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EU-Beitrittsverhandlungen
Kritischer Blick auf Serbien

Seit Jahren rücken die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens an Europa heran. Jetzt beginnen die offiziellen Beitrittsgespräche mit Serbien. Im Nachbarland Kosovo, das von Serbien bis heute nicht anerkannt wird, verfolgt man die Gespräche kritisch.

Von Cornelius Wüllenkemper | 20.01.2014
    Die Haupteinkaufsmeile in Priština, der Hauptstadt des Kosovo. Auf dem Mutter Theresa Boulevard haben Händler ihre Stände aufgebaut, verkaufen Strickwaren, Zigaretten oder Maronen. Florim Beqiri ist 40 Jahre alt und hat sich in der Morgenkälte seine Kapuze tief über die zerzausten Haare gezogen. Vor ihm der Verkaufstisch mit gebrauchten Büchern.
    "Ich stehe hier jeden Tag, auch im Winter, wenn es so kalt ist wie heute. Wir fangen um 10 Uhr morgens an und stehen hier bis abends, 19 oder 20 Uhr. Und das seit 1999. Als der Krieg vorbei war, habe ich meinen Job verloren und begonnen, hier Bücher zu verkaufen."
    Florim und seiner Familie geht es immer noch besser als vielen seiner Landsleute. Über die Hälfte der 1,8 Millionen Einwohner des Kosovo ist arbeitslos. Seine Bücher kauft und verkauft Florim in Euro, der bereits 2002 als Fremdwährung eingeführt wurde.
    "Ja, das ist das Symbol. Das zeigt uns, dass wir zu Europa gehören. Anfang des Jahres hat Lettland den Euro eingeführt. Wir zahlen schon seit der Einführung 2002 damit. Das ist irgendwie eine tragische Komödie."
    Im Laufe dieses Jahres soll das Kosovo ein Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Ein erster kleiner Schritt in Richtung einer möglichen EU-Mitgliedschaft in unbestimmter Zukunft. Das Kosovo, das 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte, wird nach wie vor von fünf EU-Mitgliedstaaten nicht anerkannt. Auch der Nachbarstaat Serbien, der jetzt nach langen Vorgesprächen Beitrittsverhandlungen mit der EU aufnimmt, verweigert dem Kosovo bisher die diplomatische Anerkennung.
    Keine neuen Mitgliedsstaaten mit ungeklärten Grenzen
    Nur 200 Meter von Florims Bücherstand entfernt steht eines der neuen Regierungsgebäude der autonomen Republik Kosovo. Ein moderner Büroturm aus Glas und Beton, 20 Stockwerke hoch. Gëzim Kasapolli ist beigeordneter Minister für die EU-Integration. Der 37-jährige mit Goldrandbrille sagt, der Traum von Europa sei seit der Aussicht auf das Assoziierungsabkommen zu einem festen Plan geworden: eine Vollmitgliedschaft in der EU.
    "Die Europäische Union muss kreative Lösungen finden, um das Kosovo nicht auf dem Weg in die Gemeinschaft zu behindern. Andererseits lernt die EU aus ihren Fehlern. Man will die Erfahrungen der Vergangenheit absolut vermeiden, zum Beispiel mit Zypern oder anderen Staaten, die aufgenommen wurden, obwohl sie eigentlich nicht darauf vorbereitet waren. Das Schlechte daran ist, ist, dass wir den Eindruck haben, für die früheren Fehler der EU verantwortlich gemacht zu werden."
    Vieles ist noch unklar: Wie ernsthaft ist die Absicht der Union, nach den Erfahrungen der Krise weitere Länder aufzunehmen? Werden alle EU-Staaten und vor allem Serbien das Kosovo anerkennen? Samuel Žgobar ist der Sondergesandte der Europäischen Kommission im Kosovo. Als früherer Außenminister Sloweniens kennt er beide Seiten, die des beitrittswilligen Kleinstaates und die der Union.
    "Eine Lehre, die wir aus der Aufnahme Zyperns gezogen haben, ist, dass wir keine Staaten mit ungeklärten Grenzsituationen integrieren sollten. Wir haben die Verhandlungen mit Serbien nur aufgenommen, weil parallel dazu ein Dialog mit dem Kosovo begonnen wurde. Kosovo und Serbien müssen ihre Beziehungen normalisieren, bevor Serbien in die EU aufgenommen wird."
    Auch der Buchhändler Florim glaubt, dass die Verhandlungen zwischen Serbien und der EU auch das Kosovo näher an die Union heranrücken wird.
    "Die Staatenlenker Europas, wie zum Beispiel Angela Merkel und andere, haben uns versichert, dass Serbien das Kosovo nicht daran hindern kann, ein Teil der EU zu werden. Serbien und Kosovo müssen zusammenarbeiten und sich gegenseitig helfen auf ihrem Weg nach Europa."
    Das Wichtigste an einem EU-Beitritt des Kosovo wäre für Florim, dass er und seine Familie seinen Bruder in Berlin besuchen könnten. Außerdem wolle er dort Bücher kaufen, um sie in Priština wieder zu verkaufen. Arbeiten, sagt er noch, wolle er in Deutschland nicht. Er will im Kosovo sein Volk unterstützen.