Immer wieder geht im Büro des Dorfbürgermeisters von Moisei die Tür auf: Mal streckt ein Angestellter den Kopf hinein, den Arm voller Akten. Mal ein Bauern in Gummistiefeln und Fellmütze.
"Der Bürgermeister ist hier so etwas wie der Dorfälteste. Man muss immer ansprechbar sein, egal was passiert, ob es brennt oder wenn sich zwei schlagen, dann muss der Bürgermeister schlichten."
Seit 15 Jahren ist Toader Ștețcu Bürgermeister in dem 9.000-Einwohner-Dorf in den Nordkarpaten. Seit 2004, das war drei Jahre vor dem EU-Beitritt Rumäniens.
Der 74-Jährige gehört mittlerweile genauso zum Inventar wie die Büsten, die auf dem Büroschrank verstauben - und bei denen längst jeder vergessen hat, wen sie eigentlich darstellen. Irgendwelche Feuerwehrleute wohl.
"Ich war Jahre lang der Schuldirektor hier im Dorf, ich kenne den ganzen Ort, jeden Hügel, jedes Haus. Ich hab dieses Amt nach meiner Pensionierung angetreten, weil ich wusste, in welcher Situation sich Moisei befand – ich wollte es verändern. Wir sind hier in einer Bergregion, mit vielen Häusern, die kaum zugänglich waren, es gab hier keine normalen Straßen, die Leute sind durch den Dreck gelaufen, viele Häuser konnte man nicht mal mit einem Pferdewagen erreichen."
"Vor dem EU-Beitritt war das hier ein primitives Dorf"
"Jeder will heute was von mir. So, wir fahren jetzt erstmal los. Ich komme ja gleich wieder..."
Sein Mitarbeiter fährt den Dienst-Dacia vor, rückt das Sitzkissen für den Bürgermeister zurecht. Langsam lässt er sich darauf nieder, um seinen Gästen die merkwürdige Wandlung zu zeigen: Während er immer älter wurde, hat er seinem Dorf eine Verjüngungskur ermöglicht, fast ausschließlich mit EU-Geldern finanziert.
"Vor dem EU-Beitritt war das hier ein primitives Dorf. Mit kleinen Häuschen, ohne fließendes Wasser, ohne Kanalisation. In den letzten Jahren hat sich Moisei radikal verändert."
Durch die Autofenster ist die Hauptstraße Moiseis zu sehen. Bis kurz vor dem EU-Beitritt kurvten die Autos hier in Schrittgeschwindigkeit um die Schlaglöcher. Statt Bürgersteigen liefen links und rechts der Straße die Abwässer durch die offenen Kanäle.
Jetzt rollt der Dacia, ohne zu holpern, über die frisch asphaltierte Straße.
"Wären wir nicht in der EU, ja dann würde Moisei noch immer so aussehen wie früher, schrecklich! Und jetzt sind wir eine europäische Kommune, in der es gut läuft."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Europa, das ist hier! Wie der EU-Beitritt ein rumänisches Dorf verändert hat".
Bürgermeister Ștețcu bittet seinen Mitarbeiter zum Ende des Dorfes zu fahren, zur neuen Kläranlage.
Über 4,5 Milliarden Euro EU-Förderung allein 2017
Vor dem Gebäude steht ein Schild mit EU-Emblem – die sind an allen Ecken und Enden Rumäniens zu sehen. Über viereinhalb Milliarden Euro flossen allein 2017 aus dem EU-Haushalt nach Rumänien, mit einem Plus von über drei Milliarden gehört das Land zu den Nettoempfängern. Mehr als die Hälfte des EU-Geldes geht in die Regionalpolitik.
"Ja, das ist unsere Kläranlage, die ist zu 100 Prozent mit EU-Mitteln finanziert."
Toader Ștețcu begrüßt die Mitarbeiter des Klärwerks, die sich gerade an den Pumpen zu schaffen machen.
"Die Kläranlage ist aus Deutschland, ich bin extra hingefahren und habe mir da viele verschiedene Anlagen angeguckt"
Einer der Mitarbeiter führt uns zum Fluss, direkt hinter dem Gebäude. Bis 2010 landeten hier noch alle Abwässer des Dorfs. Ein Klärwerk gab es nicht. Nun sprudelt nur noch aus einem dicken Rohr nur noch klares Wasser.
"Hier kommt das geklärte Abwasser heraus."
Lieber in Brüssel Geld beantragt als in Bukarest
Der Bürgermeister steigt wieder in den Wagen. Weiter geht's. Schließlich möchte Ștețcu uns noch die vielen anderen Segnungen zeigen, die er dem Dorf mit EU-Mitteln gebracht hat.
"Wir haben etwa acht Millionen Euro an EU-Mitteln hier investiert. Mehr als alle anderen Dörfer in der Region."
Das liegt auch daran, dass der Bürgermeister nicht der Regierungspartei PSD angehört, sondern der liberalen PLN. Beantragte er Geld aus dem nationalen Budget, wurde das meist von den in Bukarest regierenden Sozialdemokraten abgelehnt.
"Ob man Geld aus Bukarest bekommt, hängt davon ab, in welcher Partei der Bürgermeister ist. Ich war immer in der Opposition, deswegen habe ich so viele EU-Gelder beantragt."
Der Dacia biegt von der Hauptstraße in ein Seitensträßchen ab, schiebt sich einen steilen Berg hinauf. Vorbei an Wiesen und kleinen Höfen.
"Diese Straße ist neu gemacht worden. In der Mitte war früher ein Sturzbach, man konnte hier im Winter nicht mal mit einem Pferdewagen hoch. Jetzt liegt ein Kanal unter der Straße, so haben sich die Leute das gewünscht. Komm, Jean, fahr noch ein bisschen höher rauf."
Bis 2004 Trinkwasser nur aus dem Brunnen
Neben der Hauptstraße gibt es in Moisei eigentlich nur solche Bergwege – und sie alle waren früher schlammige Pisten. Die Bewohner konnten ihre Häuser nur zu Fuß oder per Pferdewagen erreichen.
"Meine wichtigste Aufgaben war, alle Ecken, alle Häuser zugänglich zu machen. Wir haben hier im Dorf jetzt 130 Kilometer Straßen. Fast alle asphaltiert, mit EU-Geld."
Auch fließendes Wasser gab es in den meisten Häusern abseits der Hauptstraße nicht. Die Bewohner mussten ihr Wasser aus Brunnen oder Quellen schöpfen. Bis ins Jahr 2004 oder länger. Nicht unüblich in den rumänischen Karpaten-Dörfern.
Immer steiler geht es nach oben. Schließlich hält der Wagen auf der Bergkuppe, wir steigen aus: Unter uns liegt das Dorf. Dahinter schimmern schneeweiß die Gipfel der Karpaten.
"Schaut, da drüben der 'große Hügel', man kann jetzt hochfahren - und auch die Hügel gegenüber, alle asphaltiert. Das war nur mit EU-Mitteln möglich."
"Die Leute hören auf mich. Ich habe auch schon einen Nachfolger ausgesucht."
Toader Ștețcu hält sich an der Leitplanke fest, schaut hinunter auf das Dorf. Sein Dorf, allerdings nur noch ein Jahr. Dann gibt er sein Amt ab. Langsam und bedächtig steigt Stetcu wieder ins Auto.
"Die Leute hören auf mich. Ich habe auch schon einen Nachfolger ausgesucht, der das alles weiterführt, ein guter Junge. Ich werde den Bürgern empfehlen, ihn zu wählen. Es ist der richtige Mann für das Amt."
Er zeigt auf seinen Mitarbeiter, der jetzt den steilen Berg hinunter rast, der soll Vize-Bürgermeister werden.
Unten im Dorf steht gleich der nächste Termin an: Mittagessen mit dem Schuldirektor des Dorfes und anderen Honoratioren.