Das Dublin-Verfahren heißt wie die irische Hauptstadt, in der es 1990 beschlossen wurde. Im Kern besagt es, dass jeder Flüchtling in dem EU-Land Asyl beantragen muss, wo er zuerst EU-Territorium betritt. Das ging so lange halbwegs gut – jedenfalls aus Sicht derjenigen Länder, wie auch Deutschland, die keine Außengrenzen haben – so lange sich die Zahl der Flüchtlinge in Grenzen hielt, die innerhalb eines kurzen Zeitraums kamen.
Mängel gab es immer; Italien und Griechenlands Rufe nach Unterstützung verhallten lange – auch in Berlin – ungehört. Aber spätestens seit dem letzten Jahr, als Tausende täglich in die EU kamen, funktioniert das Dublin-System nicht mehr. Der zuständige EU-Kommissar Avramopoulos sagt das schon lange.
"Wir wollen Dublin ambitioniert und substanziell so verbessern, dass es im Ergebnis für alle fair ist."
Erst wollte die EU-Kommission ihren Entwurf für ein reformiertes Dublin schon Anfang März auf den Tisch legen. Es verzögerte sich – nicht zuletzt deshalb, weil es ohne eine wie immer ausbuchstabierte Abweichung vom Prinzip der Alleinzuständigkeit der Länder mit Außengrenzen für Asylbewerber nicht gehen wird.
Anfang April dann stellte die EU-Kommission zwar noch immer keinen fertigen Gesetzesentwurf zur Reform von Dublin vor, stattdessen zwei alternative Ansätze einer Reform zur Diskussion mit allen Beteiligten, um die Reaktionen berücksichtigen zu können. Die zwei Optionen, wie Dublin wieder funktionstüchtig werden könnte, erläuterte EU-Vizekommissionspräsident Timmermans so:
"Wir können entweder einen korrektiven Fairness-Mechanismus zum existierenden Dublin-System hinzunehmen. Nennen wir es Dublin Plus. Wir würden das bestehende System grundsätzlich erhalten, ergänzt durch eine automatische Umverteilung von Asylbewerbern unter bestimmten Umständen. Oder aber wir könnten grundsätzlich die Kriterien für die Durchführung von Asylverfahren ändern. Das würde bedeuten, dass alle Asylbewerber von Anfang an immer nach einem festen Verteilungsschlüssel verteilt würden."
Grundsätzliche Veränderungen im Dublin-System notwendig
Option 2 entspräche also einer großen Dublin-Reform, mit einem deutlichen Schritt hin zu einem gemeinsamen europäischen Asylverfahren. Da schon gegen die Umverteilung von Asylbewerbern aus Italien und Griechenland in einer besonderen Belastungssituation nach wie vor von einigen EU-Länder passiver Widerstand geleistet wird, scheint diese Option politisch kaum durchsetzbar, dürfte sich also kaum im heutigen Vorschlag für ein reformiertes Dublin-System wiederfinden. Obwohl es im EU-Parlament eine Mehrheit so sieht wie die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel.
"Wenn wir jetzt Dublin überarbeiten, darf das nicht kosmetisch sein, sondern muss grundsätzliche Veränderungen beinhalten."
Visa-Liberalisierung für die Türkei
Mit einiger Spannung wird heute in Brüssel nicht nur der Entwurf der EU-Kommission zur Dublin-Reform erwartet sondern auch, was sie zu einem anderen Thema von einiger Brisanz sagen wird – Stichwort Visaliberalisierung. Als Teil des Flüchtlingsdeals mit der Türkei hat die EU Türken bei der Einreise in ihre Grenzen weitgehende Visa-Freiheit schon für den Sommer zugesichert. Allerdings nur, wenn sie alle Kriterien dafür erfüllt, betont der EVP-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, die CSU-Politiker, Manfred Weber.
"Es darf keinen Flüchtlingsrabatt geben. Die Auflagen, die wir mit Visa-Erleichterungen verbinden, müssen von der Türkei umgesetzt werden."
Zu diesen Kriterien gehört auch, dass die Türkei ihrerseits alle EU-Bürger visafrei einreisen lässt. Gestern verkündete EU-Kommissionssprecher Schinas, dass Ankara das umgesetzt hat, womit insgesamt 64 von 72 Kriterien für Visa-Freiheit erfüllt wären.
"Die türkische Regierung hat ein Dekret erlassen, dass allen EU-Bürgern aus allen 28 EU-Ländern die visa-freie Einreise in die Türkei erlaubt. Ich wiederhole – aus allen 28 Ländern."
Also auch jene Bürger aus 11 EU-Ländern, die bis dato für die Türkei noch ein Visum beantragen mussten – inklusive Zypern. Für die Türkei ein heikler Punkt, weil sie sich damit einer de facto Anerkennung des geteilten Inselstaates als Ganzes annähert und somit von ihrem Beharren auf einer eigenständigen Türkischen Republik Nordzypern abrücken muss. Dadurch ist es wahrscheinlicher geworden, dass die EU-Kommission heute feststellen wird, dass die vorgezogene Visa-Liberalisierung für die Türkei greifbar ist. Nicht jedem ist wohl dabei. Manfred Weber beispielsweise nicht.
"Es kann nicht sein, dass die Türkei am Anfang alle Kriterien auf dem Papier umsetzt und dann nachhaltig nicht liefert. Deshalb brauchen wir auch Mechanismen, wenn die Türkei wieder vertragsbrüchig wird, werden auch wieder Visums-Auflagen aufgebaut."
Deutschland und Frankreich gehören zu den EU-Ländern, die befürchten, dass Touristen aus der Türkei die Visafreiheit nützen könnten, um illegal länger als die erlaubten drei Monate in der EU zu bleiben und dass vermehrt kurdische Flüchtlinge in die EU kommen könnten. Paris und Berlin wollen deshalb eine Art spezielle "Aussetzungsklausel", wenn sich die eine oder die andere Befürchtung bewahrheiten sollte. Wie alle vergleichbaren Abkommen der EU mit Drittländern könne auch dieses im Falle des Nicht-Funktionierens ohnehin suspendiert werden, zeigte sich EU-Vizekommissionspräsident Timmermans am Wochenende im Deutschlandfunk skeptisch gegenüber dem Anliegen.
"Wir haben deutliche Kriterien auf den Tisch gelegt. Das haben wir mit allen Ländern gemacht, die gern Visa-Liberalisierung wollen. Wir werden natürlich nicht diese regeln ändern im Endspiel."