Von den Zinnen des Verkehrsministeriums tönen die Siegesfanfaren, und Hausherr Volker Wissing, der Heilige Georg mit dem Zündfunken, Schutzpatron aller Kolben, er triumphiert. Das Aus für das Verbrenner-Aus! So hat er es vollmundig auf Twitter verkündet.
Wochenlanges Gezerre
Es lohnt sich aber, das Dokument seines Triumphs unter die Lupe zu nehmen: den Kompromiss mit der EU-Kommission, dem Wissing nach wochenlangem Gezerre zugestimmt hat. Punkt eins: Deutschland beendet seine Blockade der Verordnung über die Flottengrenzwerte für PKW und leichte Nutzfahrzeuge. Und zwar ohne, dass ein einziger Buchstabe, auch nur ein Komma, daran geändert worden wäre.
Punkt zwei: Anschließend erst wird die Kommission versuchen, nachträglich die großflächige Zulassung von Verbrennungsmotoren, die ausschließlich e-Fuels verbrennen, in dieser Verordnung zu verankern. Und zwar mit einem delegierten Rechtsakt. Das ist ein Verfahren zur Rechtssetzung, das die Einflussmöglichkeiten der Mitgliedstaaten und des Europaparlaments auf ein Minimum beschneidet. Vorgesehen eigentlich für unwichtige Regelungen.
Rat und Parlament sind kaltgestellt
Wissing hat aus gutem Grund darauf bestanden, die im demokratischen Gefüge der EU vorgesehenen Gesetzgeber, den Rat und das Parlament, kaltzustellen. Denn für seinen Kreuzzug für die e-Fuels gibt es weder im einen noch im anderen Gremium eine Mehrheit.
Wäre es anders, wären die e-Fuels-Verbrenner ja längst in der Verordnung verankert. Schlimmer noch: Das Vorhaben, Wissings e-Fuel-Verbrenner auf dem Wege eines delegierten Rechtsaktes durchzusetzen, ist mutmaßlich rechtswidrig, weil dafür die Rechtsgrundlage fehlt.
Trotzdem hat der deutsche Verkehrsminister, ausgestattet mit der Macht des größten EU-Landes, der EU-Kommission so lange den Arm auf den Rücken gedreht, bis die wider besseren Wissens zugestimmt hat. Wissend, dass es ja noch den EuGH gibt, um diesem präpotenten Treiben ein Ende zu bereiten. Europaabgeordnete haben bereits angekündigt, nach Luxemburg zu ziehen.
Wissing steht mit leeren Händen da
Volker Wissing sollte also nicht darauf setzen, dass der delegierte Rechtsakt Bestand hat. Tut er auch nicht. Denn für den Fall, dass dieser dreiste Coup scheitert, soll, so ein weiterer Baustein des Kompromisses, die Kommission den ganz normalen, rechtskonformen Weg gehen, um die von Wissing so verabscheute Verordnung über das Verbrenner-Aus zu ändern.
Eine Revision dieser Verordnung war aber ohnehin für 2026 vorgesehen. Dann aber wird es, um Wissings Ziel zu erreichen, die Mehrheiten brauchen, die es derzeit nicht gibt. Ob das in ein paar Jahren anders ist, das kann heute niemand sagen.
Was man aber mit Bestimmtheit sagen kann, das ist: Einstweilen steht Volker Wissing - unabhängig von allem Fanfarengetöse - mit komplett leeren Händen da. Und zwar mitten in einer rauchenden Trümmerlandschaft.
Deutschland ist als vertrauenswürdiger Partner in der EU diskreditiert. Die filigrane Architektur der europäischen Kompromissfindung ist beschädigt. Deutschlands kurzsichtige Taktik, bereits gefasste Beschlüsse nachträglich aufzukündigen, wird Schule machen. Und die Krönung des Desasters war der Auftritt des Bundeskanzlers beim EU-Gipfel, des Mannes also, der Volker Wissing für dessen Treiben über Wochen Rückendeckung gegeben hat. Mit Häme hat er Journalisten übergossen, die ihn fragten, wann der Verbrennerstreit beendet wird. Ein Auftritt zum Fremdschämen.
Europa beschädigt, der Kanzler blamiert
Europa beschädigt, Wissing erfolglos, der Kanzler blamiert – warum dann das Ganze, fragt man sich. Kürzlich wurde das aktuelle Ranking der beliebtesten Politiker Deutschlands veröffentlicht. Volker Wissing und Christian Lindner haben darin einen großen Sprung nach oben gemacht.
Die Tatsache, dass Wissing nun sein Verbrenner-Nullum als Triumph ausweist, nährt den Verdacht, dass der von der FDP initiierte und vom Kanzler gedeckte Krawallkurs auf europäischem Parkett nur einen Sinn hatte: der bei Wahlen dahinsiechenden FDP neue Agilität einzuhauchen. Ob der Umfrageerfolg sich aber auch bei den nächsten Urnengängen auszahlt, bleibt abzuwarten. Die Methode aber untermauert den Befund, dass diese Regierung europapolitisch komplett unmusikalisch ist.
Peter Kapern, geboren 1962 in Hamm, Westfalen. Studium der Politikwissenschaften, der Philosophie und der Soziologie in Münster. Volontariat beim Deutschlandfunk. Moderator der Informationssendungen des Dlf, 2007 bis 2010 Leiter der Redaktion Innenpolitik, Korrespondent in Düsseldorf, Tel Aviv und Brüssel.