"Es muss verhindert werden, dass Menschen sich überhaupt in Bewegung setzen", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament im Deutschlandfunk. Die Flüchtlinge müssten ihre Zukunft in ihren Heimatländern sehen. Brok sprach sich in diesem Zusammenhang für eine neue Entwicklungs- und Handlungspolitik aus.
Darüber hinaus forderte er ein stärkeres Vorgehen der EU und der Vereinigten Staaten im Mittleren Osten und im Kampf gegen die Terrormiliz IS, um die Kriege in der Region zu beenden. Auch in Libyen müsste die Regierung stabilisiert werden, sagte der CDU-Abgeordnete.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Festung Europa, Massengrab Mittelmeer – ist das polemisch oder ist das eine treffende Zustandsbeschreibung? Schätzungen zufolge sind in diesem Jahr bisher rund 2.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken, gescheitert bei dem Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Die EU verweist auf kriminelle Schlepperbanden und deren skrupelloses Geschäft, aber wer nach Europa kommen will aus Nordafrika, was bleibt dem schon anderes übrig, als eben sich in die Hände solcher Schlepperbanden zu begeben?
Wohl 200 Menschen haben in dieser Woche den Wunsch nach einer Zukunft mit einem Leben in Europa mit ihrem Leben bezahlt, und das sind nach wie vor natürlich noch nicht bestätigte Zahlen. Die knapp 400 Leute, die gerettet wurden, die sind gestern aber auf Sizilien gelandet, und die Suche nach Überlebenden, die läuft immer noch. Riccardo Mastrocola berichtet.
Am Telefon ist jetzt Elmar Brok, CDU, im Europäischen Parlament ist er der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. Guten Morgen!
Elmar Brok: Guten Morgen!
Schulz: Herr Brok, hat die EU eine Mitschuld an diesem Bootsunglück, letzten Endes an wohl mehreren hunderten Toten?
Brok: In diesem konkreten Fall eigentlich nicht, denn die Rettungsmaßnahmen waren ja da, es waren Schiffe da, zum Schluss waren sieben verschiedene Schiffe da. Hier ist die Frage, wie kommen Menschen auf ein solches Boot, dass das in solcher Sekundenschnelle sinken kann? Und hier muss die nächste Mission ran, die ja beschlossen ist, die jetzt anläuft, EUNAVFOR MED, das heißt, eine militärische Mission, die es möglich macht, die Wege der Schlepper festzustellen und auch hineinzugehen, dass solche Boote unnutzbar gemacht werden, dass Menschen nicht auf solche Boote draufkommen können.
"Stärkeres Vorgehen der EU und Amerikas im Mittleren Osten notwendig, um Krieg abzubauen"
Schulz: Wie wollen Sie das denn verhindern, solange der Wunsch der Menschen in Nordafrika so stark ist, nach Europa zu kommen und es keine legalen Einreisemöglichkeiten oder Passagemöglichkeiten gibt?
Brok: Ich meine, wenn wir jetzt dahingehen, dass wir sagen, wir machen jetzt eine reine Zugangsweise für Europa und dass da keine Hemmnisse eingebaut werden, dann sind wir, glaube ich, in einer schwierigen Situation. Wenn man sich die Lage der Bürgermeister in deutschen Städten anschaut oder in anderen Städten.
Die Frage ist, wie sie davon abgehalten werden können. Da ist natürlich eine völlig neue Entwicklungspolitik notwendig und eine neue Handelspolitik, dass die Menschen zu Hause bleiben, da ist ein stärkeres Vorgehen der EU und Amerikas und im Mittleren Osten notwendig, um Krieg abzubauen. Das sind die wahren Ursachen.
Die Frage ist, wie sie davon abgehalten werden können. Da ist natürlich eine völlig neue Entwicklungspolitik notwendig und eine neue Handelspolitik, dass die Menschen zu Hause bleiben, da ist ein stärkeres Vorgehen der EU und Amerikas und im Mittleren Osten notwendig, um Krieg abzubauen. Das sind die wahren Ursachen.
Schulz: Das ist ja jetzt auch immer wieder gesagt worden, aber Herr Brok, es ist ja trotzdem unbestritten, dass unter vielen Menschen, die diese lebensgefährliche Passage versuchen, auch Menschen sind, die Recht auf Asyl haben, wenn sie in Europa sind. Das soll ihnen aber trotzdem nicht gewährt werden?
Brok: Natürlich soll es ihnen gewährt werden, wenn sie dann in Europa sind und das Asylverfahren abläuft.
"Die wahre Katastrophe sind doch diese Boote"
Schulz: Aber auch nur, wenn sie Glück haben.
Brok: Aber deswegen ist es notwendig, dass wir hier auch die Dinge verändern, dass es beispielsweise die Zuwanderung auch vom Balkan her, die beendet werden muss, wo es keinen Asylanspruch gibt, die aber 40 Prozent der Zuwanderung in Deutschland ausmachen.
Hier muss man, glaube ich, härter vorgehen, damit diese von vornherein unberechtigten Personen nicht hier Plätze wegnehmen. Aber wichtig ist es auch, zu verhindern, dass Schlepperbanden dieses machen können, und dass solche Boote aus dem Verkehr gezogen werden, und dass auf diesem Grunde jetzt mit doch den zustande kommenden neuen Beziehungen Libyens, wie es hier unternommen wird – die wahre Katastrophe sind doch diese Boote, die da gestellt werden, und ich glaube, das muss gestoppt werden.
Hier muss man, glaube ich, härter vorgehen, damit diese von vornherein unberechtigten Personen nicht hier Plätze wegnehmen. Aber wichtig ist es auch, zu verhindern, dass Schlepperbanden dieses machen können, und dass solche Boote aus dem Verkehr gezogen werden, und dass auf diesem Grunde jetzt mit doch den zustande kommenden neuen Beziehungen Libyens, wie es hier unternommen wird – die wahre Katastrophe sind doch diese Boote, die da gestellt werden, und ich glaube, das muss gestoppt werden.
"Wir stehen vor einer Völkerwanderung höchsten Ausmaßes"
Schulz: Ja, aber das ist ja nun jetzt schon seit mehreren Jahren eigentlich Kenntnisstand, und die Boote, wenn die zerstört werden, dann nehmen die Flüchtlinge im Zweifelsfall noch schlechtere. Es gab ja große Aufregung um den ungarischen Zaun, aber ist nicht nach wie vor die Abschottung Europas einer der gemeinsamen Nenner durchaus in der EU-Flüchtlingspolitik?
Brok: Nein, es ist nicht die Abschottung. Ich glaube nicht, dass von vornherein alles offen sein kann, und wenn Sie, ich sage ja schon, vom Balkan reden, wenn Sie sehen, dass Ungarn 50.000 Asylbewerber hat, von denen große Teile vom Balkan kommen, die keine Berechtigung haben, dann haben Sie eine Situation – Ungarn hat mehr aufgenommen als Italien, wir reden immer nur über die Mittelmeerflüchtlinge.
Was passiert mit den Menschen, die aus Eritrea kommen und durch die Sahara gehen, wo wahrscheinlich in der Sahara noch mehr Menschen umkommen als im Mittelmeer. Das ist doch eine Völkerwanderung, vor der wir stehen, höchsten Ausmaßes, und deswegen muss an anderen Stellen etwas unternommen werden und auf diese Art und Weise, glaube ich, verhindert werden, dass Menschen sich überhaupt in Bewegung setzen.
Was passiert mit den Menschen, die aus Eritrea kommen und durch die Sahara gehen, wo wahrscheinlich in der Sahara noch mehr Menschen umkommen als im Mittelmeer. Das ist doch eine Völkerwanderung, vor der wir stehen, höchsten Ausmaßes, und deswegen muss an anderen Stellen etwas unternommen werden und auf diese Art und Weise, glaube ich, verhindert werden, dass Menschen sich überhaupt in Bewegung setzen.
Schulz: Das ist immer wieder gesagt worden, hat bisher nicht geklappt. Es gibt auch diese Forderung nach legalen Einreisemöglichkeiten und Passagemöglichkeiten schon seit langem – wächst nicht mit jeder Schiffskatastrophe, bei der mehrere hundert Menschen sterben möglicherweise, wie jetzt auch bei dieser jüngsten, der moralische Druck, in diese Richtung zumindest zu denken?
Brok: Die Europäische Union nimmt ungeheuer viel auf, und wenn Sie sehen, in welchem Umfange ja gerade gestern allein an die 2.000 Aufnahmen, Rettungen durchgeführt worden sind und viele, viele Tausend mehr nach Europa gekommen sind, dann müssen Sie ja sehen, dass die Öffnung da ist, dass geholfen wird. Da kann man sicherlich auch mehr machen.
Aber dennoch kann es nicht sein, dass man solche Boote zulässt und es nicht verhindert, und deswegen habe ich große Hoffnungen, dass die neu jetzt in Gang gekommene Mission, die es möglich macht, bis an die libyschen Grenzen heranzukommen, vielleicht sogar auch, auf libyschen Boden zu kommen, dass man hier abfängt, dass Menschen nicht auf solche Boote kommen, um auf diese Art und Weise es unmöglich zu machen.
" Wichtig ist es, dass die Menschen ihre Zukunft in ihren Heimatländern sehen"
Schulz: Ja aber, Herr Brok, solange Sie so argumentieren, sagen Sie ja doch im Grunde, die Menschen sollen bleiben, wo sie sind.
Brok: Wichtig ist es, dass die Menschen ihre Zukunft in ihren Heimatländern sehen. Wenn Sie die Situation sehen, wenn Sie es völlig offen haben – bei allen humanitären Fragen, die wir diskutieren –, dann müssen Sie sich mit den Bürgermeistern in deutschen Dörfern auseinandersetzen. Das ist eine Situation, wo bestimmte Grenzen vorhanden sind, und Sie müssen das in einem Gesamtkonzept sehen. Wir müssen Menschenleben retten, das ist die erste Aufgabe, Menschenleben zu retten, deswegen muss man dieses Unternehmen, deswegen sind die Anstrengungen der Rettung vorhanden, aber auch das Verhindern, solche Boote zu benutzen, ist, glaube ich, von entscheidender Bedeutung.
Schulz: Herr Brok, geschätzt 2.000 Menschen haben in diesem Jahr ihr Leben schon verloren bei dem Versuch der Flucht über das Mittelmeer nach Europa. Jetzt noch mal der Versuch der konkreten Nachfrage: Was will Europa jetzt tun, um solche Fälle, um solche Totenzahlen auch künftig zu verhindern?
Brok: Zwei Wege: Das Erste ist, zu retten und hier vielleicht noch mehr zu machen und zweitens, zu verhindern, dass Menschen auf solche Boote gehen können.
Schulz: Haben Sie schon lange gesagt, Sie erinnern mich jetzt an ein Zitat von Martin Schulz, vom EU-Parlamentspräsidenten aus dem April – da hat es ja dieses sehr schwere Fährunglück gegeben mit, glaube ich, 800 Toten geschätzt –, da sagt Martin Schulz, wie oft wollen wir noch unsere Bestürzung zum Ausdruck bringen und danach zur Tagesordnung übergehen – was hat sich denn seit April geändert?
Brok: Diese neue Mission ist beispielsweise beschlossen worden, über die viel gestritten und es Ärger gegeben hat, weil nicht alle Länder teilnehmen wollten, und deswegen ist diese Mission, die Federica Mogherini vorgeschlagen hat, von so großer Bedeutung. Und hier müssen wir sehen, wie denn diese konkrete Situation passiert ist – es war doch das irische Schiff dort, und dann ist dieses Boot gesunken, die Rettungsmission war ja da, und dann ist mit dem Boot etwas passiert oder die Menschen haben sich dann zu einer Seite hin bewegt und dann ist dieses furchtbar schlechte Boot in dieser blitzartigen Art und Weise gesunken mit den vielen Toten, und deswegen ist ja hier die Mission der Rettung gegeben, aber nicht vermieden worden, dass solche Boote eingesetzt werden.
"Es war ein großer Fehler, die Libyer alleinzulassen"
Schulz: Das ist im Einzelfall natürlich noch ein besonders tragischer Fall gewesen, aber die Sorge, dass es immer wieder Menschen versuchen werden, immer wieder Menschen sterben, auch hunderte Menschen sterben, das streiten Sie ab?
Brok: Nein, das habe ich doch gerade gesagt, dass sie sterben und deswegen müssen verhindern, dass sie auf solche Boote kommen, deswegen ist diese Mission ... Nicht das eine oder das andere oder dritte allein löst es, es ist eine Zusammenfassung von Dingen.
Zum einen Asylbewerberverfahren schnell zu machen, die Gruppen vom Westbalkan nicht hineinzulassen, im Mittelmeer zu retten, Schlepperbanden zu bekämpfen und deren Boote zu bekämpfen und den Menschen, ihren Regionen eine Lebensperspektive zu geben. Das ist ein sehr umfassendes breites Konzept.
Weder das eine, noch das andere löst das Problem, sondern all dieses zusammen muss es lösen, einschließlich einer verbesserten Handels- und Entwicklungspolitik, und ein stärkeres Engagement gegen Kriege, wie sie ISIS macht.
Wenn Sie sehen, dass 8,1 Millionen Flüchtlinge allein in Syrien und um Syrien und Irak unterwegs sind, sind das ja noch ganz andere Dimensionen, die auf uns zukommen. Und wenn ich hier sehe, dass bei diesem Bootsunglück viele Menschen aus Syrien dabei gewesen sind, wie man hört – das heißt, welchen Weg müssen die gegangen sein, um nach Libyen zu kommen. Dann ist es auch von großer Bedeutung, dass wir eine libysche Regierung stabilisieren und deswegen ist es gut, dass der UN-Beauftragte Leon vor einigen Wochen die Parteien in Libyen zusammengebracht hat, um hier einiges zustande zu bringen, denn das konzentriert sich alles auf Libyen.
Ein großer Fehler, den wir gemacht haben – dann sind amerikanische und europäische Bomber hineingegangen, um Gaddafi von weiteren Massenmorden abzuhalten, dann haben wir die Libyer alleingelassen und hat nicht geholfen, ihnen eine neue staatliche Institution zu geben, und die Konsequenz davon ist jetzt, dass über Libyen diese Ströme kommen mit dem unsagbaren Leid.
Schulz: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, der CDU-Abgeordnete Elmar Brok, hier heute in den Informationen am Morgen. Danke Ihnen!
Brok: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.