Einen Freund nennt Jean-Claude Juncker Michel Barnier, der gern selbst EU-Kommissionspräsident geworden wäre. Aber nicht er, sondern bekanntlich Freund Jean-Claude wurde von der politischen Familie der Europäischen Volkspartei zum Spitzenkandidaten gekürt. Jetzt also wird der Franzose die – irgendwann – beginnenden Verhandlungen mit den Briten für die EU-Kommission führen. Über den Austritt der Briten aus der EU und über die künftigen Beziehungen zwischen ihnen und der Union.
Barnier wird im Oktober seine Arbeit aufnehmen und die Verhandlungen vorbereiten, die noch nicht begonnen haben.
Und erst dann beginnen werden, so das Mantra von Natasha Bertaud und allen Sprechern und Sprecherinnen der EU-Kommission, wenn London offiziell seinen Austrittswunsch zu Protokoll gegeben hat.
Gaullist und überzeugter Europäer
Barnier, Gaullist und überzeugter Europäer, ist ein erfahrener Politiker. Er war Europaabgeordneter, Außenminister Frankreichs und von 2010 bis 2014 EU-Binnenmarkt-Kommissar. Die Bedingungen des weiteren Zugangs zum EU-Binnenmarkt gehören für Großbritannien mit Sicherheit zum wichtigsten, was zu verhandeln ist. Mit Barnier wird London kein leichtes Spiel haben. Das ist unschwer zu erkennen, wenn man hört, was er im Februar im französischen Fernsehen gesagt hat:
"Was keinesfalls akzeptabel ist, dass dem Vereinigten Königsreich eine Ausnahme vom Regelwerk des EU-Binnenmarkts bei der Arbeitnehmer-Freizügigkeit gewährt würde. Denn das wäre der Binnenmarkt à la carte."
Und weil man das mehrheitlich im EU-Parlament auch so sieht, stieß Barniers Ernennung zum Brexit-Verhandlungsführer der EU-Kommission bei vielen auf Wohlwollen. Beim CDU-Abgeordneten, Herbert Reul beispielsweise.
"Ich glaube, dass die Entscheidung, Herrn Barnier mit dieser Aufgabe zu betrauen eine gute Entscheidung ist. Er ist sehr kompetent. Er kennt sich aus. Er weiß auch wie politische Prozesse laufen. Er war auch auf der anderen Seite – also der politischen Arbeit in einem Nationalstaat."
Barnier ist deshalb gut vernetzt – in Brüssel und in den Hauptstädten. Auch Sozialdemokraten im EU-Parlament, wie Udo Bullman, schätzen den Franzosen.
"Er hat sich immer als solider Gesprächspartner erwiesen – erfahren, fähig, sich einzulassen auf Partner, ohne seine politische Linie zu verlieren. Er gehört nicht zu meiner politischen Parteienfamilie, aber ich kenne und akzeptiere ihn als ehrenvollen, sachkundigen Partner. Ich würde sagen: keine schlechte Wahl."
Jedenfalls wird er, Barnier, die Verhandlungen strikt im europäischen Interesse führen:
"Die europäischen Werte müssen erhalten bleiben. Das gemeinsame Regelwerk. Der Europäische Geist. Bei allem, was wir zusammen machen – wie den Binnenmarkt. Es gibt ein paar, die haben den Hinweis: Der ist ja Franzose. Der ist in der Frage etwas zu unerbittlich. Aber ich meine, wir brauchen ja auch einen, der entschlossen handelt."
Mit den Konsequenzen beschäftigen
Welches Gewicht Michel Barnier, der direkt EU-Kommissionspräsident Juncker unterstellt sein wird, letztlich in die Waagschale wird werfen können, hängt davon ab, ob mehr die Kommission oder der Rat – als das Gremium der EU-Länder, präsidiert von Donald Tusk - die Marschrichtung vorgeben wird. Tusk hat seinen Mann für den Brexit auch schon benannt: den erfahrenen belgischen Karriere-Diplomaten Didier Seeuws. Die Kommission sieht sich als die eigentlich zuständige Institution. Zwar sind Austrittsverhandlungen ein Novum. Aber Beitrittsverhandlungen sind ihre Domäne. Die Staats- und Regierungschefs werden sich aber nicht nehmen lassen, die Leitlinien für die Verhandlungen festzulegen. Wenn sie denn beginnen. Erst einmal wird Barnier das tun, was Seeuws schon tut: Sich mit den Konsequenzen beschäftigen, die verschiedene Modelle für die künftige Zusammenarbeit zwischen der EU und den Briten hätten. Momentan weiß niemand, weder in London noch in Brüssel, auf welches Modell es hinauslaufen wird.
Und auch das EU-Parlament wird mitreden, wenn schon nicht mit verhandeln. Der belgische Liberale Guy Verhofstadt ist der "Brexit-Beauftragte" der europäischen Volksvertreter. Auch er dürfte nicht die geringste Neigung verspüren, den Briten irgendetwas zu schenken.
"Für uns sind die vier Freiheiten im Binnenmarkt untrennbar."
Das heißt: Zugang zum Binnenmarkt für die Briten nur, wenn sich im Gegenzug nicht nur Kapital, Dienstleistungen und Waren weiter grenzenlos zwischen der EU und der britischen Insel bewegen können – sondern auch die Bürger. Stichwort Arbeitnehmer-Freizügigkeit.
Stellvertretender Brexit-Verhandlungsführer der EU-Kommission hinter Michel Barnier ist übrigens eine Verhandlungsführerin: die Deutsche Sabine Weyand, zurzeit in der Generaldirektion Handel stellvertretende Generaldirektorin.