Friedbert Meurer: Es sind regelrechte Seelenverkäufer, auf denen Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder aus Afrika versuchen, nach Europa zu fliehen. Tausende sind dabei schon ertrunken. Gestern hat die Europäische Union über den Vorschlag beraten, die Schiffe zu zerstören, damit sie kein Unheil anrichten. Die Bedenken sind allerdings gewaltig und beträchtlich.
In der Debatte um die Flüchtlinge lautet ein Vorschlag immer wieder, die Verhältnisse vor Ort zu verbessern, damit die Menschen erst gar nicht fliehen müssen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Unter anderem deswegen gibt es den Vorschlag, die Schiffe der Schleuser von Soldaten zerstören zu lassen. Flüchtlingsorganisationen halten das für ein untaugliches Mittel. Warum eigentlich, wenn niemand zu Schaden kommt? Sandra Schulz hat gestern Abend die Grünen-Europaabgeordnete und frühere Chefin von Amnesty Deutschland gefragt, Barbara Lochbihler: Müssen Schleuserbanden, die Profit aus der Not der Flüchtlinge schlagen, nicht mit allen Mitteln bekämpft werden?
Man muss eine andere Politik machen
Barbara Lochbihler: Die müssen sinnvoll bekämpft werden, dass sie nicht solche brutalen Geschäftspraktiken an den Tag legen. Aber wenn man das will, sie zu bekämpfen, dann kann man eine andere Politik machen. Zum Beispiel kann man den Flüchtlingen anbieten, legale Wege nach Europa zu haben oder zu gehen. Jetzt setzt man hier auf dieses militärische Vorgehen und wenn man sich anschaut, was da heute Nachmittag überlegt wurde, ist das auch nicht ausgegoren. Es gibt einen Drei-Stufen-Plan, jetzt möchte man zuerst mal alle Informationen sammeln, alle verfügbaren Aufklärungsinstrumente wie Satelliten und so weiter sollen eingesetzt werden. Dann soll noch mal beschlossen werden im Rahmen der Minister, ob man dann zu Plan II und III kommt, nämlich Plan II heißt, die Schleuserschiffe zu durchsuchen und zu beschlagnahmen, und zum Schluss dann ein Militäreinsatz in libyschen Häfen oder an Land. Das wäre dieser Drei-Stufen-Plan und da muss ich sagen, ich halte das für nicht durchdacht.
Sandra Schulz: Das müssen Sie uns noch genauer erklären. Beschlusslage ist ja jetzt diese von Ihnen oder auch von der EU so genannte erste Stufe, die auf eine bessere Ausforschung abzielt. Ist es nicht so, dass über diese Schleuserbanden und deren Strukturen wirklich noch viel zu wenig bekannt ist?
Lochbihler: Anscheinend, das kann sein. Aber es gibt ja auch nicht eine klare Struktur, wie die sich aufbauen. Es gibt ja auch nicht eine organisierte Flucht. Viele Flüchtlinge sind ja im Familienverband, in kleinen Einheiten unterwegs, und wir wissen, dass auch die Schlepper ganz unterschiedliche sind. Teilweise sind sie mit den Milizen, die es in Libyen gibt, zusammen, teilweise agieren sie alleine, dann gibt es organisierte Schlepperbanden oder es gibt Amateure, die das ab und zu machen. Und da sich vorzustellen, es gäbe eine Struktur, die man zerstören kann, halte ich für nicht ausgegoren.
Es gibt die Nachfrage der Flüchtlinge
Schulz: Das kann man ja kritisieren, aber ist es nicht trotzdem einfach die deprimierende Tatsache, dass diese Kriminellen, diese Schlepperbanden ihr Geschäftsmodell so lange verfolgen werden, wie das möglich ist?
Lochbihler: Ja. Das sehen wir jetzt schon die letzten Jahre. Das haben wir gesehen vor 2011, bevor die Umwälzungen in der arabischen Welt waren. Da war die europäische Mittelmeer-Grenze dicht. Was haben die Schlepper gemacht? Sie sind dann über die Türkei und über den Grenzfluss gegangen. Ich sage es noch einmal: Die Schlepper haben die Nachfrage von Flüchtlingen, die keine andere Möglichkeit sehen. Wenn wir da nicht ansetzen, ist es eigentlich sehr zu kurz gedacht oder nicht überlegt, wenn man glaubt, man könnte mit der Zerstörung von Fahrzeugen irgendeinen Flüchtling davon abhalten, sich auf den Weg zu machen, sondern dann muss der Schlepper halt etwas anderes anbieten.
Schulz: Für den Militäreinsatz als solchen scheint ja ein UN-Mandat oder eine UN-Resolution des Sicherheitsrates nötig zu sein. Wie schätzen Sie denn die Chancen? Wird das zustande kommen?
Lochbihler: Man überlegt sich ja, dass man das vielleicht bis im Juni erreichen kann. Das ist nicht so einfach, weil man muss ja davon ausgehen, dass dann quasi die Flüchtlinge wie Angreifer gesehen werden, weil Flüchtlinge sind ja bisher keine Sicherheitsbedrohung. Ein Mandat nach Kapitel sieben der UN-Charta geht eigentlich immer von einer Sicherheitsbedrohung aus.
Schulz: Und das sind diese Schlepperbanden nicht?
Lochbihler: Ja. Aber sie sind keine Bedrohung, keine Sicherheitsbedrohung für Europa.
Schulz: Aber die Schlepperbanden oder das Resultat, das kostet doch Tausende Menschen ihr Leben.
"Man könnte es den Leuten leichter machen"
Lochbihler: Ja und ich glaube auch, dass man organisiertes Verbrechen bekämpfen muss. Aber die Ursachen werden Sie nicht mit dem Bombardieren von Schiffen oder Zerstören von Schiffen lösen. Das werden Sie nicht, weil Sie werden nicht die Flüchtlinge abhalten können. Die Kriege hören nicht auf, die Verelendung hört nicht auf. Deshalb muss man da ein ganz anderes Konzept machen. Sich jetzt da zu versteifen, dass man durch die Zerstörung der Infrastruktur etwas bewirkt, das ist wirklich der falsche Ansatz.
Schulz: Sie haben es schon oft gesagt, Sie haben es auch jetzt gerade wieder gesagt. Die richtige Antwort, das wären legale Einreisemöglichkeiten aus Ihrer Sicht. Wie soll Europa das bewältigen?
Lochbihler: Wie soll Europa das bewältigen? - Es gibt in dem Vorschlag, den Kommissionspräsident Juncker am Mittwoch gemacht hat, die Möglichkeit, dass Europa in größerem Umfang Menschen aufnimmt in einem Wiederansiedlungsprogramm. Das wäre zum Beispiel eine Entlastung. Man könnte auch zum Beispiel bei den Syrern in EU-Delegationen und Botschaften im Libanon zum Beispiel oder in Jordanien humanitäre Visa ausstellen, weil wir ja wissen, zum Beispiel in Deutschland bekommt jeder Syrer Asyl, egal welchen religiösen Hintergrund er hat. Man könnte es den Leuten leichter machen, hier herzukommen.
Übrigens sagt auch der Kommissionspräsident Juncker in seinem Papier, dass es notwendig ist, legale Möglichkeiten zu schaffen. Nur ist es jetzt hier mal auf dem Papier festgehalten, aber es ist noch nicht umgesetzt.
Meurer: Barbara Lochbihler, die außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, zur Flüchtlingspolitik. Die Fragen stellte meine Kollegin Sandra Schulz.
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