Mihai Cocrin ist mal wieder in die Rosenallee 11 ins Hamburger Bahnhofsviertel gekommen, eine Beratungsstelle für rumänische und bulgarische Migranten. Mal wieder wurde er von seinem Arbeitgeber um sein Geld betrogen. Cocrin ist 55 Jahre alt, Dreitage-Bart, Käppi – die Winterjacke hat er im stark beheizten Raum angelassen.
"Das ist die Firma, der Chef heißt Ciprian."
"Ist der auch Rumäne?"
"Ja, ich hab da vier Tage gearbeitet und immer noch kein Geld bekommen."
Etwa 20 Rumänen und Bulgaren sind an diesem Wintermorgen hier, manche haben ihre Kinder mitgebracht. Wie Cocrin hoffen sie darauf, dass ihnen Mirela Barth helfen kann – sie ist 25 Jahre alt, hat in Rumänien Psychologie studiert und arbeitet in der Beratungsstelle als Sozialarbeiterin.
Fast alle, die hierhin kommen, wurden von ihren Chefs betrogen oder mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt, manche leben jetzt auf der Straße. Mirela Barth ruft Cocrins Ex-Chef an, um ein bisschen Druck zu machen.
"Dann versuchen wir es erst mal auf Deutsch, ist besser, dann bekommen die ein bisschen Angst."
Vier Tage hat Cocrin für den rumänischen Subunternehmer auf dem Bau gearbeitet – auf Probe. Die versprochenen 200 Euro hat er nicht bekommen. Er ist nicht der einzige Rumäne, der in Hamburg mit dieser Masche betrogen wurde, erzählt Mirela Barth.
"Das ist nicht nur in Bauunternehmen, sondern auch in Reinigungsunternehmen und in vielen Restaurants. Die holen immer wieder für drei Wochen Leute nach Deutschland, die dann ihr Geld nicht bekommen - mit dem Befund, es hat mir nicht gefallen, weil du nicht ganz gründlich gearbeitet hast, und dann kommt der nächste."
Sie arbeiten für fünf Euro die Stunde schwarz auf dem Bau oder melden ein Gewerbe an, um scheinselbstständig in Hotels Zimmer zu reinigen: Das war bisher Realität für Zehntausende Rumänen und Bulgaren, die mit eher geringen Qualifikationen nach Deutschland gekommen sind.
Hoffnung auf Arbeit mit Vertrag
Michael Gheorgica will deshalb nur noch offiziell, mit Vertrag hier arbeiten. Vor ein paar Jahren hat auch der 41 Jahre alte, groß gewachsene Mann schwarz auf Baustellen geschuftet. Jetzt, da auch für ihn die volle Freizügigkeit gilt, sucht er eine feste Stelle.
"Ich habe eine Ausbildung als Koch gemacht. Ich will offiziell arbeiten – Chancen gibt es, ich muss die deutsche Sprache 20 Prozent sprechen, sagte mir die Ausländerbehörde. Für mich ist das kein Problem. Arbeit gibt es genug. Man muss Geduld haben."
Am liebsten will er als Koch arbeiten, alles andere wäre ihm aber auch recht.
"In der Küche möchte ich arbeiten oder in der Reinigung oder in einer Fabrik, oder Fleisch schneiden. Ja, in Rumänien gibt es auch Arbeit, aber es ist zu wenig Geld - 150 Euro im Monat, das ist nichts."
Mirela Barth schickt ihn zum Jobcenter – mit dem 1. Januar ist es möglich geworden, dass er sich dort jetzt als arbeitssuchend melden kann. Hartz IV wird er allerdings so nicht bekommen. Anders als es die CSU immer wieder behauptet, haben Rumänen und Bulgaren erst dann einen Anspruch auf Sozialleistungen, wenn sie zuvor mindestens sechs Monate in Deutschland regulär gearbeitet haben.
Rechtswidrige Arbeitsverträge
Im Büro nebenan kümmert sich Mirela Barths Chef, Andreas Stasiewicz um Papierkram. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegt ein Ordner voller Arbeitsverträge – rechtswidriger Arbeitsverträge von Rumänen, Bulgaren und Polen. Denn selbst wenn Rumänen und Bulgaren jetzt einen ganz normalen Job mit Vertrag und Tariflohn bekommen können - vor Betrug und Ausbeutung schützt sie das nicht unbedingt.
"Hier sehen sie den Tariflohn, 8,50 Euro in der Branche. Ganz hinten steht dann: 3,7 gereinigte Standardzimmer pro Stunde. Zu schaffen sind aber nur maximal zwei. Das führt dazu, dass der Lohn sich halbiert."
Stasiewicz hat schon 50 solcher Verträge gesehen – alles natürlich illegal. Zwar gewinnt fast jeder Arbeitnehmer, wenn er dagegen klagt. Da rumänische und bulgarische Einwanderer sich aber selten einen Anwalt leisten können, lassen es Hoteliers oder deren Subunternehmer drauf ankommen.
Die Arbeitssituation der Migranten aus Osteuropa könnte sich verbessern
Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit könnte sich die Situation der Migranten aus Osteuropa nun verbessern, sagt Soziologe Stasiewicz:
"Wenn der Mindestlohn kommt und die Leute dann 800 Euro im Monat verdienen, dann haben die mindestens eine Krankenversicherung. Wenn der Mindestlohn nicht kommt, dann werden wir eine Zunahme von Ausbeutung im Niedriglohnsektor haben. Die werden sich selbst unterbieten, dann werden sie hier noch für zwei Euro die Stunde arbeiten, das ist immer noch mehr als 90 Cent in der Heimat."
Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg geht vom ersten Szenario aus. Und: Nicht nur die Rumänen und Bulgaren profitieren von den neuen Arbeitsmarktregeln, sagen die Forscher, sondern auch die Sozialversicherungssysteme - vor allem die Rente. Schließlich seien die meisten rumänischen Einwanderer deutlich jünger als der Durchschnittsdeutsche.
Für Salhi Beadin kommen die neuen Regeln zu spät. Er wird am nächsten Morgen in den Eurolines-Bus nach Constanta am Schwarzen Meer steigen. Auch er wurde betrogen. Von seinem bulgarischen Chef. Weil er keinen Cent mehr in der Tasche hat, sponsert ihm die Stadt das Rückfahrticket.
"Der ist einfach abgehauen mit dem Geld. Jetzt fahr ich nach Hause ohne einen Euro für die Kinder. In Rumänien war nichts zu machen, da hab ich 180 Euro im Monat verdient. Ich komme hier nicht mehr hin, auf gar keinen Fall. Ich dachte, in Deutschland wäre es etwas leichter, Geld zu verdienen. Aber es ist auch hier schwer, sehr schwer."