Doris Simon: Für unseren ersten Schwerpunkt verlassen wir die Europäische Union und schauen auf drei Länder, die so gerne dazugehören würden. Am Abend ist Bundeskanzlerin Merkel in Serbien angekommen, der zweite Halt auf ihrer Balkan-Reise nach einem kurzen Stopp in Albanien und einem Besuch in Bosnien morgen. Alle drei Länder sind EU-Beitrittskandidaten und in Berlin hält man diese Perspektive für sehr wichtig, damit sich die Länder stärker in Richtung Reformen und Demokratie weiterentwickeln. Das aber ist noch ein sehr weiter Weg, zumal auch die drei Länder untereinander sich nicht gerade grün sind.
Am Telefon ist jetzt der Europaminister des Landes Baden-Württemberg, Peter Friedrich (SPD). Guten Abend.
Am Telefon ist jetzt der Europaminister des Landes Baden-Württemberg, Peter Friedrich (SPD). Guten Abend.
Peter Friedrich: Schönen guten Abend, Frau Simon.
"EU hat einen ganz klaren Codex, was muss ein Beitrittskandidat erfüllen"
Simon: Herr Friedrich, Sie waren vor zwei Wochen in Belgrad und Sie sind nach Gesprächen mit dem serbischen Ministerpräsidenten überzeugt, jetzt müssen die Beitrittsverhandlungen der EU mit Serbien Fahrt aufnehmen. Die Bundesregierung, so haben Sie es gesagt, dürfe keine weiteren Bedingungen stellen. Nach dem, was wir jetzt gerade von der Korrespondentin gehört haben, gab es ja viel Lob von Angela Merkel für die Serben. Sehen Sie sich da in Ihrer Forderung bestätigt?
Friedrich: Ich sehe mich ein Stück weit bestätigt. Natürlich ist es nicht so, dass es darum geht, weitere Bedingungen zu stellen. Man darf sich ja den Beitrittsprozess, die Beitrittsverhandlungen nicht als eine echte Verhandlung vorstellen, wo man sozusagen über die Kriterien feilscht, nach denen man beitritt, sondern die EU hat einen ganz klaren Codex, was muss ein Beitrittskandidat erfüllen, und es muss nicht nur auf dem Papier erfüllt sein, dass die Gesetze entsprechend angepasst sind, dass sie kompatibel sind zur EU, sondern es muss auch tatsächlich im Land umgesetzt werden und da wäre es gut, wenn wir jetzt tatsächlich weitere Kapitel aufmachen würden, insbesondere die Kapitel, wo es um Rechtsstaatlichkeit geht, wo es um Unabhängigkeit der Justiz geht, auch um die Grenzsicherung, die Flüchtlingsfragen. Das sind all die Themen, die momentan ja auch auf dem Balkan genauso wie bei uns eine große Bedeutung haben, und deswegen wäre es gut, wenn wir dort weitere Schritte machen würden und neue Kapitel eröffnen.
Simon: Sehen Sie denn die Bedingungen, die Sie gerade ansprachen, erfüllt? Denn wenn man im Fortschrittsbericht für Serbien vom letzten Jahr von der EU-Kommission nachliest, da werden ja gerade in diesem Bereich die Sachen kritisiert. Da gebe es nur sehr begrenzte Fortschritte und es werden dringend Verbesserungen angemahnt, gerade auch in dem Bereich, Stichwort Organisierte Kriminalität.
Friedrich: Ja, deswegen muss man die Kapitel auch eröffnen. Wir erleben jetzt schon eine ganze Weile, dass ein bisschen hinter der Kosovo-Frage und den Umgang des Dialoges Belgrad-Pristina ein Stück weit alles andere dahinter verschwindet oder versteckt wird. Das sind mühsame Reformen, das wurde schon angesprochen auch im Beitrag aus Belgrad, die umgesetzt werden müssen, und die Eröffnung von Kapiteln bedeutet noch lange nicht, dass tatsächlich die Kriterien der EU erfüllt wären, sondern es geht darum, sie zu eröffnen, um endlich an die wirkliche Implementierung von Unabhängigkeit der Gerichte, Medienvielfalt, Funktionieren der Staatsverwaltung, der Demokratie etc. heranzugehen. Die Eröffnung der Kapitel ist nicht die Belohnung für einen Prozess, sondern die Öffnung der Kapitel muss dafür dienen, dass man tatsächlich den Prozess im Land auch startet und umsetzt.
"Rückschritte bei einigen Themen"
Simon: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass da bis jetzt zu wenig passiert ist. Müsste es nicht umgekehrt sein, dass es da schon deutliche Anstrengungen im Land gibt? Muss man das nicht vorher regeln?
Friedrich: Mein Eindruck in Serbien war schon, dass man sich bemüht, aber es gibt auch tatsächlich Rückschritte bei einigen Themen, gerade Medienvielfalt, Offenheit, auch der Umgang mit der Opposition im Land und das Funktionieren der Demokratie. Da ist es nicht nur zum Besten bestellt. Deswegen wie gesagt: Die Eröffnung der Kapitel bedeutet auch, dass die EU, dass auch zum Beispiel ein Bundesland wie Baden-Württemberg mit den Ländern oder mit Serbien in dem Fall konkret kooperiert, um die Polizei zu verbessern, um die Gerichte zu verbessern etc. Die Verhandlungen sind der Weg. Die Eröffnung der Kapitel sind nicht der Abschluss des Weges, sondern sie sind dazu da, den Weg zu eröffnen.
Simon: Herr Friedrich, Sie sagten eben, die EU und auch Deutschland versteckt sich hinter dem Kosovo-Konflikt und führt deswegen nicht mit dem nötigen Elan diese Dinge fort. Nur Verstecken hinter dem Kosovo-Konflikt ist vielleicht ein bisschen kleingeredet. Die EU hat ja Erfahrungen damit gemacht, und zwar sehr schlechte, wie es ist, wenn man Länder weiter an sich heranlässt mit offenen Grenzkonflikten, Stichwort Zypern. Davon braucht man doch eigentlich nicht mehr in der EU.
Friedrich: Ja, das ist sicher richtig und ich sage ja auch nicht, dass man die Kosovo-Frage ausblenden soll. Aber das in der Gesellschaft zu verankern, was in den europäischen Werten und Standards zugrunde gelegt ist, sei es im Justizbereich, sei es bei der Wirtschaft, sei es bei der Korruptionsbekämpfung, all diese Dinge sind mühsame jahrelange Reformen. Wir haben mit Kroatien sieben Jahre lang verhandelt, bis Kroatien soweit war, beitreten zu können, und deswegen, glaube ich, ist es besser, die Kapitel zu öffnen, miteinander in einen offenen und auch schonungslosen Dialog zu treten, was muss in Serbien tatsächlich auch passieren und kann vorangehen - das gilt auch für die anderen Beitrittskandidaten -, anstatt zu sagen, wir warten, bis sich in der Frage Kosovo etwas bewegt. Weil dieser Warteraum, der auf dem Balkan entsteht für Europa, die EU hat ein Interesse, den Balkan in die europäische Integration ernst zu nehmen und zu integrieren in die Europäische Union, und das Interesse kann nicht so weit gehen, dass wir dort Zugeständnisse bei den Kriterien machen, also nicht die Fehler, die wir in Bulgarien, Rumänien gemacht haben, zu wiederholen, aber klar zu sagen, wir wollen, dass ihr zu uns kommt, und deswegen eröffnen wir jetzt auch diese Kapitel, damit ihr euch so entwickeln könnt, dass es auch tatsächlich auf Dauer funktioniert.
Simon: Aber, Herr Friedrich, wenn Sie gerade sagen, man hat ein Interesse daran - die meisten Menschen, die man fragen würde, würden wahrscheinlich sagen, bloß nicht noch jemanden und jemand, der so unfertig ist wie Serbien jetzt als Land. Was bewegt Sie dazu, zu sagen, das muss jetzt unbedingt und ganz schnell passieren?
Friedrich: Nein, ich sage nicht ganz schnell. Ich sage, dass das ein Prozess ist, und dieser Prozess wird Jahre dauern. Ich habe Kroatien schon genannt, sieben Jahre Verhandlungen und Umsetzung.
"Man muss irgendwann auch mal damit beginnen"
Simon: Aber warum jetzt?
Friedrich: Man muss irgendwann auch mal damit beginnen. Es geht ja nicht darum, zu sagen, wir attestieren euch jetzt schon die Beitrittsreife. Darum geht es überhaupt nicht, sondern man muss jetzt anfangen, genau diese Kriterien, die die EU hat, in den Ländern auch umzusetzen und in den Verwaltungen auch tatsächlich umzusetzen, und nicht abzuwarten, bis man sagt, wir haben in der Kosovo-Frage eine Lösung. Die Kosovo-Frage ist von politisch großer Bedeutung, aber in dem, was an Verwaltungshandeln da dranhängt, ein relativ kleiner Schritt, verglichen mit dem, was bei Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Demokratie, Medien auf uns wartet. Deswegen sage ich, man muss jetzt anfangen, mit Serbien die Verhandlungen in diesen Kapiteln zu eröffnen, damit man sich auf diesen jahrelangen Weg machen kann. Bis Serbien soweit ist, werden sicher noch viele Jahre ins Land gehen.
Simon: Die Verhandlungen der EU mit Serbien müssen vorangehen - die Meinung von Peter Friedrich (SPD), Europaminister Baden-Württembergs. Vielen Dank und gute Nacht.
Friedrich: Gute Nacht. Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.