Archiv

EU-Gerichtshof zu Urwald Bialowieza
Naturschutz geht vor Wirtschaftsinteressen

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat klargestellt, dass die Fällaktionen im polnischen Bialowieza-Urwald rechtswidrig sind. In das Areal dürfe nicht eingegriffen werden. Umweltschützer fordern jetzt, das gesamte Gebiet des Urwalds auf polnischer Seite als Nationalpark auszuweisen.

Von Tonia Koch und Florian Kellermann |
    Baumfällarbeiten im polnischen Naturschutzgebiet Bialowieza
    Polen habe rechtswidrig gehandelt, als es in die natürlichen Abläufe eines der letzten intakten Urwälder Europas eingegriffen habe, entschied der EuGH (Imago)
    Was hat der EuGH entschieden?
    Die im Bialowieza-Waldareal geltenden Auflagen, die für diese sogenannten "Natura-2000"-Gebiete gelten, müssten ausnahmslos befolgt werden, so der Gerichtshof. Polen habe rechtswidrig gehandelt, als es in die natürlichen Abläufe eines der letzten intakten Urwälder Europas eingegriffen habe.
    Die polnische Regierung hatte 2016 die Genehmigung erteilt, dass im Bialowieza-Wald der Holzeinschlag drastisch erhöht wird. Dieser Maßnahme sind nach Angaben der EU-Kommission jahrhundertealte Bäume zum Opfer gefallen. Darüber hinaus hatte die Regierung forstwirtschaftliche Maßnahmen angeordnet, wie etwa Verjüngungsschnitte und Aufforstungen und hat auf diese Weise die natürlichen Prozesse des Urwaldes beeinflusst. Begründet wurden diese Maßnahmen mit der Ausbreitung des Borkenkäfers, der die gesunden Bestände im polnischen Urwald bedrohte.
    Eine Gruppe von Öko-Aktivisten hockt verteilt über eine abgeholzte Fläche des Bialowieza-Waldes. Im Hintergrund stehen noch Bäume.
    Naturschützer protestieren gegen die Abholzung im Naturschutzgebiet Bialowieza (dpa / Jan A. Nicolas)
    Die EU-Kommission hingegen war der Auffassung, dass die polnischen Behörden sich nicht ausreichend vergewissert hätten, welche Auswirkungen die angeordneten Waldwirtschaftsmaßnahmen für das Natura-2000-Gebiet nach sich ziehen werden und forderte die polnischen Behörden auf, den Holzeinschlag zu stoppen. Dieser Aufforderung kam Polen zunächst nicht nach, so dass die EU-Kommission im Sommer des vergangen Jahres Klage erhob. Polen habe sowohl gegen die Habitat-Richtlinie der EU zum Schutz der natürlichen Lebensräume verstoßen als auch gegen die in der EU geltende Vogelschutzrichtlinie. Dieser Auffassung ist der Europäische Gerichtshof heute gefolgt. Polen habe gegen seine Verpflichtungen aus beiden Richtlinien verstoßen. Die aktiven Waldwirtschaftsmaßnehmen seien nicht dazu geeignet, den Borkenkäfer einzudämmen, sondern führten zur Zerstörung weiter Teile des Natura-2000-Gebietes und zur massiven Bedrohung des Lebensraumes zahlreicher Vogelarten. Ob und in welcher Form Sanktionen gegenüber Polen verhängen werden, ist Sache der EU-Kommission.
    Wird die polnische Regierung das Urteil umsetzen?
    Ja, Polen werde das Urteil respektieren. Das hatte Umweltminister Henryk Kowalczyk schon vor der Urteilsverkündung am 17. April 2018 zugesagt. Kowalczyk hatte sein Amt im Januar angetreten. In Interviews nannte er es als seine ausdrückliche Aufgabe, die Auseinandersetzung mit der EU-Kommission um den Urwald beizulegen. Die Abholz-Pläne stammen von Kowalczyks Vorgänger Jan Szyszko - er galt als eng verbunden mit der Lobby der Förster und Jäger.
    Wird die Regierung den Urwald ab jetzt wirklich schützen?
    Beobachter in Polen weisen darauf hin, dass die polnische Regierung noch in einigen anderen Fragen mit Brüssel im Streit liegt, die für die rechtskonservative Regierungspartei PiS als deutlich wichtiger gelten, so wegen einer Justizreform. Deshalb habe die PiS zumindest in Sachen "Urwald Bialowieza" die Wogen glätten wollen, so Beobachter.
    Umweltschützer haben dennoch für Dienstag Nachmittag zu Protesten vor dem Gebäude der Forstverwaltung in Warschau aufgerufen. Sie fordern, dass die Forstverwaltung und die Polizei Strafanträge gegen sie zurückziehen. Derzeit sind an polnischen Gerichten über 180 Verfahren gegen Aktivisten anhängig, die vor Ort das Abholzen von Bäumen bei Bialowieza blockierten. Außerdem fordern Umweltschützer die Regierung dazu auf, das gesamte Gebiet des Urwalds auf polnischer Seite als Nationalpark auszuweisen. Dann wäre der Wald grundsätzlich der Forstbewirtschaftung entzogen. Bisher gehören nur rund ein Sechstel des Walds zum Nationalpark Bialowieza.
    Mit dem Urteil hat der Europäische Gerichtshof auch die Pläne der polnischen Regierung, in dem Schutzgebiet deutlich mehr Bäume zu fällen als bisher, für nicht zulässig erklärt.
    Polnische Reaktionen zu EU-Gerichtshof-Urteil zum Urwald Bialowieza (Audio)