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EU-Afrika-Gipfel
Noch keine Kooperation auf Augenhöhe

Eine echte Partnerschaft unter Gleichen – das verspricht Europa dem afrikanischen Kontinent schon lange. Der EU-Afrika-Gipfel und bis zu 300 Milliarden Euro sollen der Zusammenarbeit Schub verleihen. Afrikanische Interessen würden von der EU bisher allerdings wenig wahrgenommen, sagen Kritiker.

Von Alexander Göbel |
Die neu gewählte Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen (links) trifft sich am Samstag, 7. Dezember 2019, mit dem äthiopischen Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed (rechts) im Büro des Premierministers in der Hauptstadt Addis Abeba, Äthiopien.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bei einem Treffen mit dem äthiopischen Premierminister Abiy Ahmed (picture alliance/AP Photo)
Addis Abeba, 7. Dezember 2019: Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed empfängt Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission. Kaum eine Woche nach ihrer Amtseinführung hat von der Leyen nicht nur den afrikanischen Kontinent als Ziel ihrer ersten Auslandsreise gewählt, sondern mit Addis Abeba auch den Hauptsitz der Afrikanischen Union (AU). Beides will sie als starkes politisches Signal verstanden wissen:

„Der afrikanische Kontinent und die Afrikanische Union haben eine große Bedeutung für die Europäische Union und ihre Kommission. Afrika ist der Kontinent mit den weltweit am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften, ein Kontinent mit immensem Ehrgeiz und großen Erwartungen, aber auch mit immensen Herausforderungen und Bedürfnissen.“

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Von der Leyen will Partnerschaft auf Augenhöhe


Partnerschaft auf Augenhöhe: Seit Jahren wird sie beschworen. Moussa Faki Mahamat, Vorsitzender der Kommission der Afrikanischen Union und somit eine Art Amtskollege von Ursula von der Leyen, bremst die Euphorie. In ihrem Beisein spricht er lieber nüchtern von einer „strategischen“ Partnerschaft: „Unsere Partnerschaft hat viele Facetten, sie schreitet voran, und wir hoffen, dass wir sie in der nächsten Zeit weiter vertiefen können."
Konferenzgebäude der Afrikanischen Union, aufgenommen am 18.03.2013 in Addis Abeba in Äthiopien.
Das Konferenzgebäude der Afrikanischen Union in Addis Abeba, Äthiopien (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)

Kommissionspräsidentin von der Leyen macht Tempo. Ende Februar 2020 reist sie erneut zur AU nach Addis, diesmal mit ihrem fast vollständigen Kabinett. Anfang März 2020 stellt die Kommission in Brüssel Grundzüge ihrer neuen Afrika-Strategie vor. Die Schwerpunkte: Digitalisierung und Klimaschutz im Geiste des EU-Green Deal, Förderung ökologischer Investitionen. Aber auch Migration, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sollen eine Rolle spielen. Für Josep Borrell, den Außenbeauftragten der EU, ist die Bedeutung dieses Entwurfs nicht hoch genug einzuschätzen. Er bewertet die neue Afrika-Strategie 2020 so:

„Wir müssen bedenken, dass die Europäische Union Afrikas wichtigster Partner auf allen Ebenen ist: bei Handel, Investitionen, Entwicklungszusammenarbeit, Sicherheit. Wir wollen, dass das so bleibt, aber wir wollen diese Partnerschaft zugleich erweitern und effizienter machen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben geopolitische Interessen in Afrika. Unser Wachstum, unsere Sicherheit – all das hängt davon ab, was in Afrika passiert, vielleicht mehr noch als in anderen Teilen der Welt.“

Ziel ist eine pragmatische, klimaorientierte und wertebasierte Afrika-Strategie der EU


Die neue Partnerschaft mit Afrika, so formuliert Borrell ganz offen, soll geprägt sein von einem Paradigmenwechsel, dem neuen geopolitischen Anspruch der Kommission. So betont es Ursula von der Leyen selbst, und so sehen das auch Staatschefs wie Emmanuel Macron - gemäß dem von ihm und anderen geäußerten Wunsch, die EU müsse, so wörtlich, „souverän sein in der Welt“ und „die Sprache der Macht lernen“. Das Ziel ist ehrgeizig: Eine pragmatische, klimaorientierte und wertebasierte Afrika-Strategie der EU soll eine echte Alternative sein zu den Ansätzen der vielen neuen oder auch gar nicht mehr so neuen Akteure, die in Afrika miteinander konkurrieren.
Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik in einem Dorf im Osten Kameruns, 2014
Europa habe Afrika zu lange auf die Flüchtlingsproblematik reduziert, sagen Kritiker. (AFP / Reinnier Kazé)

Was gerade wirtschafts- und sicherheitspolitisch auf dem Kontinent geschieht, erinnert den Wirtschaftswissenschaftler Robert Kappel fast schon an die Kolonialzeit. Der langjährige Professor für Afrikastudien an der Universität Leipzig befürchtet sogar einen neuen Wettlauf bei weitem nicht mehr nur um Afrikas Rohstoffe:

„China ist an Rohstoffen und Energie interessiert, nicht so sehr an Industrialisierung Afrikas. Das muss auch kritisiert sein. Russland hat strategische, geostrategische Interessen, was sich jetzt in Mali zeigt, in Burkina und in anderen Ländern Afrikas zeigt. Die Türkei hat Interessen, die Golfstaaten haben großes Interesse, Saudi-Arabien und Dubai. Und Indien ist ein ganz bedeutender Player auf dem afrikanischen Kontinent.“

Paternalismus und post-koloniale Attitüde überwinden


Insofern begrüßt Robert Kappel, dass die EU den Neustart mit Afrika wagt. Allerdings ist er skeptisch. Bisher, so Kappel, hätten europäische Länder den afrikanischen Kontinent mit Strategien und Initiativen geradezu überschüttet – und das mit einer gehörigen Portion Paternalismus und post-kolonialer Attitüde. Europa habe immer bloß dringend eine Antwort auf Flüchtlingsbewegungen und auf die Präsenz Chinas gesucht. Robert Kappels Vorwurf ist deutlich: Bisher sei es weniger darum gegangen, afrikanische Länder ernsthaft in die globale Wertschöpfung einzubetten, als darum, Menschen fernzuhalten, Stabilität innerhalb Europas zu schaffen und zugleich den eigenen globalen Bedeutungsverlust abzubremsen.

„Wir haben viele Konzepte, die immer wieder noch mit neuen Namen versehen werden: Marshall-Plan mit Afrika, Comprehensive Strategy with Africa, Compact with Africa. Wir haben so viele Konzepte von der Europäischen Union und auch von den einzelnen Ländern. Aber was wirklich fehlt, ist die Wahrnehmung der afrikanischen Interessen. Und hier gibt es sehr viele Pläne auf afrikanischer Seite – der Plan 2063, die Industrialisierungskonzepte der Afrikanischen Entwicklungsbank, die Konzepte der Afrikanischen Union zur Panafrikanischen Freihandelszone. Hier gibt es sehr viele Konzepte, die aber von der EU nicht wirklich aufgegriffen werden, sondern immer glaubt man sagen zu müssen: Afrika braucht dies, braucht jenes. Eigentlich gibt es keine Symmetrie in der Diskussion.“
Ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen überprüft eine neue Charge von Corona-Impfstoffen am Internationalen Flughafen Karthago und befestigt einen Zettel daran.
Die Covax-Initiative: Impfstoff-Spenden aus Europa (dpa-Bildfunk / XinHua / Adel Ezzine)

Mitten in diese gerade wiederbelebte Diskussion um Augenhöhe platzt 2020 die Corona-Pandemie. Der Wettlauf um Impfstoffe ist in vollem Gange, reiche Industrieländer sichern sich einen Großteil der verfügbaren Dosen. Die EU reagiert und beteiligt sich an der globalen Covax-Initiative, einem geberfinanzierten Programm für Impfstoff-Spenden. Tatsächlich hat die Europäische Union nach eigenen Angaben bis Ende vergangenen Jahres rund 380 Millionen Impfdosen an arme Länder gespendet, die meisten nach Afrika und über Covax. Geliefert wurde nach den Zahlen des Europäischen Auswärtigen Dienstes jedoch nur ein Drittel – was die EU vor allem auf Vertrags- und Lieferprobleme in den Empfängerländern zurückführt.

Wenn, dann sei der in Europa unbeliebte Impfstoff von AstraZeneca angekommen, bemängelt etwa Nigerias Gesundheitsministerium - und das auch noch mit einem zu kurzen Haltbarkeitsdatum. Viele dieser Dosen konnten in Afrikas nationalen Impfplänen kaum mehr genutzt werden, zudem mangelt es vielerorts auf dem Kontinent an einer medizinischen Infrastruktur, an Kühlketten und professioneller Lagerung, um überhaupt zu impfen. Für Moussa Faki Mahamat von der Afrikanischen Union liegen hier die Gründe für die immer noch sehr niedrige durchschnittliche Impfquote in Afrika:

„Sechs Prozent, sieben Prozent – das ist laut Weltgesundheitsorganisation noch eine optimistische Schätzung. Wir sind aber ein Kontinent mit 1,3 Milliarden Menschen. Covax und ich weiß nicht was sonst alles, wurde uns als die große Rettung vorgesetzt – aber feststellen müssen wir: Es hätten Ende des Jahres 2021 mindestens 40 oder 50 Prozent der afrikanischen Bevölkerung geimpft sein müssen. Große Versprechen – nicht gehalten.“   

Kritik am bestehenden Patentschutz für Impfstoffe aus Europa


Groß ist die afrikanische Enttäuschung auch darüber, dass die EU in der Frage nach einer Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe hart bleibt. Südafrika und andere Staaten des Globalen Südens hatten gemäß dem TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation WTO vorgeschlagen, eine Ausnahme für den Schutz geistigen Eigentums zu beschließen, damit günstige Generika hergestellt werden können. Die EU argumentiert, solche Ausnahmeregelungen gefährdeten die öffentlich-privaten Partnerschaften, mit denen die schnelle Entwicklung von Impfstoffen überhaupt erst möglich geworden sei.
Container-Lösung - BioNTech plant neue Impfstoff-Produktion in Afrika (16.02.2022)
Die EU-Kommission setzt vielmehr darauf, Unternehmen wie BioNTech zu unterstützen und Kapazitäten für die Produktion lizenzierter Impfstoffe in Afrika mit aufzubauen, etwa in Ruanda und im Senegal. Doch nach einem Bericht des „British Medical Journal“ steht nun sogar der Vorwurf im Raum, BioNTech habe Druck etwa auf Südafrika ausgeübt, um zu verhindern, dass das Land seine eigene Forschung an einem afrikanischen mRNA-Wirkstoff fortsetzt.

"Das ist, finde ich, ein gutes Beispiel dafür, dass dieses Verhältnis eben sich nicht auf Augenhöhe bewegt"folgert Anne Jung, Gesundheitsreferentin bei der Menschenrechtsorganisation medico international. "Weil klar ist: Was auch immer geschieht – handelspolitisch, finanzpolitisch, gesundheitspolitisch - wird Europa immer im europäischen oder scheinbar europäischen Interesse handeln. Wir erleben, dass die afrikanischen Regierungen auf Halb-Acht-Stellung sind, und auch zurecht, weil sie diese Erfahrung immer wieder aufs Neue machen."

Nach der Entdeckung von Omikron durch südafrikanische Labors im November 2021 wird diese Corona-Variante schnell und ohne wissenschaftliche Grundlage zu einem „afrikanischen“ Virus: Obwohl Omikron noch in anderen Ländern zeitgleich nachgewiesen wird, verhängt die EU massive Reisebeschränkungen für afrikanische Länder. Angesichts des rassistisch empfundenen Stigmas und der großen wirtschaftlichen Einbußen infolge der einseitigen Maßnahmen sprechen Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa und sein kenianischer Amtskollege Uhuru Kenyatta von „Impfstoff-Apartheid“.

Anne Jung von medico international sieht Europa in einer Glaubwürdigkeitsfalle: „Ich glaube, dass – auch nach der Pandemie – die Erinnerung an das Scheitern eines global solidarischen Ansatzes im Gedächtnis des globalen Südens bleiben wird.“
Bauern bei der Ernte von Teff, das kleinste Getreide der Welt
Dürren oder Überschwemmungen verschärfen Afrikas Abhängigkeit von Nahrungsmitteln aus Europa (imago/imagebroker)

Fest steht: Der Umgang mit der Pandemie hat insbesondere Afrikas Misstrauen gegenüber der EU verstärkt. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Gesundheitskrise gewissermaßen als „Polypandemie“ ein Schlaglicht auf die anderen großen Hemmnisse wirft, die einer echten Partnerschaft ohnehin im Wege stehen: Zum Beispiel Handelsbeziehungen.

Die sind nach Ansicht des Ökonomen Robert Kappel zwar eng verknüpft, aber im Grunde seit der Kolonialzeit weder symmetrisch noch nachhaltig. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht werde damit zementiert: „Noch immer exportiert Afrika Rohstoffe, Energie, aber es importiert vor allem Kapitalgüter: Maschinen, Fabriken,  Zwischenprodukte, die für die Produktionen wichtig sind.“

NGOs: EU-Handelspolitik schadet afrikanischer Agrarwirtschaft


Kappel kritisiert auch die nach wie vor hohen Subventionen, die die EU an ihre Landwirte bezahlt. Damit sei die EU zwar zum größten Exporteur von Nahrungsmitteln weltweit geworden, nur müssten diese dann auch von Afrika zu konkurrenzlosen Preisen importiert werden. Der Klimawandel, den vor allem die Industrieländer verursachen, verschärfe die Abhängigkeit von Importen weiter, wenn durch Dürren oder Überschwemmungen in Afrika häufiger die Ernten ausbleiben, so Kappel.
Rosen-Farm in Kenia
Kenia hat sich auf eine leistungsstarke und arbeitsintensive Rosenzucht spezialisiert (picture alliance / Zhang Chen)

Agrarexperte Francisco Mari von der Organisation "Brot für die Welt" wirft der europäischen Handelspolitik vor, mit ihren Wirtschaftspartnerschaften mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet zu haben. Die Economic Partnership Agreements, kurz EPA, verhandelt die EU seit vielen Jahren mit afrikanischen Staaten einzeln, Grundprinzip ist die Liberalisierung und Öffnung der Märkte. Afrikanische Staaten sollen zollfrei in die EU exportieren können, im Gegenzug müssen sie mehr oder weniger zollfrei Importe aus der EU zulassen. Sperrt sich ein Land, übt die EU auch mal Druck aus.

Beispiel Kenia: Als das ostafrikanische Land sich weigerte, das EPA mit der Europäischen Union zu unterzeichnen, war die EU nicht mehr bereit, wichtige kenianische Exportgüter wie Blumen, grüne Bohnen und andere Agrarprodukte zollfrei einzuführen. Die Folge: Container wurden nicht mehr verschifft, die Ware verdarb.

Francisco Mari: "Daraufhin war der Druck der Exporteure so groß, dass die kenianische Regierung dann doch entschieden hat, sozusagen mit der eigenen Wirtschaftsunion zu brechen, und das EPA unterzeichnet und auch ratifizieret hat, damit wenigstens diese Zollfreiheit erhalten wird."

Der Binnenmarkt der pan-afrikanischen Freihandelszone


Für Francisco Mari von „Brot für die Welt“ ist klar: Die EU stört mit ihren EPAs die Integration des Afrikanischen Binnenmarktes – und torpediert damit das wegweisende Projekt der Afrikanischen Union für die wirtschaftliche und politische Entwicklung des afrikanischen Kontinents: „Und das ist natürlich jetzt eine Kunst, die Afrika fertigbringen muss: Länder zu haben, in denen Europa freien Eintritt hat, mit seinen Waren, und trotzdem einen Binnenmarkt zu schaffen.“

Eben dieser Binnenmarkt ist Ziel der pan-afrikanischen Freihandelszone, zu der sich 2019 nahezu alle afrikanischen Staaten zusammengeschlossen haben. Er sieht den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen sämtlichen afrikanischen Staaten vor. Dies könnte ein wichtiges Friedens- und Sicherheitsprojekt werden – auch mit Blick auf krisen- und putschgeplagte Staaten wie Mali, Burkina Faso und viele andere. Die EU will diesen Prozess unterstützen, verheddert sich aber in Widersprüchen.

Nordafrikanische Staaten und die Afrikanische Union fehlen beim Abkommen von Cotonou


Denn mit dem Post-Cotonou-Abkommen hat die Europäische Union gerade ihre Beziehungen zu den AKP-Staaten neu geregelt, also den ehemaligen afrikanischen, karibischen und pazifischen Kolonien. Und nur zu diesen. Weder sind die nordafrikanischen Staaten Teil dieses Abkommens, noch die Afrikanische Union. Ausgerechnet die AU, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als institutionellen Partner bezeichnet, sitzt bei Post-Cotonou nicht mit am Tisch. Und das, obwohl es dort um zentrale Fragen gehen soll, wie Handels- und Migrationspolitik.

Die Strukturen seien insgesamt falsch angelegt, beklagt Hildegard Bentele, entwicklungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament: „Wenn ich sozusagen die Handelsaspekte in die Economic Partnerships auslagere, die Sicherheit zur Afrikanischen Union, die Entwicklungspolitik in die AKP, dann habe ich einfach überhaupt kein Gesamtkonzept. Also das ist einfach kein einheitlicher Rahmen, leider, und das ist wirklich bedauerlich, dass man das nicht geschafft hat. Ich halte das für einen großen Fehler.“

Europa will Chinas Neuer Seidenstraße Konkurrenz machen


Hildegard Bentele wünscht sich endlich Kontinent-zu-Kontinent-Beziehungen – und ist damit nicht allein. Geht es nach Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, soll vom EU-Afrika-Gipfel in Brüssel genau dieses Signal ausgehen: Entbürokratisierung, Pragmatismus, neuer Schwung – künftig nur noch ein Ansprechpartner bei der EU. Vor allem für den Privatsektor, der in die Lage versetzt werden soll, in Afrika kräftig zu investieren:

„Es geht uns um einen wirtschaftlichen und finanziellen New Deal mit Afrika. Als Europäer müssen wir Solidarität zeigen. Allein zwischen 2020 und 2025 werden die afrikanischen Volkswirtschaften 300 Milliarden Euro benötigen – dazu kommen die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Corona-Pandemie und eine zu erwartende regelrechte Bevölkerungsexplosion.“

Bis zu 300 Milliarden Euro Investitionsanreize für Afrika


„Global Gateway“ - Tor zur Welt: So heißt das neue Instrument der EU, das bis zu 300 Milliarden Euro hebeln will. Europa will Chinas Neuer Seidenstraße Konkurrenz machen. Private und öffentliche Infrastrukturprojekte sollen weltweit, aber vor allem in Afrika, endlich für mehr Beschäftigung sorgen. Finanzieren will die EU das unter anderem über die Europäische Entwicklungsbank. Das Geld soll in den Ausbau von Straßen, Bahnlinien oder Internetverbindungen fließen, sowie in Klimaschutz, Gesundheit, Bildung und Forschung.

Bei ihrem Besuch im Senegal vor wenigen Tagen hat Ursula von der Leyen Afrika schon mal 150 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Europa sei eben der wichtigste, der „zuverlässigste“ Partner Afrikas: „Dies ist der allererste Regionalplan unter Global Gateway, zwei Monate nach dem Start der Strategie. Er wird vom Team Europa getragen und in Partnerschaft mit Ihnen umgesetzt.“
Bernd Lange, SPD, Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten), Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel, spricht während einer Pressekonferenz.
Bernd Lange, SPD-Europa-Abgeordneter (dpa / picture alliance / Philipp von Ditfurth)

Bislang ist der Plan mit den Investitionsanreizen für Afrika vor allem eines: eine kühne Idee. Aber die EU setzt auf das Momentum - die Ausgangslage, die sich nach Überzeugung der Kommissionspräsidentin verändert hat. Die EU sei für ihre Klimaziele und die Energiepolitik auf Afrika angewiesen. Das verringere das Machtgefälle zwischen dem reicheren und dem ärmeren Kontinent: „Global Gateway wird alle einbeziehen, denn Global Gateway will Wachstum schaffen und Global Gateway will Vertrauen schaffen.“

Vertrauen – das scheint die eigentliche Währung zu sein, in der Europa in Afrika investieren muss. Ohne Entschuldung für Corona-gebeutelte Volkswirtschaften, ohne fairen Handel, ohne Konzepte für Migration und Sicherheit, kann ein „New Deal“ mit Afrika kaum gelingen. Und ohne ein Ende des Paternalismus erst recht nicht, findet jedenfalls der Sozialdemokrat Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament:

„Und deswegen sind alle ökonomischen Druckmaßnahmen, politischen Ermahnungen oder was es da alles gibt, im einseitigen europäischen Interesse wirklich auf den Müllhaufen der Geschichte zu schmeißen.“