Giovanni Carraro steht in einem Weinberg in Venetien im Nordosten Italiens und zeigt auf die Hügelketten am Horizont. "Diese Landschaft ist eine Ressource" sagt der athletische Mann, der hauptberuflich Nutzfahrzeuge eines deutschen Herstellers verkauft. Nebenberuflich kartographiert er längst vergessene Wege und Saumpfade, schreibt Wanderführer und setzt sich für einen sanften, naturnahen Tourismus ein. Der Tourismus wird in den ländlichen Teilen der Region noch nicht lange als Wirtschaftszweig wahrgenommen. Geld verdient man hier seit den 70er-Jahren in der Industrie, in Fabriken, die für ganz Europa und den Weltmarkt produzieren. Doch die Umsätze sind seit Jahren rückläufig und die Suche nach Alternativen hat zu einem Umdenken geführt. Nicht um Masse geht es, sondern um Qualität.
Der landwirtschaftliche Betrieb der Familie Collalto zum Beispiel hat von einfacher Milchwirtschaft auf Fleisch aus Mutterkuhhaltung und Mozzarella aus Büffelmilch umgestellt. Contessa Ninni Collalto, Nachfahrin eines alten Adelsgeschlechts, sieht im nachhaltigen Wirtschaften einen Wettbewerbsvorteil:
"So schaffen wir einen Kreislauf, in dem ein Produkt das andere bedingt. Es gibt keine nutzlosen Reste und keine Verschwendung. Die Büffel fressen das, was auf unseren Feldern wächst und sogar ihr Dung ist kostbar, weil er zur Produktion von Methangas eingesetzt wird. So speisen wir auch noch Strom aus nachwachsenden Rohstoffen ins staatliche Elektrizitätsnetz ein."
Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft
Die Unternehmerin aus Venetien ist inzwischen eine begehrte Expertin und berät Betriebe in ganz Italien bei der Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft. Nicht überall seien die Bedingungen so gut wie im Norden, sagt sie. In der Tat. Xenia Maria D'Oria, Agrarwissenschaftlerin und Besitzerin eines landwirtschaftlichen Betriebes in der Basilikata, einer der wirtschaftlich schwächsten Regionen Italiens, sieht sich in der Zwickmühle. Einerseits muss sie investieren, um biologisch zu produzieren, andererseits sind erhöhte Ausgaben in Krisenzeiten besonders riskant.
"Umstellen bedeutet, dass zehn Hektar Land vier Jahre lang keinen Ertrag bringen. Deshalb mache ich das graduell und reinvestiere das, was ich als Gewinn abschöpfe. Einfach ist das nicht."
D'Oria ist in Mailand aufgewachsen, hat sich aber in jungen Jahren dafür entschieden zu versuchen, das Landgut der Familie im Süden in einen gewinnbringenden Betrieb zu verwandeln. Sie fühlt sich durch die anhaltende Wirtschaftskrise eher herausgefordert als entmutigt. Italien habe nun die Chance, sich neu auszurichten. Der Tourismus ist für sie gerade in Süditalien ein Schatz, den es zu heben gelte. Seit einigen Jahren bietet sie auch Ferien auf dem Bauernhof und an und vermietet Zimmer. Die Hälfte ihrer Gäste sind Ausländer.
Landwirtschaftlicher und kulturhistorischer Reiz
Die Basilikata ist eine relativ unerschlossene Region mit landschaftlichem und kulturhistorischem Reiz. Beispielsweise die Stadt Matera, die inzwischen zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurde. Sie hat sich, auch mithilfe von EU-Mitteln, herausgeputzt und verzeichnet steigende Besucherzahlen - trotz der Krise. Der Präsident der Handelskammer von Matera Angelo Tortorelli hat es geschafft, seinen Mitgliedern, allesamt Unternehmern, die Bedeutung des Tourismus als Motor für alle übrigen Wirtschaftszweige bewusst zu machen.
"Das war gar nicht so schwierig. Wenn es nämlich darum geht, der Welt die schönen Seiten Italiens zu zeigen, beispielsweise unsere Weine, unsere landschaftlichen und kulturellen Schönheiten, dann kommt der Stolz dieser Nation zum Vorschein und das öffnet Türen. Wir tragen zur Entwicklung dieses Gebietes bei, mit dem Geld unserer Mitglieder, nicht mit öffentlichem Geld, aber das reicht noch nicht."
Mehr Zusammenarbeit zwischen Politik und Unternehmern wünscht sich Angelo Tortorelli aus Matera. Gespannt schaut er heute nach Mailand, wo die EU über das Thema Beschäftigung und flankierende Maßnahmen für den bisher ausbleibenden Wirtschaftsaufschwung diskutiert.