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EU-Außenpolitik
"Es ist richtig zu versuchen, im Kontakt mit Russland zu bleiben"

Der Umgang mit dem russischen Oppositionellen Alexei Nawalny zeige, dass sich der Kreml nicht vom Westen beeinflussen lasse, sagte der Historiker Martin Hoffmann im Dlf. Die EU dürfe sich jetzt aber nicht abschotten. Man könne der russischen Zivilgesellschaft nur helfen, indem man im Kontakt bleibe.

Martin Hoffmann im Gespräch mit Dirk Müller |
YEKATERINBURG, RUSSIA - JANUARY 23, 2021: Riot police officers and participants in an unauthorized rally in support of Russian opposition activist Alexei Navalny in Oktyabrskaya Square. Donat Sorokin
Was sich derzeit in den Demonstrationen in Russland zeige, sei ein Zeichen dessen, dass Europa mit Russland in Kontakt geblieben sei, sagte der Historiker Martin Hoffmann im Dlf (imago images / ITAR-TASS / Donat Sorokin)
Die russischen Sicherheitsbehörden haben am Wochenende (23./24.01.2020) über 3.000 Demonstranten und Aktivisten festgenommen, die für die sofortige Freilassung des russischen oppositionellen Alexei Nawalny auf die Straße gegangen waren – Proteste in rund 100 russischen Städten.
Die Erwartungen an das virtuelle Außenministertreffens der Europäischen Union am Montag (25..01.) waren dementsprechend groß: Was werden die europäischen Chefdiplomaten beschließen, um mehr Druck auf den Kreml auszuüben, um Wladimir Putin deutlich zu machen, dass Europa sich stark macht für Demokratie, für Menschenrechte, für Pluralismus?
Doch die Außenminister haben sich darauf geeinigt, etwaige Maßnahmen erst einmal zu verschieben - also erneut keine Konsequenzen.
Die EU habe sich richtig entschieden, zunächst im Kontakt mit Russland zu bleiben, sagte der Historiker Martin Hoffmann. Er ist geschäftsführender Vorstand des Deutsch-Russischen Forums - ein gemeinnütziger Verein, der sich seit fast 30 Jahren für einen offenen, breiten Dialog zwischen Russland und Deutschland einsetzt.
Kremkritiker Nawalny und seine Ehefrau stehen am Flughafen Moskau-Scheremetjewo in einem Bus.
Nawalnys Anwalt: "Nawalny ist politischer Gefangener Nummer eins″
Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist bei seiner Rückkehr nach Russland verhaftet worden. Sein Anwalt Nikolaos Gazeas spricht von politischer Verfolgung. Die Vorwürfe gegen Nawalny seien konstruiert, sagte er im Dlf.
Dirk Müller: Herr Hoffmann, warum kann der Kreml machen, was er will?
Martin Hoffmann: Der Kreml kann nicht machen, was er will, sondern der Kreml verfolgt seit ganz langer Zeit eine Sichtweise, die der Europäischen Union entgegengesetzt ist, sehr deutlich. Das ist eine der Souveränität, eine Situation der Nichteinmischung von anderer Seite, und leider Gottes zeigt er immer wieder, dass er sich in keiner Weise vom Westen beeinflussen lässt, jedenfalls nicht in der Form von Sanktionen oder anderen Kommunikationsdruckmitteln.
Deshalb glaube ich auch, dass die EU sich richtig entschieden hat, im Moment zu versuchen, im Kontakt mit Russland zu bleiben, denn nur so kann man dieser sich entwickelnden Zivilgesellschaft und der wirklich wichtigen Proteste wirklich helfen, indem man im Kontakt bleibt und nicht sozusagen das Spiel mitspielt und sich abschottet.

"Es sind Menschen, die sich frei äußern und die auf die Straße gehen"

Müller: Aber das versuchen Sie beispielsweise ja schon seit Jahren, und es hat sich nichts geändert, es wird ja immer schlimmer.
Hoffmann: Oh doch, das hat viel geändert. Ich bin der Überzeugung, dass das, was sich jetzt hier auf den Straßen tut, und dass das, was wir immer wieder sehen, dass das ein Zeichen dessen ist, dass wir in Kontakt geblieben sind mit Russland, mit der Zivilgesellschaft, mit den jungen Leuten, aber überhaupt mit den Russen in den Städten, über den Jugendaustausch. Was hat sich denn gezeigt? Man hat immer gesagt, unter Putin kann sich keine Zivilgesellschaft entwickeln, und die Ära Putin hat eben doch gezeigt, es sind Menschen, die sich frei äußern und die auf die Straße gehen und die eben keine Angst haben. Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass das so ist.
Kremlgegner Alexej Nawalny und seine Ehefrau Julia auf eine Gangway
Der Kreml-Kritiker musste nach Russland zurückkehren
Mit seiner Rückkehr nach Russland hat Alexej Nawalny eindrucksvoll den entscheidenden Unterschied zwischen sich selbst und Wladimir Putin markiert, meint Thielko Grieß. Dieser mutige Schritt war notwendig, um den Kampf gegen Putins Regime fortzusetzen.
Müller: Und dann festgenommen werden.
Hoffmann: Und dann festgenommen werden und trotzdem ihren Weg gehen. Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Punkt, der sich geändert hat, übrigens auch wenn man das sieht in den sozialen Medien, auch in der Art und Weise, wie das momentan in russischen Medien diskutiert wird. Es wird deutlich, keinesfalls wird es verschwiegen, und es wird eben auch deutliche Kritik geäußert an den Themen, die der ganzen russischen Bevölkerung aus meiner Sicht am Herzen liegen. Das ist Konservierung von Macht, Korruption will man nicht länger dulden, und es wird ja so kommen, dass wir den nächsten wichtigen Beweis haben werden bei den kommenden Wahlen zur Duma im September diesen Jahres.

Kommunikationskanäle offen halten

Müller: Herr Hoffmann, wenn ich da noch mal einhaken darf: Sie sagen, wir überlassen das der russischen Gesellschaft, wir überlassen das dem Dialog, und der ist Ihrer Einschätzung nach viel, viel stärker, viel, viel präsenter geworden. Ich hatte das auch erwähnt in der Anmoderation, es soll ja stattgefunden haben, diese Proteste, in über 100 Städten, das ist schon eine bestimmte Definition. Meine Frage ist ja, was kann der Westen politisch tun. Da sagen Sie, keine Sanktionen. Also sind wir in der Politik ohnmächtig.
Hoffmann: Nein, Politik ist sehr mächtig, weil die Politik muss …
Müller: Was macht denn die Politik?
Hoffmann: Die Politik macht das, sie bleibt im Gespräch und sie versucht, die Kommunikationskanäle offenzuhalten. Ich glaube, das ist die einzige Form von Macht, die wir haben. Wenn die …
Müller: Ist das eine Leistung?
Hoffmann: Wenn wir – wenn ich das noch kurz hinzufügen darf –, wenn wir die letzten Jahre, die wir in Konflikten mit Russland in unzähligen Formen gehabt haben, nachverfolgen, dann werden wir sehen, dass jedes Mal, wenn Druck vom Westen ausgeübt wurde, Russland sich weiter zurückgezogen hat, nach außen hin verkauft hat, die ausländische Politik und der Westen will mit uns nicht reden, der Westen will uns belehren, er behandelt uns aus einer Sicht sozusagen der Hybris, und wir werden darauf nicht reagieren. Das ist die Konsequenz der letzten 20 Jahre. Allein dort, wo wir immer wieder den Kontakt gesucht haben, waren wir erfolgreich. Erfolgreiche Politik macht genau das. Übrigens war das auch das Geheimnis der damaligen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr.
Ein Schild mit der Aufschrift "Info Point Nord Stream 2 Committed Reliable Safe" hängt im Gewerbegebiet Lubmin über einer aufgemalten Landkarte an der Baustelle für die Empfangsstation.
Westphal (SPD): Fall Nawalny hat mit Nord Stream 2 nichts zu tun
Der Umgang Russlands mit Kreml-Kritiker Alexej Nawalny sei nicht zu tolerieren, sagte SPD-Energiepolitiker Bernd Westphal im Dlf. Ein Baustopp der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 würde den beteiligten Firmen aber schaden.
Müller: Wenn wir jetzt die Krim nehmen, das Beispiel Syrien, das Beispiel Belarus, das Beispiel Nawalny, ist das erfolgreiche Politik?
Hoffmann: Na, aber auf jeden Fall hat es in all diesen Bereichen ja Zeichen der Sanktionen gegeben. Es hat ja immer wieder schroffe Zurückweisungen gegeben, welche Empörung und welche klaren Worte hat man bei der Krim gefunden. Natürlich hat das stattgefunden, es hat nur leider nichts geändert. Wo wir ändernd eingegriffen haben, das war dann in Minsk zum Beispiel, das heißt, immer dort, wo wir geredet haben, haben wir unter großem Druck und auch durch den Einsatz, durch den klugen Einsatz auch der Bundeskanzlerin und der Politik Dinge erreichen können. Das sind keine Riesenschritte, aber Sie werden von außen, glaube ich, mit Politik auf ein souveränes Land, schon gar nicht auf eines wie Russland, sozusagen verhaltensändernden Druck ausüben können, anders als durch Gespräche auf Augenhöhe.

"Außenpolitik besteht darin, den Kontakt zu halten"

Müller: Menschenrechtsorganisationen, viele Kritiker werfen der EU, auch den EU-Außenministern jetzt Feigheit vor, Feigheit davor, Konsequenzen zu ziehen. Sie sagen, Sanktionen bringen nichts, wir müssen reden und Ende des Lateins.
Hoffmann: Das sage ich. Ich sage, Proteste und Empörung sind verständlich, sie sind auch ein Teil sozusagen des Diskurses. Natürlich muss man deutlich machen, das ist ja gar keine Frage, aber ich glaube, daran mangelt es auch in der EU nicht –, dass wir mit den Dingen, die da gerade passieren, nicht einverstanden sind, aber politisch wirksam ist nicht die Empörung, sondern Außenpolitik besteht darin, den Kontakt zu halten. Ohne Kontakt können wir nichts tun.
Und ich sage noch mal: Ich glaube, dass wir denjenigen in Russland, die eigentlich gerne für sich bleiben wollen, total in die Karten spielen, indem wir auf diese Art und Weise eine deutliche Abgrenzung ziehen. Ich denke, das ist die einzige Chance: mit dem Gespräch etwas Positives zu bewirken.
Müller: Jetzt gibt es Einreiseverbote, jetzt gibt es Kontosperrungen von sechs mutmaßlich Verantwortlichen in Russland beim Thema Giftanschlag, ein Forschungsinstitut für Chemiewaffen ist auf die EU-Sanktionsliste gesetzt worden – das sind jetzt sieben Nennungen. Warum kann das nicht mehr bringen, wenn diese Liste ausgeweitet wird, wenn viel mehr russische Beteiligte, Verantwortliche in irgendeiner Form Konsequenzen spüren müssen, wenn es um Europa geht?
Hoffmann: Weil es immer wieder den gleichen Punkt bedient. Wir haben ja zu den Themen gesprochen, mit denen die Menschen auf der Straße unzufrieden sind, also Korruption, Machtkonservierung, Erhalt des Umfeldes um die Regierung. Diese Leute nehmen genau diese Punkte immer wieder zum Beweis für ihre Sichtweise, und ihre Sichtweise ist die, die EU will gar nicht mit uns sprechen, die EU behandelt uns oder auch der Westen insgesamt behandelt uns, als wenn wir ein unwichtiger, nicht souveräner Staat sind, und wir lassen das nicht zu.
Dadurch wird eben im Grunde genommen den Menschen, die ganz berechtigte Kritikpunkte haben an der Regierung, ein bisschen die Grundlage entzogen, indem man ihnen sozusagen unterstellt, sie kooperieren mit einem Westen, der in Wirklichkeit nichts anderes will, als sich in Russland einzumischen.

"Mehr Kontakt bedeutet mehr Freiheit"

Müller: Aber das würde ja, Herr Hoffmann, bedeuten, weniger Druck heißt mehr Freiheit.
Hoffmann: Das würde es bedeuten. Das bedeutet mehr Kontakt, mehr Kontakt bedeutet mehr Freiheit. Das ist die Lehre der Zivilgesellschaft, die in all diesen Jahren in den schwersten Konflikten stark gewirkt hat und die sehr viel erreicht hat.
Ich sage das noch mal: Ich glaube, dass all das, was sich in den letzten Jahren tut, ein Produkt dessen ist, dass wir in Kontakt mit Russland geblieben sind und dass sich offensichtlich in der Bürgerdiplomatie in dieser Hinsicht sehr viel mehr getan hat, als wir das so auf den ersten Blick erkennen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.