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EU-Endlager-Richtlinie ist "ein Schritt auf dem Papier"

Die Grünen-EU-Abgeordnete Rebecca Harms kritisiert die neue EU-Richtlinie zur Atommüll-Entsorgung als unzureichend. Zugleich beklagte sie, dass der Export von Atommüll in Länder außerhalb der EU nicht mehr grundsätzlich verboten sein soll.

Rebecca Harms im Gespräch mit Peter Kapern | 20.07.2011
    Peter Kapern: Vor mehr als 50 Jahren ging in Europa der erste Atommeiler ans Netz. Die 140 AKW, die derzeit in Europa laufen, produzieren Jahr für Jahr etwa 7000 Kubikmeter hoch radioaktiven Mülls. Was damit geschehen soll, ist weitgehend unklar, denn nirgendwo auf der Welt, auch nicht in Europa, gibt es bislang auch nur ein einziges Endlager. Ein Zustand, der der nicht sonderlich atomkritischen EU-Kommission gar nicht behagt. Deshalb hat sie eine Richtlinie über den Umgang mit dem Atommüllproblem auf den Weg gebracht, und die ist gestern vom Ministerrat verabschiedet worden. EU-Energiekommissar Günther Oettinger sprach von einem wichtigen Erfolg. Das sehen andere aber ganz anders, zum Beispiel Rebecca Harms, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament. Guten Morgen!

    Rebecca Harms: Guten Morgen.

    Kapern: Frau Harms, was stört Sie an dieser Richtlinie?

    Harms: Mich stört in erster Linie daran, dass diese Richtlinie suggeriert, dass wir jetzt einen großen Schritt vorwärts gemacht haben, um das ungelöste Atommüllproblem in den Griff zu bekommen, und davon sind wir mit der Vorlage dieser Richtlinie eben noch genauso weit entfernt wie seit Beginn des Atomprogramms.

    Kapern: Aber warum? Die Länder, die Atomkraftwerke betreiben, müssen ja nun bis 2015 einen Plan vorlegen, wie sie mit diesem Atommüll umgehen wollen. Das ist doch ein Schritt voran.

    Harms: Ja das ist dann ein Schritt auf dem Papier, der, wie ich schon gesagt habe, suggeriert, dass man dieses Problem Atommüll lösen will. Das bedeutet aber noch keineswegs, dass in den Ländern, die in der Europäischen Union Atomkraft betreiben, oder auch Atommüll aus anderen Gründen haben, dass in diesen Ländern tatsächlich wir näher an einem Endlager dran sind, und das bedeutet noch gar nicht, dass wir an einem Endlager dran sind, das dann das Sicherheitsziel, nämlich eine Million Jahre sicherer Einschluss, tatsächlich gewährleistet.

    Kapern: Das Argument, Frau Harms, gestatten Sie die Nachfrage, verstehe ich noch nicht ganz. Günther Oettinger verweist ja immerhin darauf, dass er beispielsweise Deutschland und damit auch jedes andere EU-Land mit einem Vertragsverletzungsverfahren bedrohen könnte, wenn das jetzt nicht endlich vorangeht. Also da entsteht doch Druck im Kessel!

    Harms: Also diese Aussage von Günther Oettinger, die hat mich gestern wirklich ein bisschen zum Lachen gebracht, allerdings kein fröhliches Lachen, weil ich vorher von Günther Oettinger immer gehört habe, dass die Richtlinie, die er macht, für Deutschland keinerlei Problem darstellt, obwohl wir dieses Katastrophenendlager Asse haben, das abgesoffen ist, obwohl wir an einem politisch und nicht geologisch bestimmten Standort, nämlich in Gorleben, hauptsächlich das zentrale Endlagerprojekt vorantreiben. Also alles das hat Günther Oettinger bisher nicht gestört. Ich glaube, sein Argument von gestern war eine Art Verkaufsargument für seine Richtlinie, aber nicht für mehr Erfolg oder mehr Sicherheitsorientierung in Deutschland bei der Atommülllagerung.

    Kapern: In den Richtlinienentwurf, der ja aus der Feder von Oettinger stammt, ist von den EU-Ministern, von den EU-Mitgliedsstaaten etwas hineingeschrieben worden, was der gar nicht wollte, nämlich dass unter bestimmten Bedingungen Atommüllexporte in Länder außerhalb der EU durchaus möglich sind. Wie betrachten Sie diese Lösung?

    Harms: Es wird ja zurzeit innerhalb der EU zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich exportiert, es wurde auch viel nach England zur Wiederaufarbeitung exportiert und es wurde regelmäßig nach Russland exportiert alle Arten von radioaktivem Müll, und das was jetzt in der Richtlinie offengehalten wird, sehr bewusst offengehalten wird, ist insbesondere diese Möglichkeit, weiter nach Russland zu exportieren. Ich halte das eigentlich für einen Hinweis darauf, dass man sich die billigste Lösung immer noch offenhalten will und nicht die sicherste, nämlich für den Fall, dass man an Standorten in der Europäischen Union genau die Probleme bekommt, die man heute in Gorleben hat, nämlich wachsende Proteste gegen Endlagerung.

    Kapern: Aber immerhin verweist Oettinger darauf, dass die Endlager in Außer-EU-Staaten, in die Atommüll exportiert wird, europäischen Standards entsprechen müssen. Das müsste doch eigentlich Ihre Bedenken sänftigen?

    Harms: Wissen Sie, so katastrophal die Lagerumstände und überhaupt die atomaren Sicherheits- oder Unsicherheitsbedingungen in Russland heute sind, in Krasnojarsk oder in Tscheljabinsk zum Beispiel, so erschütternd schlecht die sind, so ist dann trotzdem ein Gutachten, das im Auftrag der Europäischen Union vom Helmholtz-Institut München durchgeführt worden ist, zu dem Ergebnis gekommen, dass das alles akzeptabel ist. Wir kooperieren ja in vielen atomaren Zusammenhängen mit Russland und noch nie hat eine nicht erfüllte Sicherheitsanforderung dazu geführt, dass die Kooperation nicht stattgefunden hat.

    Kapern: Aber wenn doch nun diese Richtlinie die Handhabe gibt, solche Sicherheitsstandards, bessere Sicherheitsstandards auch beispielsweise für russische Endlager durchzusetzen, dann wäre das doch ein Fortschritt?

    Harms: Also ich meine, es gibt in Russland auch noch kein Endlager. In Deutschland gibt es die Erkundung Gorlebens seit dem Jahre 1977. Also wir sind jetzt weit über 30 Jahre bei dem Versuch, noch immer ein Endlager herzustellen. Kein anderes europäisches Land ist weiter als Deutschland bei dieser Suche. Ich gehe nicht davon aus, dass Russland uns jetzt plötzlich überholen wird. Das was für Russland spricht zurzeit – und das wird auch in der Atomindustrie so gesehen - ist das billige Angebot, den Müll dahin zu verschieben, wenn man hier nichts Besseres findet, und das was für Russland spricht ist auf eine Art die Weite Sibiriens. Man sollte sich auf keinen Fall darauf einlassen und ich nehme das im Grunde Herrn Oettinger auch übel, dass er als wichtigstes Ziel dieser Richtlinie diese unverantwortlichen Transporte, also das Verschieben des Risikos in andere Länder, beenden wollte und dass er genau das nicht geschafft hat und das eigentlich auch nicht eingesteht.

    Kapern: Aber noch mal nachgefragt, Frau Harms, weil ich es einfach noch nicht verstehe. Herr Oettinger weist darauf hin, dass Atommüllexporte beispielsweise nach Russland nur dann möglich sind, wenn die Lager dort den europäischen Standards entsprechen. Das schließt doch sozusagen das, was Sie gerade geschildert haben, nämlich das Abstellen von Atommüll-Fässern auf sibirischen Wiesen, de facto aus?

    Harms: Ja dann müsste er ja jetzt damit anfangen, den Müll, der unter unerträglichen Bedingungen aus europäischen Ländern dort lagert, auch systematisch zurückzuholen. Also wenn es so weit ginge, dann würde ich die Ernsthaftigkeit dieses Unterfangens ja zugestehen. Aber ich spreche, glaube ich, ein Stück weit da an dieser Stelle aus Erfahrung. Papier ist geduldig. Das was Oettinger da hat aufschreiben lassen von seinen Beamten, das wird in der Realität so keine Rolle spielen.

    Kapern: Nun hat die Bundesregierung, Frau Harms, gestern angekündigt, dass sie bis zum Jahresende einen Gesetzentwurf in Sachen Atommüll-Entsorgung vorlegen will, mit dem Ziel, wieder einen parteiübergreifenden Konsens zu erreichen. Wie muss denn dieser Gesetzentwurf ausfallen, damit die Grünen auch hier zustimmen?

    Harms: Also da bin ich jetzt wirklich gespannt auf diese Vorlage. Das, was im Kern dieses Gesetzes verankert sein muss, ist, dass Deutschland anfängt mit einer wirklich systematischen, auf Kriterien basierten Suche nach einem Endlager. Diese Suche muss ergebnisoffen sein und sie muss in staatlicher Verantwortung sein, sie darf nicht in der Hand der Energieerzeugungsunternehmen, der Atomwirtschaft sein. Eine Voraussetzung, damit das auf Akzeptanz stößt, müsste sein, dass das mit politischer Begründung gewählte Endlagervorhaben Gorleben mindestens wieder zurückgeführt wird in den Stand eines echten Moratoriums, also dass kein Bohrmeißel unter Tage mehr arbeitet.

    Kapern: Rebecca Harms war das, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament. Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören, Frau Harms.

    Harms: Auf Wiederhören.

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