Nach jahrelangen Verhandlungen hatte das EU-Parlament in Brüssel am 10. April 2024 dem Gesetzespaket zur EU-Asylreform zugestimmt. Es sieht eine deutliche Verschärfung der Asylbestimmungen vor, darunter einheitliche Verfahren an den Außengrenzen sowie eine Neuregelung bei der Verteilung von Flüchtlingen. Am 14. Mai 2024 stimmten auch die EU-Mitgliedsstaaten dem Gesetzespaket zu.
Zahlreiche Politiker begrüßten den Beschluss als großen Schritt nach vorn. So sagte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei Manfred Weber, der 10. April sei ein wichtiger Tag für die Einheit Europas. Wenige Monate vor der Europawahl zeigte sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erleichtert: "Wir haben geliefert, was die Europäer wollten."
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Europäischen Parlament, Martin Schirdewan, kritisiert die Reform hingegen als unmenschlich. "Mit diesem Migrationspakt entziehen die europäischen Mitgliedsstaaten schutzbedürftigen Menschen ihre Rechte", sagte er. Auch die EU-Grünen stimmten gegen große Teile des Pakets. Menschenrechtsorganisationen protestierten während der Abstimmung in Brüssel und sprechen von einer "Abschaffung" des europäischen Asylrechts.
Was sind die Kernpunkte der Reform des EU-Asylrechts?
Es geht um ein Gesetzespaket auf EU-Ebene, das schärfere Asylregeln sowie eine Entlastung von Hauptankunftsländern wie Italien oder Griechenland bewirken sollen. 2023 erhielt die EU mehr als eine Million Asylanträge, den höchsten Wert seit 2015 und 2016. Knapp ein Drittel davon dürfte auf Deutschland entfallen. Dazu kommen vier Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.
Mit der Reform sollen Asylverfahren künftig bereits an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden. Dazu sollen Asylzentren in Grenznähe entstehen, in denen die Identität von Schutzsuchenden überprüft wird. Mit diesem sogenannten Screening soll erreicht werden, dass Migranten mit geringen Aufnahmechancen erst gar nicht in die EU gelangen. Die Migranten werden dabei als nicht eingereist betrachtet.
Haftähnliche Bedingungen
Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können – auch Familien mit Kindern. Dies ist bis heute einer der am heftigsten umstrittenen Punkte des Reformpakets.
Ankommende Menschen können dem Vorhaben zufolge mit Fingerabdrücken und Fotos registriert werden, um zu überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind. Die Mitgliedsländer wollen zunächst 30.000 Plätze in Grenzlagern schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000 sein.
Gleichzeitig sollen die Kriterien für sogenannte sichere Drittstaaten deutlich ausgeweitet werden. Damit gibt es mehr Länder, die als sicher eingestuft werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen auf der Flucht durch einen solchen Staat gekommen sind, ist groß. Zu den sogenannten sicheren Drittstaaten zählen Länder wie Tunesien oder Albanien. Geplant sind in diesem Zusammenhang weitreichende Kooperationsprojekte mit Nicht-EU-Ländern.
Gerechtere Verteilung Asylsuchender
Einzige Voraussetzung für eine Abschiebung in sogenannte sichere Drittstaaten soll sein, dass die Menschen eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten liegen, die für das jeweilige Asylverfahren zuständig sind. Diese Bestimmung würde es beispielsweise Italien ermöglichen, über das Mittelmeer kommende Migranten etwa nach Tunesien zurückzuschicken, wenn sich die Regierung in Tunis damit einverstanden erklärt.
Ein weiterer Punkt der Reform ist die Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU. Die EU-Binnenländer sollen künftig die Aufnahme von Migranten zusagen. Anhand einer Quote soll eine bestimmte Zahl von Schutzsuchenden festgelegt werden. Staaten, die keine oder weniger geflüchtete Menschen aufnehmen, sollen entweder Sachleistungen erbringen oder pro nicht aufgenommenen Geflüchteten 20.000 Euro zahlen. Ungarn hatte Widerstand dagegen angekündigt.
Kommt eine besonders hohe Zahl von Schutzsuchenden an, greift eine sogenannte Krisenverordnung. Auch Migranten mit höheren Anerkennungschancen sollen dann die Grenzverfahren durchlaufen, sie können dann sogar 18 statt 12 Wochen festgehalten werden.
Wie steht die deutsche Regierung zur Reform?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begrüßte die Neuerungen. Die Reform begrenze irreguläre Migration und entlaste die Länder, die besonders stark betroffen seien. Seine Parteikollegin, Innenministerin Nancy Faeser, sprach von der Überwindung einer tiefen Spaltung Europas und erwartet eine deutliche Entlastung der Kommunen in Deutschland.
Während die Grünen-Europaabgeordnete Katrin Langensiepen erklärte, dass man das Paket als "Verschlechterung der aktuellen Situation" sieht, hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock für die Reform geworben. Die Grünen-Politikerin schrieb auf X: "Mit dem Ja zur Reform im Europaparlament beweist die EU in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit."
Bereits im Juni 2023 hatten sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verständigt. Deutschland hatte seine Blockade gegen die sogenannte Krisenverordnung Ende September 2023 aufgegeben, ohne die eine Reform des EU-Asylrechts auf der Kippe stand.
Welche Kritik gibt es an dem Asylbeschluss?
Während sich fast alle Europapolitiker darin einig sind, dass eine Angleichung der Standards und eine fairere Verteilung von Asylsuchenden auf dem Kontinent dringend nötig sind, bemängeln Kritiker eine deutliche Schwächung des Asylrechts. "Wir können keinem Pakt zustimmen, der die Inhaftierung von Schutz suchenden Familien und Kindern an den EU-Außengrenzen zulässt“, sagte die Ko-Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, Terry Reintke. Die Grünen hatten fast geschlossen gegen die Kompromisstexte gestimmt.
Auch Erik Marquardt, der migrationspolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, kritisierte die drohenden haftähnlichen Zustände in Auffanglagern, vor allem für Familien. Vieles an der Reform sähe zwar schön auf dem Papier aus, würde auf Dauer aber die irreguläre Migration nicht bekämpfen, sondern diese sogar noch verschärfen. Er verweist auf Massenlager wie Moria, die durch die Reform zunehmen würden. Angesichts der Krisenverordnung würden zahlreiche Verfahren auch nach der Reform deutlich länger dauern als die angestrebten und oft zitierten 12 Wochen.
Scharfe Kritik kam ebenfalls von Menschrechtsorganisationen wie Caritas oder Ärzte ohne Grenzen. Die Organisation Pro Asyl nannte das Paket einen "Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa". Zu den schon bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und Pushbacks kämen nun "absehbar noch mehr Inhaftierung und Isolierung schutzsuchender Menschen an den Außengrenzen und neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen dazu", erklärte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.
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