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EU-Abkommen mit der Türkei
"Ein schwieriger Partner, den wir brauchen"

An einem Abkommen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise hätten sowohl die EU als auch die Türkei ein Interesse, sagte der EU-Experte Janis Emmanouilidis vom European Policy Center im DLF. Die türkische Regierung und ihr Präsident sei zwar ein schwieriger Partner, aber sie sei ein Partner, der für eine Lösung gebraucht werde.

Janis Emmanouilidis im Gespräch mit Doris Simon |
    Der griechische Ministerpräsident Tsipras zu Gast beim türkischen Regierungschef Davutoglu in Izmir. Beide Politiker geben sich die Hand.
    Der griechische Ministerpräsident Tsipras zu Gast beim türkischen Regierungschef Davutoglu in Izmir. (Sedat Suna - picture alliance / dpa)
    Doris Simon: Zwischenzeitlich klang es nicht nach Eintracht, aber gestern Nacht haben sich die 28 Staats- und Regierungschefs in Brüssel dann doch auf Verhandlungen mit der Türkei über ein Flüchtlingsabkommen geeinigt. Irregulär eingereiste Flüchtlinge sollen aus Griechenland, so der Plan, zurück in die Türkei gebracht werden. Die EU nimmt im Gegenzug Kontingente syrischer Flüchtlinge auf. Diesen Vorschlag haben heute Morgen der EU-Ratspräsident, der niederländische Premier und der Kommissionspräsident dem türkischen Premierminister Ahmed Davutoglu präsentiert. Die Beratungen wurden aber kurz nach elf Uhr in Brüssel unterbrochen.
    Mitgehört hat Janis Emmanouilidis. Er ist EU-Experte beim European Policy Centre. Guten Tag, Herr Emmanouilidis.
    Janis Emmanouilidis: Guten Tag.
    Simon: Wir haben ja gerade von unserer Korrespondentin gehört, woran es haken könnte, denn wie gesagt, es gibt da kein Kommuniqué und natürlich aktuell auch keine Aussagen. Wie schwierig wird es denn Ihrer Meinung nach, eine Einigung zu finden?
    Die Umsetzung "wird sicherlich mindestens genauso schwierig"
    Emmanouilidis: Es ist sicherlich nicht einfach. Es war auch nicht einfach, unter den 28 eine Einigung zu finden. Das hat man geschafft. Nun muss man die Einigung mit dem türkischen Premierminister finden, mit der türkischen Regierung finden. Ich glaube aber, dass man am Ende des Tages in der Lage sein wird, einen Kompromiss zu finden, Kompromisslösungen zu den einzelnen, noch schwierigen Aspekten gemeinsam schustern zu können, um am Ende sagen zu können, ja, wir haben einen Deal, ja, wir haben eine Verabredung. Aber dann wird es natürlich darum gehen, die auch umzusetzen, und das wird sicherlich mindestens genauso schwierig.
    Simon: Sie sagen, Sie glauben daran, dass das klappt. Dass die Türkei ein Interesse an dieser Regelung hat, ist absehbar. Aber bei den Europäern war das ja gestern Abend noch lange nicht so klar, dass man sich einigen würde. Ist denn deren Einheit belastbar?
    Emmanouilidis: Ja. Ich glaube, dass beide Seiten, sowohl die türkische wie auch die EU-Seite - und damit meine ich alle 28 -, ein Interesse haben, dass es nun zu einem Ergebnis kommt. Denn das Element, dieser Türkei-Deal ist ein zentrales Element in dem Gesamtansatz, in einem sehr komplexen Puzzle, vor allem das zu erzielen, was nun ganz oben auf der Liste steht, nämlich eine Reduktion der Zahlen derer, die sich auf den Weg machen, illegal in die Europäische Union nach Griechenland zu kommen, und das ist im Interesse aller EU-Mitgliedsstaaten. Natürlich haben bestimmte Mitgliedsstaaten besondere Interessen, aber ich glaube, dass alle es wollen, und von daher gehe ich auch davon aus, dass es zu dieser Einigung kommen wird.
    Simon: Sie sprachen gerade die Umsetzung an, die mindestens so schwierig, wenn nicht noch schwieriger wird, als jetzt hier eine Einigung in Brüssel zu erzielen. Wenn wir darauf schauen, auf den Aspekt Rückführungen, die vereinbar sind mit internationalem Recht, da haben ja viele vorher Zweifel gehabt. Der UNO-Generalsekretär hat ja auch noch mal heute gewarnt. Sehen Sie eine Möglichkeit, das wirklich gerichtsfest hinzubekommen?
    "Griechenland muss sich entsprechend darauf vorbereiten"
    Emmanouilidis: Ja. Ich glaube, dass es diese Möglichkeit gibt. Aber das setzt natürlich einiges voraus. Das setzt zum einen voraus, dass man in Griechenland in der Lage sein wird, seine Kapazitäten entsprechend zu stärken, um zu garantieren, dass jeder Asylsuchende ein individuelles Verfahren genießt, auch in der Lage ist, falls sein Antrag abgelehnt wird, auch dagegen Revision einzulegen. Dass das alles in einer sehr kurzen Zeit auch noch geschehen muss, macht es nicht einfacher, aber vor allem geht es darum, dass Griechenland hier sich entsprechend darauf vorbereiten kann. Auf der anderen Seite geht es natürlich auch darum, dass die Türkei die Situation in ihrem Land verbessert hinsichtlich der Frage von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Von daher muss auf beiden Seiten einiges getan werden. Aber ich glaube, dass man, wenn man davon ausgeht, dass beide Seiten auch ein Interesse haben, das zu tun, dass es dann auch rechtlich möglich sein wird, das wasserdicht zu gestalten.
    Simon: Herr Emmanouilidis, wir erleben Griechenland aber seit langem als ein in ganz vielfacher Hinsicht überfordertes Land. Nun wurden jetzt auf dem Gipfel keine Zahlen genannt, bewusst auch keine Daten, wann es denn so weit sein sollte, falls es zu dem Abkommen kommt. Nur es ist schwer vorstellbar, dass Griechenland das bis dahin schafft, selbst wenn die anderen Länder helfen, oder?
    Emmanouilidis: Es ist sehr schwierig. Ich glaube aber dennoch, dass es machbar ist. Und wenn man es aus der Perspektive der aktuellen griechischen Regierung oder insgesamt Griechenlands betrachtet, was ist denn die Alternative? Die Alternative wäre, dass der Zustrom von Flüchtlingen, von Migranten weiterhin anhält, dass die Grenzen aber in Richtung Balkan-Route weiterhin geschlossen bleiben und somit Griechenland noch weiter überfüllt wird mit Personen, die eigentlich gar nicht nach Griechenland kommen wollen, sondern durch Griechenland in Richtung Zentraleuropa sich bewegen möchten, dass Griechenland also zu einem Land wird, zu im Grunde genommen einem Auffangbecken für all diese Menschen, und das will Griechenland natürlich auch verhindern. Von daher ist der Druck auf das Land und auf die Regierung immens groß. Und es gibt auch einen politischen Druck auf die aktuelle Regierung von Herrn Tsipras, der bei diesem Problem natürlich stark unter Druck steht und auch unter politischem Druck, und er muss hier zeigen können, dass er Ergebnisse erzielt. Von daher glaube ich, dass der Druck so hoch sein wird, dass auch entsprechend gehandelt wird auf griechischer Seite.
    Simon: Herr Emmanouilidis, Sie sprachen auch die Türkei an, Stichwort sicherer Drittstaat. Der türkische Präsident Erdogan hat ja heute von Ankara aus noch mal der EU Sympathien mit der PKK vorgeworfen in einer längeren Tirade. Ist das sozusagen noch mal ein Menetekel, mit wem die EU da ins Boot geht und welches Land sie als sicheren Drittstaat erklären will?
    "Das heißt aber noch lange nicht, dass das Problem gelöst ist"
    Emmanouilidis: Wir wissen, dass die Türkei und die aktuelle Regierung der Türkei inklusive ihres Präsidenten ein schwieriger Partner ist. Aber auf der anderen Seite ist es auch ein Partner, den wir benötigen, den wir brauchen in einer Lösung, in einer Lösung, die auch dazu führt, dass die Zahl derjenigen, die nach Europa kommen, nachhaltig reduziert wird. Von daher ja, es ist schwierig, mit der Türkei umzugehen, aber gleichzeitig benötigen wir sie, und ich glaube auch, dass es auf der anderen Seite so ist, dass die Türkei in einer sehr schwierigen Situation sich selbst befindet, wenn man das geopolitische Umfeld ansieht, dass die Verbindungen zur EU erheblich sind, auch die ökonomischen Interdependenzen, so dass auch von türkischer Seite es ein Interesse gibt, hier zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Die Frage ist dann natürlich, inwieweit wird sie umgesetzt, wie schnell wird sie umgesetzt und wie kraftvoll wird sie umgesetzt, aber das können wir momentan natürlich nicht absehen.
    Simon: Gehen Sie von einer Einigung heute in Brüssel aus?
    Emmanouilidis: Ja. Ich gehe davon aus, dass es eine Einigung geben wird. Das heißt aber noch lange nicht, dass damit das Problem gelöst ist. Das Flüchtlingsproblem sicherlich nicht. Aber auch in dem Verhältnis zur Türkei wird es sicherlich noch einige Dinge geben, die man im Nachgang noch weiter bearbeiten muss. Aber ich gehe davon aus, dass es heute zumindest ein Ergebnis geben wird, ein positives Ergebnis dahin gehend, dass es diese Vereinbarung geben wird.
    Simon: Janis Emmanouilidis, EU-Experte beim European Policy Centre. Vielen Dank, Herr Emmanouilidis. Auf Wiederhören.
    Emmanouilidis: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.