusagen angeworfen wird, müssen sich dann auch die Deutschen darauf einstellen, dass sie mehr an die EU zahlen müssen?
Giegold: Der Kommunikationsentwurf der Kommission sieht das bisher überhaupt nicht vor. Das ist auch das Grundproblem der Maßnahmen, die derzeit diskutiert werden. Die EU-Kommission hat selbst ja wenig Geld, also auch wir als Europäisches Parlament verfügen ja nur über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während die nationalen Haushalte etwa das 40fache hergeben, und das bedeutet, dass entscheidend ist, wo man überhaupt die notwendigen Mittel generieren kann. Und absolut zentral dafür ist, dass die Europäische Investitionsbank in die Lage versetzt wird, mehr Kredite zu vergeben. Im Moment, aufgrund der internationalen Bankenregulierung, muss die Investitionsbank ihre Kredite zurückfahren. Dabei wäre das der beste Hebel, um gerade auch ökologische Investitionen wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz im Süden Europas voranzubringen und damit Arbeitsplätze zu schaffen.
Armbrüster: Das heißt, Deutschland sollte seine Überweisungen in Richtung Brüssel erhöhen?
Giegold: Es geht nicht um Überweisungen in den EU-Haushalt; es geht darum, dass man das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank stärkt. Da handelt es sich nicht um Transferleistungen, sondern da geht es darum, private Investitionen in den Ländern auszulösen, wo derzeit aufgrund der Krise niemand mehr investieren will.
Armbrüster: Lassen Sie uns kurz über die Vorschläge sprechen, die da heute auf den Tisch kommen. Diese Vorschläge, die klingen ja zumindest zum Teil wie von der deutschen Bundesregierung gemacht. Da ist von Arbeitsmarktreformen die Rede und von Investitionen in klimafreundliche Energien. Ist es richtig, dass es da viel Übereinstimmung gibt?
Giegold: Erst mal muss man sagen, dass in der Kommunikation sehr viel Richtiges steht und dass der Widerspruch hier eigentlich gering ist. Der Punkt ist: Gut ist, dass die Kommission die richtigen Sektoren auswählt, grüne Wirtschaft, dann außerdem Gesundheit und Pflege und die neuen Kommunikationstechnologien, und sie schlägt auch Maßnahmen vor, mit denen man daran etwas ändern kann. Das Grundproblem ist: Europa hat bei den zentralen Fragen der Beschäftigungspolitik, um die es da vor allem geht, wenig Einfluss. Die Löhne werden national gesetzt und auch die Grundregeln zum Beispiel des Abgabensystems sind nicht europäisch, sondern nach wie vor national. Im ganzen Bereich der Steuerpolitik bleiben wir in Europa bei Appellen, das gilt sowohl gegenüber den Steueroasen, aber auch bei der hohen Abgabenbelastung gerade niedriger Einkommen, wie wir sie auch in Deutschland haben, aber auch in vielen anderen Ländern.
Armbrüster: Das heißt, will die EU-Kommission hier heute auch ihre Kompetenzen erweitern?
Giegold: Nein! Die EU-Kommission drängt die Mitgliedsländer, in dieser Krise endlich das Vernünftige zu tun, und im Grundsatz steht das schon im sogenannten europäischen Semester, mit dem derzeit jährlich die Haushalte der Mitgliedsländer darauf abgeprüft werden, ob das im Einklang mit den europäisch gemeinsam beschlossenen Zielen steht – etwa der Beschäftigungsförderung -, und nach wie vor ist es so, dass die Mitgliedsländer die notwendigen Reformen verweigern. Nehmen wir mal das Beispiel Deutschland. Im Rahmen des europäischen Semesters wird genau das gleiche gefordert, was heute beschlossen wird, nämlich dass die Abgabenlast für die Niedrigverdiener sinkt und gleichzeitig solche Privilegien wie etwa bei uns das Ehegattensplitting eingeschränkt wird. Deutschland hatte diese Maßnahmen von der EU-Kommission empfohlen, der Europäische Rat hat diese Empfehlungen beschlossen, und die Bundesregierung ignoriert die Umsetzung dieser Maßnahmen, und das ist genau das Problem, vor dem wir stehen. Es geht nicht darum, dass Europa jetzt weiter das Füllhorn ausschüttet, sondern es geht darum, dass die Maßnahmen, die europäisch koordiniert werden, dass die tatsächlich von den Mitgliedsländern umgesetzt werden, und da geht Deutschland leider genau wie viele andere Mitgliedsländer derzeit nicht mit gutem Beispiel voran.
Armbrüster: Aber die EU-Kommission redet hier heute über zwei Themenfelder, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik, die eigentlich nicht zu ihrem Portfolio gehören.
Giegold: Genau, und deshalb koordinieren wir ja auch die Maßnahmen europäisch. Es geht nicht darum, dass jetzt Europa die Arbeitsmarktpolitik und die Sozialpolitik in den Mitgliedsländern ins Detail reguliert, das plant überhaupt niemand. Es geht darum, dass die besten Erfahrungen, die wir in den Mitgliedsländern haben, wie zum Beispiel in Dänemark, wie zum Beispiel in Schweden und anderen, dass wir die in den anderen Ländern umsetzen, und da kann man sehr viel voneinander lernen und Deutschland könnte zum Beispiel lernen, dass man eben auf diese hohen Sozialabgaben bei Niedrigstverdienern verzichtet und eher eine Bürgerversicherung einführt, oder eben, dass man auf solche Privilegien wie das Ehegattensplitting, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt heraushalten, verzichtet. Ganz ähnlich gibt es das in anderen Mitgliedsländern und die Empfehlungen bleiben hohl, weil sie nämlich jedes Jahr beschlossen werden, aber dann national nicht umgesetzt werden, selbst in einer solch akuten Krise wie heute, und deshalb wünsche ich der EU-Kommission viel Erfolg mit ihren Vorschlägen.
Armbrüster: So weit der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold zu den Konjunktur- und Wachstumsplänen der Europäischen Kommission, die Pläne sollen heute in Straßburg vorgestellt werden, und dieses Interview haben wir aus Termingründen vor etwa 20 Minuten aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.