"Wir brauchen uns nicht in allem einig zu sein, um zu erkennen, wie wichtig Einheit ist in einer Welt, die sich schnell ändert. In dieser Einheit liegt die Zukunft Europas!"
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte während seiner Grundsatzrede vor dem europäischen Parlament in Straßburg Mitte Juni. Bisher hatte sich Rutte in Europa als "Mister No" einen Namen gemacht. Mehr Kompetenzen an Brüssel abzugeben, kommt für seine rechtsliberale VVD-Partei nicht in Frage, sie ist gegen ein weiteres Zusammenwachsen. So reagieren die niederländischen Rechtsliberalen auf die wachsende EU-Skepsis der Wähler und versuchen, europafeindlichen Parteien im Parlament, allen voran der "Partei für die Freiheit" von Geert Wilders, das Wasser abzugraben.
Mark Rutte pocht auf Zusammenhalt, um Feinde von außen abzuwehren
In Straßburg aber zeigte sich Premier Mark Rutte auf einmal als leidenschaftlicher Europäer. Der 51-Jährige erinnerte an die alten John Wayne-Filme aus seiner Jugend: So wie einst die Siedler im Wilden Westen mit ihren Wagenburgen müsse die EU jetzt zusammenrücken und Feinde abwehren: "Der Brexit hat ein Loch in diese Wagenburg geschlagen", so Mark Rutte. Umso wichtiger sei es jetzt, zusammenzuhalten – und alle Regeln und Absprachen einzuhalten. Denn, so Mark Rutte streng: "Ein Deal ist ein Deal":
"Wir sind eine Union von Werten und Gesetzen. Mitgliedschaft ist keine Absichtserklärung. Wer dabei sein will, hat die Verpflichtung, sich für unsere Pressefreiheit einzusetzen, für die Unabhängigkeit unserer Justiz, für die Rechtsstaatlichkeit und alle anderen demokratischen Errungenschaften. Das alles ist part of the deal."
Niederländische Medien sprechen von einer Liebeserklärung an Europa, von einer neuen Ära. Aus dem Saulus sei ein Paulus geworden. Vom "draai van Rutte" ist die Rede, von der Wende von Mark Rutte. "Auf einmal geht es in Europa für Mark Rutte nicht mehr nur um Handel und Geld, sondern auch um Werte!" staunte der niederländische Historiker Arend Jan Boekestijn. Diese Wende kommt nicht von ungefähr: Frankreich und Deutschland haben die Initiative für einen europäischen Neustart ergriffen – und dabei wollen die Niederländer nicht im Abseits landen. Bislang konnten sie darauf vertrauen, dass die Briten für sie in Brüssel auf die Bremse traten – doch diesen Bündnispartner haben sie durch den Brexit verloren. Um weiterhin Einfluss zu nehmen, muss Mark Rutte sein Image als Mister No loswerden. Denn wer dauernd Nein sagt, redet nicht mit.
Die Niederländer wollen mitreden - auch um den Handel zu schützen
Und mitreden, das wollen die Niederländer: zum Beispiel, um die Einführung von Grenzkontrollen innerhalb der EU zu verhindern, weil das auch den Handel belasten könnte. Damit stellen sie sich zu 100 Prozent hinter die Vorschläge von Angela Merkel. Den Haag will auch dafür sorgen, dass Flüchtlinge nach dem Vorbild des Türkei-Deals außerhalb Europas aufgefangen werden - in Tunesien oder Ägypten. Mark Ruttes Rechtsliberale sind schon seit langem dafür; seit einer Parlamentsdebatte Ende letzter Woche wissen sie 85 Prozent der Abgeordneten hinter sich.
Mitreden wollen die Niederländer auch beim Geld: Sie sind vehement gegen den deutsch-französischen Vorschlag eines Euro-Zonen-Budgets. Es reiche vollkommen, wenn sich jeder Mitgliedstaat unter Einhaltung der EU-Maßgaben um seinen eigenen Haushalt kümmere. Unter der Leitung des niederländischen Finanzministers haben 12 EU-Staaten am Wochenende einen gemeinsamen Protest-Brief an Eurogruppenchef Mário Centeno geschickt.
Den Haag ist auch nach wie vor gegen einen EU-Finanzminister und gegen eine Transferunion, gegen eine Aufstockung des EU-Haushaltes und – ganz generell – gegen mehr Europa: Die EU müsse sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, sprich: Handel, Euro, Klima, Sicherheit und Migration, so Mark Rutte und zitierte Johann Wolfgang von Goethe: In der Beschränkung zeige sich der Meister.
Aus Mister No ist also keinesfalls ein Ja-Sager geworden. Er verpackt es bloß freundlicher, um sich in Brüssel einen Platz am Verhandlungstisch zu sichern.