479 der 623 Parlamentarier stimmten im EU-Parlament für den Entschließungsantrag, der vorsieht, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorübergehend auszusetzen. Das heißt: Die EU soll nicht weiter mit der Regierung in Ankara über offene Verhandlungskapitel sprechen, neue Kapitel sollen nicht eröffnet werden.
Der Antrag wurde von den beiden größten Fraktionen im Parlament - den Christ- und den Sozialdemokraten - sowie von den Liberalen und Grünen gemeinsam erarbeitet. Eine Zustimmung galt deswegen schon vorab als gesichert. Die Entschließung ist eine Aufforderung an die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission, die für die Beitrittsgespräche zuständig sind. Rechtlich bindend ist sie nicht - über ein Aussetzen der 2005 begonnenen Gespräche kann nur der Rat entscheiden, in dem die 28 EU-Staaten vertreten sind.
Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, sprach dennoch von einem starken Signal, auch weil so viele Abegeordnete für den Antrag gestimmt hätten. Begründet wird die Forderung nach einem Aussetzen der Gespräche darin mit den "unverhältnismäßigen Repressionen", welche die türkische Regierung seit dem gescheiterten Militärputsch im Juli ergriffen habe. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat bereits erklärt, dass die erwartete Resolution für ihn ohne Bedeutung sei.
"Ein Mangel an Vision"
Der türkische Europaminister Ömer Celik bezeichnete das Votum des Europaparlaments am Mittag als "null und nichtig". Die Türkei nehme die Abstimmung nicht ernst. Zugleich erklärte er, die Entscheidung verletzte grundlegende europäische Werte und zeuge von einem "Mangel an Vision". Das EU-Parlament verliere das Gesamtbild aus den Augen, wenn es um die Türkei gehe. Die Parlamentarier sollten außerdem ihre Zunge hüten, wenn sie von Präsident Erdogan sprächen.
Nach Medienangaben sind seit dem Putschversuch im Juli mehr als 36.000 Menschen in der Türkei verhaftet worden. Mehr als 75.000 zivile Staatsbedienstete und Angehörige der Sicherheitskräfte wurden entlassen, Tausende weitere suspendiert. Die türkische Regierung wirft ihnen Verbindungen zur Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen vor, die sie für den Putschversuch verantwortlich macht.
(cvo/jasi)