Der neue EU-Haushalt ist so groß wie noch nie - und eigentlich sollte er auch eines der größten Forschungsförderprogramme der Welt enthalten. Es kam dann anders. Die EU-Abgeordneten erklärten heute mehrheitlich, dass sie den Haushalt so nicht akzeptieren wollen, weil darin vor allem bei der Zukunft gespart werde. So zum Beispiel beim Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" für die nächsten sieben Jahre. Ursprünglich waren 120 Milliarden Euro dafür angedacht, im Mai war man schon unter 100 Milliarden angelangt.
In den Verhandlungen am Wochenende war dann von Tag zu Tag weniger übrig, sodass man jetzt in etwa auf dem Niveau des letzten Budgets angekommen ist, mit insgesamt rund 81 Milliarden. Darüber sprechen wir mit Dr. Jan Wöpking. Er vertritt als Geschäftsführer die "German U15" - also 15 der forschungsstärksten Universitäten Deutschlands, von der Freien Universität Berlin bis zur Universität Würzburg.
Sophie Stiegler: Herr Wöpking, hätte es nicht noch schlimmer kommen können? Immerhin wurde nicht gekürzt im Vergleich zum letzten Haushalt.
Jan Wöpking: Es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Und ich glaube, wesentlich schlimmer wäre gewesen, wenn der Gipfel gar keinen Erfolg gehabt hätte. Das ist vielleicht das Erste, was man auch feststellen muss: Dass es ein Meilenstein ist, der errungen worden ist, was europäische Solidarität angeht. Natürlich kann man sagen, es hätte auch im Bereich der Forschung noch schlechter ausfallen können.
"Das kann nicht die Ambition sein, die wir in Europa haben sollten"
Stiegler: Ich höre da ein Aber?
Wöpking: Da ist auch ein Aber, das Aber kommt. Das kann ja nicht die Ambition sein, die wir in Europa haben sollten. Wir müssen konkurrieren mit den USA, mit China, mit globalen großen Forschungsstandorten. Die Ambition von Europa kann nur sein, da mitzuhalten, und dafür bräuchten wir ganz andere Forschungsansätze.
Stiegler: Kann man sagen, dass die Universitäten in Deutschland enttäuscht sind von den Verhandlungen?
Wöpking: Also wir sind auf jeden Fall überrascht gewesen von den Ergebnissen. Denn sie passen nicht zu dem, was der Anspruch Europas sein sollte. Der Anspruch muss sein, mitzuhalten mit China, mit den USA, der stärkste globale Forschungsstandort zu werden. Dazu passt es nicht, wenn man sich einen Gipfel anschaut, bei dem dann im Laufe der Tage das Budget für Forschung von einem ersten Ansatz, der schon gekürzt war vor dem Gipfel, im Verlaufe des Gipfels noch weiter reduziert worden ist.
Das Forschungsbudget wurde Tag für Tag kleiner
Das ging ja Tag für Tag, dass man hörte: Jetzt sind zwei Milliarden weniger, am nächsten Tag waren es dann fünf Milliarden weniger, und am Ende sind auf diesem Gipfel 8,5 Milliarden verlorengegangen. Das passt nicht zu einer Zeit, in der wir mitten in einer Jahrhundertpandemie sind, die nur mit Forschung und Innovation bewältigt werden kann und für einen Wiederaufbau stehen, für den wir genauso sehr Forschungsinnovationen brauchen. In dieser Zeit ausgerechnet in diesem Bereich nicht massiv zu investieren, in den Bereich Forschung und Innovation, das passt einfach nicht zusammen.
Stiegler: War denn die Forschungsförderung im Haushalt ein weiches Ziel, um zu streichen, also eines, bei dem vergleichsweise wenig Gegenwehr von den EU-Staaten kommt?
Wöpking: Es war auf jeden Fall ein mögliches Feld, in dem gekürzt werden konnte. Man muss auch natürlich sagen, dass die Forschungsförderung, also der Teil, der ja mit dem Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" verbunden ist, überwiegend kompetitiv vergeben wird, also im Wettbewerb zwischen den Staaten. Es kann natürlich sein, dass jetzt die Mitgliedsstaaten der Union andere Dinge im Auge haben als Mittel in wettbewerbsorientierte Verfahren reinzugeben, wenn sie – auch das ist natürlich aus der jetzigen Perspektive durchaus verständlich – in der Bewältigung einer Pandemie sind. Da geht es eher darum: Was habe ich für mein Land sicher und muss nicht in einem Wettbewerb auch noch erkämpfen? Das ist natürlich eine mögliche Perspektive, warum es gerade in dem Bereich zu Kürzungen gekommen ist.
Beim Europäischen Forschungsrat war man bestürzt
Stiegler: Haben die Forschungseinrichtungen auch ein bisschen geschlafen, um solche Streichungen frühzeitig zu verhindern?
Wöpking: Also wir haben, wenn Sie sich das anschauen, tatsächlich sehr viel gemacht in dem Bereich - nicht nur wir, sondern sehr viele Organisationen im Vorfeld. Es ist sogar so weit gekommen, dass der Europäische Forschungsrat - also die renommierteste und weltweit angesehenste Forschungsfördereinrichtung der Europäischen Union - sich in einem Statement bestürzt geäußert hat über die Entwicklung der Haushaltspläne. Das war sogar noch vor dem Ergebnis jetzt, also das richtete sich noch an ganz anderen Zahlen aus. Da ist eine Menge passiert im Vorfeld. Trotzdem – und da haben Sie vielleicht einen Punkt – konnten wir uns alle nicht vorstellen, dass das Budget in dem Maße heruntergeht.
Stiegler: Was bedeutet das konkret für die Forschung in Europa, wenn sie jetzt mit weniger Geld rechnen kann, sofern nicht mehr nachgebessert wird?
Wöpking: Also erstmal ist die Hoffnung ja, dass noch nachgebessert wird. Da wird es sicherlich in den nächsten Wochen sehr intensive Verhandlungen geben.
"Wir hoffen sehr, dass da noch nachgebessert wird."
Wenn das nicht der Fall ist, dann muss man gucken, was diese Kürzungen konkret bedeuten. Auch das ist noch nicht klar, wie sich das auf die einzelnen Förderprogramme und Förderlinien auswirkt. Ein Szenario ist, dass einfach jetzt die Kürzungen proportional runtergebrochen werden gegenüber den früheren Ansätzen. Das ist aber nicht das einzige. Auch das wird man sehen müssen in den nächsten Wochen. Aber ich glaube, dass es verfrüht wäre, darauf den Blick zu legen, sondern jetzt geht es erst mal darum, klarzumachen: Die Beschlüsse und der Haushalt ist gut für Europas Solidarität, das ist beeindruckend, was in dem Bereich geleistet worden ist. Und jetzt brauchen wir etwas, was genau so beeindruckend ist für den Bereich der Zukunft, nämlich der Bereich Forschung.
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