Martin Zagatta: Mitgehört hat Ahmet Külahci, Kolumnist der türkischen Zeitung Hürriyet, die ja auch unter Druck gekommen ist in diesem Wahlkampf. Guten Abend, Herr Külahci!
Ahmet Külahci: Guten Abend. Hallo.
Zagatta: Herr Külahci, zunächst einmal: Die Meinungsforscher, die waren ja bis gestern der Ansicht, auch dieser unfaire Wahlkampf, das Vorgehen gegen unkritische Medien, der neue Krieg mit der PKK, das alles würde sich nicht auszählen für Erdogan. Jetzt ist es ganz anders gekommen. Sind Sie von diesem Wahlausgang auch überrascht?
Külahci: Nicht nur ich, glaube ich. Auch die AKP selbst hat mit diesem Ergebnis überhaupt nicht gerechnet. Wie gesagt: Die Meinungsforschungsinstitute haben alle der AKP zwischen 38 und 44 Prozent der Stimmenanteile zugerechnet. Aber das ist doch eine sehr große Überraschung für alle, auch für mich selbstverständlich.
Zagatta: Lässt sich denn für Sie jetzt absehen, was das bedeutet? Wie wird das jetzt weitergehen in der Türkei? Setzt die AKP da Ihrer Meinung nach weiter auf Konfrontation?
Külahci: Ich hoffe es nicht. Ich habe erst gestern Abend nach den ersten Zahlen, die ein bisschen präsentiert worden sind, vom türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu gehört, dass er nicht nur für die Wähler, die ihn gewählt haben, Ministerpräsident sein wird, sondern für die ganze Türkei und für alle Menschen, die in der Türkei leben. Das sind Töne, die man in der letzten Zeit kaum gehört hat. Er meint, dass er jetzt den Samen der Liebe in der Türkei säen würde, und ich hoffe es, dass er es damit ernst meint, dass er anstatt zu spalten doch die ganze Bevölkerung in der Türkei gewinnt.
"Europäische Union hat große Fehler gemacht"
Zagatta: Samen der Liebe - können die auch im Kurden-Gebiet aufgehen? Da hat ja die AKP beziehungsweise die Regierung zuletzt Krieg geführt gegen die Terrororganisation PKK. Muss man sich da auf weiteres Blutvergießen einstellen, oder könnte dieser Samen der Liebe dort auch aufgehen?
Külahci: Ich hoffe, dass das überall für die ganze Türkei gelten wird. Ich meine, da hat man auch als PKKler doch einen großen Fehler begangen, glaube ich, indem die mit den Terroranschlägen doch sofort wieder angefangen haben, und als sie damit begonnen haben, hat der türkische Staatspräsident die Friedensinitiative für beendet erklärt. Gott sei Dank hat die Regierung das nicht ganz mitgemacht. Der Ministerpräsident meinte, mit der Friedensinitiative würden sie weitermachen, aber gegen die PKK würden sie doch unnachgiebig weiterkämpfen. Ich meine, das haben wir auch gesehen, dass diese PKK-Anschläge auch der prokurdischen Partei geschadet hat. In diesem Vorbericht haben wir gehört, dass die Menschen in Diyarbakir nicht damit zufrieden waren, aber es waren die Wähler in Diyarbakir, die kurdischstämmigen Wähler, die in Diyarbakir leben, die die HDP nicht gewählt haben, sondern auch die AK-Partei gewählt haben. Von daher muss man auch sich fragen, warum die Kurden selbst diese prokurdische Partei nicht gewählt haben.
Zagatta: Da ist das Konzept von Erdogan schon aufgegangen bei dieser Wahl. Aber wie passt das jetzt zu Bemühungen der Türkei, in die EU aufgenommen zu werden, zumindest mittelfristig? Ist das Erdogan noch wichtig?
Külahci: Ich weiß es nicht, ob es für Erdogan wichtig ist. Aber in den letzten Jahren hat man als Europäer, als Europäische Union große Fehler gemacht, glaube ich. Bis vor drei Jahren war die Akzeptanz, was den EU-Beitritt betrifft, bei den Türken in der Türkei ziemlich hoch, bis zu 78 Prozent. Aber in der letzten Zeit hatte diese Neigung, diese Begeisterung, EU-Begeisterung doch ziemlich abgenommen. Das liegt zurzeit bei 33 Prozent. Wenn ich die Regierungsmitglieder höre und denen Glauben schenken darf, die sind dabei, die sagen auch, dass sie doch ein sehr großes Interesse daran haben, dass die Türkei in der EU ihren Platz nimmt. Ich hoffe es, dass das der Fall sein wird. Das will ich deswegen, weil der Demokratisierungsprozess in der Türkei in westlichen Werten doch viel mehr und viel schneller weitergehen wird als bisher. Von daher: Ich bin dafür, dass die EU sich Gedanken machen sollte, dass man auch die Türkei ernst nimmt und auch denen gute Vorschläge macht.
"In der Flüchtlingsfrage kann man der Türkei nichts vorwerfen"
Zagatta: Die EU und auch Deutschland haben sich ja mit Kritik merklich zurückgehalten, offenbar auch, weil man in der Flüchtlingskrise auf die Türkei angewiesen ist. Was ist da jetzt aus Ihrer Sicht zu erwarten? Gibt es da irgendeinen Grund für die Türkei, die Flüchtlinge nicht weiterziehen zu lassen in Richtung Deutschland, so wie man sich das hierzulande erhofft?
Külahci: Ich meine, es ist enorm schwierig, glaube ich. Wir wissen alle, dass in der Türkei seit 2011, seitdem in Syrien dieser Bürgerkrieg angefangen hat, fast über zwei Millionen, 2,3 Millionen syrische Flüchtlinge leben. Und irgendwie hat die EU, haben die EU-Länder doch geschlafen, obwohl sie wussten, dass in der Türkei so viele Menschen leben und deren Lage nicht ganz einfach sei. Keiner machte sich Gedanken, wie diese Menschen dort leben, wie lange sie dort leben sollen. Die EU-Länder sind erst wach geworden, als diese Flüchtlinge sich auf den Weg nach Europa machten, das heißt vor zwei, drei Monaten. Wo waren denn die Europäer bis jetzt? Die Türkei hat man in dieser Hinsicht allein gelassen. Ich meine, man kann der türkischen Regierung viel vorwerfen in vieler anderer Hinsicht, was die Pressefreiheit betrifft und was die unabhängige Justiz betrifft. Da kann man wie gesagt die türkische Regierung kritisieren. Aber was die Flüchtlingsfrage betrifft, denen kann man überhaupt nichts vorwerfen.
Zagatta: Das heißt, Deutschland oder die EU müsste da jetzt mit Geld gewaltig einsteigen?
Külahci: Wir wissen ja alle, dass in der Türkei viel mehr Flüchtlinge leben als in den gesamten europäischen Unionsländern. Und darüber hinaus hat die Türkei bis jetzt acht Milliarden Euro ausgegeben für die Flüchtlinge. Das heißt, das ist viel mehr, als die gesamten EU-Länder ausgegeben haben. Wenn man sich Gedanken macht, wie diese Menschen sich nicht alle in Richtung Europa aufmachen, sollte man mit der Türkei zusammenarbeiten und den Menschen, die dort leben, den Flüchtlingen doch ein bisschen mehr Möglichkeiten geben, besser zu leben, wie Menschen zu leben. Ich meine, das ist nicht ganz einfach, wenn man in einer Zeltstadt leben muss und das nicht zwei, drei Monate, sondern zwei, drei Jahre lang. Das ist eine Katastrophe.
Zagatta: Ahmet Külahci von der türkischen Zeitung Hürriyet. Herr Külahci, herzlichen Dank für das Gespräch.
Külahci: Bitte schön.
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