Frederik Rother: Wie umgehen mit Flüchtlingen? Diese Frage beschäftigt die EU spätestens seit 2015 intensiv, als knapp 1,3 Millionen Menschen in den Mitgliedsstaaten Asylanträge gestellt haben. Spätestens seit 2015 wird auch darüber nachgedacht, wie man die Migration nach Europa besser kontrollieren, steuern und vor allem eindämmen kann. Das wird auch einmal mehr Haupt-Thema auf dem EU-Gipfel sein, der morgen in Brüssel beginnt. Eine wichtige Rolle nehmen dabei die Westbalkanländer ein, wie etwa Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien. Erst vor einigen Tagen kursierte die Meldung, dass in Albanien ein Auffanglager für Flüchtlinge eingerichtet werden sollte. Das wurde inzwischen dementiert – dennoch ist für die EU klar: Die Balkanroute soll weiterhin zu bleiben. Und dafür ist Brüssel bereit, Gegenleistungen zu erbringen. Darüber spreche ich jetzt mit meinem Kollegen Norbert Mappes-Niediek, der den Balkan seit langem politisch beobachtet.
Herr Mappes-Niediek, was kann und will die EU den Westbalkanländern anbieten?
Norbert Mappes-Niediek: Nun ist das mit der Sicherheitspartnerschaft, also mit der Abschottung der Grenzen nach Südosteuropa zunächst mal nicht viel mehr als eine Idee. Die Albaner haben das sehr deutlich zurückgewiesen, Flüchtlingslager in Albanien einzurichten. Es ist auch schon die Rede von Bosnien-Herzegowina gewesen, ein konkretes Angebot ist damit noch nicht verbunden.
Im Moment fährt der Erweiterungszug erstmal weiter. Man hat beschlossen, tatsächlich bis 2019 Erweiterungsverhandlungen mit Mazedonien und Albanien aufzunehmen und der Diskurs darüber, ob man vielleicht Flüchtlingslager einrichtet, ob man Polizei hinunterschickt, ob man vielleicht sogar Armeen hinunterschickt, um diese Grenzen nach Südosten zu sichern, der läuft auf einer ganz anderen Ebene ab.
Und der albanische Regierungschef hat wohl schon sehr deutlich gespürt, wenn wir dieses Angebot annehmen, das wahrscheinlich auch mit viel Geld verbunden sein wird, dann werden wir nie Mitglied. Und deswegen auch diese harsche Ablehnung, die da aus Albanien gekommen ist.
EU-Angebote könnten angenommen werden
Und man wird sehen, ob alle Länder sich so ablehnend verhalten werden. Es ist durchaus möglich, dass dieses unterschwellige Angebot 'Wir geben Euch Geld dafür, dass Ihr uns die Grenzen sichert', auch irgendwo angenommen wird. Denn einige südosteuropäische Staaten und vor allem die Oligarchen in diese Staaten und die korrupten Politiker in diesen Staaten, es sind nicht alle korrupt, aber es gibt halt überall korrupte Nester, die haben durchaus ein Interesse daran, an dieser Form der Partnerschaft.
Man bekommt dann Geld und es nicht mehr die Rede von Demokratisierung, Übernahme von westlichen Standards, sondern man bekommt das Geld dafür, dass man Sicherheitsapparate unterhält, die einem vielleicht auch mal nützen können, wenn irgendwann mal Unruhen in der eigenen Bevölkerung ausbrechen. Also da gibt es auf dem Balkan, auch innerhalb der Gesellschaften einen massiven Interessenkonflikt.
Auf der einen Seite gibt es die Pro-Westlichen und die Mehrheit der Bevölkerung in allen diesen Ländern und auf der anderen Seite die Eliten, die das sehr praktisch finden, diese Idee, man könnte jetzt so eine Art Vormauer vor Europa werden und abschotten und die Aufgabe, für die Europa sich zu schade ist, selber zu übernehmen.
"Die Bevölkerung hat wenig davon"
Rother: Das heißt wir reden hier über Sicherheitspartnerschaften. Noch mal kurz gefragt, was bringt das denn genannten Staaten?
Mappes-Niediek: Nun, es wird ein Angebot sein, das ohne Zweifel mit viel Geld verbunden sein wird. Man muss halt differenzieren zwischen Eliten und der Bevölkerung. Die Bevölkerung hat wenig davon, sie wünscht im Grunde Bewegungsfreiheit, sie wünscht auch einen Beitritt, sie wünscht auch eine Macht in Brüssel, die vielleicht über den eigenen Eliten steht, die eine höhere Instanz ist, dann, wenn man mit den eigenen Leuten, der eigenen Regierung über Kreuz ist gibt es einen Schiedsrichter, der einem hilft westliche Standards durchzusetzen. Das ist eigentlich die Hoffnung, die damit verbunden ist. Die lässt sich aber nur dann verwirklichen, wenn es wirklich zum Beitritt kommt und die Demokratisierungsanstrengungen weitergehen und weiter reformiert wird. Aber nicht, wenn man, wie das jetzt der albanische Premier gesagt hat, Flüchtlinge dort ablädt, wie man Giftmüll ablädt.
Rother: Sie haben es gerade schon genannt, das Stichwort Beitritt. Jetzt ist einerseits von Sicherheitspartnern die Rede. Andererseits ist die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien geplant. Serbien und Montenegro sind schon EU-Beitrittskandidaten. Wie passt das denn zusammen?
EU nicht einig über Beitritte der Westbalkanländer
Mappes-Niediek: Es passt eigentlich überhaupt nicht zusammen und es bildet eigentlich nur den Umstand ab, dass die europäischen Staaten gegenüber der Südosterweiterung ja eine ganz unterschiedliche Haltung pflegen. Deutschland ist eher dafür, und die Visegrad-Staaten sind sogar ganz entschieden dafür, die Niederlande sind dagegen und Frankreich hat die Formel 'Keine Erweiterung ohne vorherige Reform der EU' und die Österreicher sind es, die vor allem auf diese Sicherheitspartnerschaft setzen und die Kommission macht jetzt einfach so weiter, als wenn es diese unterschiedlichen Auffassungen gar nicht gebe. Und das kann sie auch gar nicht tun, denn sie ist ja an Beschlüsse gebunden und die langfristigen Beschlüsse sind halt 'Wir nehmen diese sechs Balkanstaaten irgendwann auf'. Im Grunde ist der Grundsatzbeschluss schon 2003 gefallen und die Kommission tut nun das, was der Europäische Rat mit seinen Beschlüssen von ihr erwartet. Was hinter den Kulissen abgeht, ist natürlich eine ganz andere Frage.
Rother: Ganz kurz zum Schluss Ihre Einschätzung: Das Thema EU-Beitritt der Westbalkanländer steht schon länger im Raum. Klappt das oder sehen Sie da eher Hürden?
Mappes-Niediek: Also immer mehr Leute auf dem Westbalkan selber aber auch in den europäischen Mitgliedsstaaten glauben eigentlich gar nicht mehr wirklich an den Beitritt, der rückt in immer weitere Ferne. Anfang des Jahres hat ja Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach Jahren zum ersten mal wieder einen wagen Termin für die nächsten Beitritte genannt, und zwar das Jahr 2025 für Serbien und Montenegro. Die Bulgaren wollten das Ziel jetzt beim Gipfel in Mai in Sofia festzurren, sind dann aber von den großen und mächtigen EU-Staaten ohne Debatte abgebügelt worden und das ist kein gutes Zeichen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.