Archiv

EU-Gipfel
"Die Zukunft der ukrainischen Wirtschaft, die ist ganz eindeutig im Westen"

Der Gipfel zur östlichen Partnerschaft wird ohne eine Unterschrift der Ukraine zum EU-Assoziierungsabkommen zu Ende gehen. Das reduziere den Wert des Gipfels, sagt der Vorsitzende der FDP-Parlamentarier im Europäischen Parlament, Alexander Graf Lambsdorff. Sich von Russland abhängig zu machen, sei da der falsche Weg.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Georgien also und Moldau – zumindest diese beiden Länder haben sich entschlossen, künftig näher an die Europäische Union heranzurücken. Auf ihrem Gipfel zur östlichen Partnerschaft wurden heute die Verträge dazu unterzeichnet. Vergessen kann das aber nicht machen, dass die Vereinbarung mit der Ukraine in letzter Minute an der Kehrtwende in Kiew gescheitert ist und damit ein wichtiger Baustein in dem Plan, ehemalige Sowjetrepubliken enger an Europa zu binden.
    Am Telefon begrüße ich Alexander Graf Lambsdorff, Vorsitzender der FDP-Parlamentarier im Europäischen Parlament. Schönen guten Tag, Graf Lambsdorff.
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Tag, Herr Barenberg.
    Barenberg: Wir haben es gerade gehört: Georgien und Moldau wollen sich stärker in Richtung Europa orientieren, wollen eine stärkere Zusammenarbeit in Zukunft. Bei der Ukraine hat es nicht geklappt, wie wir alle wissen. Welchen Wert hat dieser Gipfel heute aus Ihrer Sicht?
    Graf Lambsdorff: Der Wert ist erheblich reduziert. Es ist vollkommen klar, dass die östliche Partnerschaft, angesichts der Verhältnisse in Weißrussland, als wirklich großes wichtiges Land nur die Ukraine im Blick hat und haben konnte. Die Verträge mit Georgien und Moldau sind für sich genommen in Ordnung. Aber natürlich das Konzept der östlichen Partnerschaft und der Wert dieses gesamten Gipfels damit, der ist deutlich reduziert.
    Barenberg: Es kommt also vor allem und insbesondere auf die Ukraine an?
    Graf Lambsdorff: Ja. So einfach ist das. Die Ukraine – das muss man sich einfach klar machen – ist ein Land, das ist größer als Frankreich, hat fast 50 Millionen Einwohner, hat ein riesiges Potenzial, wenn es sich vernünftiger aufstellen würde, als es das derzeit tut. Dieses Assoziierungsabkommen hätte dabei geholfen, denn dann wäre die Ukraine bestimmte Verpflichtungen eingegangen, was Rechtsstaatlichkeit angeht, was Wirtschaftsreformen angeht. Das wird jetzt alles nicht passieren. Es gibt eine Rückwendung zu Russland. Das kann uns nicht erfreuen.
    Barenberg: Wir haben das ja alle erlebt in den vergangenen Tagen und Wochen, die überraschende Kehrtwende der Ukraine, die Wiederannäherung oder Orientierung in Richtung Russland. Die Präsidentin von Litauen hat heute gesagt, Kiew hat sich dafür entschieden, den Fortschritt in ihrem Land zu stoppen. Würden Sie das auch so sehen?
    Graf Lambsdorff: Ja ich glaube, das muss man so sehen. Dieses Assoziierungsabkommen – das klingt ja immer so sehr technisch und nach Eurokratensprech, wenn man so will, aber was da drinsteht, das sind ja wirklich ganz praktische Dinge. Das sind wie gesagt rechtsstaatliche Reformen, Wirtschaftsreformen, eine Angleichung der ukrainischen Gesetzgebung an die Gesetzgebung, die wir in Westeuropa haben und in Mitteleuropa, also mit anderen Worten ein Modernisierungskurs für das Land, und diesen Modernisierungskurs, den gibt es jetzt zunächst einmal nicht. Da hat Frau Grybauskait recht, wenn sie sagt, dass das eine Entscheidung ist, die eine positive Entwicklung in der Ukraine jedenfalls nicht befördert.
    Barenberg: Der Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowytsch, hat nun heute gesagt, er sei bereit, dieses Abkommen zu unterzeichnen, in naher Zukunft, hat aber gesagt, dafür bräuchte es noch eine stärkere finanzielle Unterstützung der Ukraine. Würden Sie sagen, dass das Angebot Europas an die Ukraine bisher nicht gut genug war?
    Anhänger der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko protestieren in der ukrainischen Hauptstadt Kiew
    Anhänger der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko protestieren in der ukrainischen Hauptstadt Kiew (picture alliance / dpa / Sergey Dolzhenko)
    Graf Lambsdorff: Na ja, da gab es eine spezielle Erwartung der Ukraine, die kann die Europäische Union in der Form gar nicht erfüllen. Und zwar war das so eine Art Rückversicherung, dass Probleme auf dem russischen Markt, die vielleicht entstehen könnten, wenn die Ukraine sich enger an Europa anbindet, von der Europäischen Union dann kompensiert werden sollten. Da aber ungefähr 50 Prozent des ukrainischen Handels mit Russland und den Ländern der Zollunion stattfinden, ist das eine Zusage, die kann die Europäische Union schlechterdings nicht machen. Das ist ein ungedeckter Scheck. Insofern, glaube ich, ist, dass diese Forderung jetzt wieder in den Raum gestellt wird, auch ein bisschen, um zu bemänteln, was da an Unerfreulichem passiert ist. Ich glaube, dass der positive Effekt für die Ukraine in der mittleren und langen Frist liegt, aber sicher nicht in Blankoschecks, die ausgestellt werden, wenn es Probleme gibt, was weiß ich, mit dem Handel mit Russland.
    Barenberg: Also von Ihnen, von Ihrer Seite kein Verständnis auch für die Nöte der Ukraine, wenn es beispielsweise um eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit vom russischen Markt geht?
    Graf Lambsdorff: Nun, es gibt diese Abhängigkeit vom russischen Markt, beim Gas in allererster Linie und bei bestimmten Handelsfragen. Aber schauen wir uns mal an, wie die Entwicklung der nächsten 10, 20 Jahre aussehen wird. Russland ist ein Land mit noch ungefähr 120, 130 Millionen Menschen, mit einer vergleichsweise geringen Kaufkraft und praktisch allein gestützt auf die Öl- und Gasexporte. Und die Europäische Union, das sind 500 Millionen Menschen mit einer relativ hohen Kaufkraft, wo langsam wieder jetzt sogar das Wachstum anfängt, sich bemerkbar zu machen. Das heißt, die Zukunft der ukrainischen Wirtschaft, die ist ganz eindeutig im Westen und nicht in Russland. Natürlich ist Russland ein Markt, der vor der Haustür liegt, und der wird immer wichtig sein für die Ukraine, aber in fünf, zehn oder 20 Jahren wird die Europäische Union überproportional in ihrer Bedeutung zunehmen für die ukrainische Wirtschaft.
    Barenberg: Aber welche Erklärung haben Sie dann dafür, wenn das alles so ist, dass die Strahlkraft Europas, dass das Angebot offenbar nicht attraktiv genug ist?
    Graf Lambsdorff: Ich glaube, das sind drei Faktoren. Das eine ist die Frage der Freilassung von Julia Timoschenko. Es hat ja sechs verschiedene Gesetzentwürfe gegeben im ukrainischen Parlament, die allesamt abgelehnt worden sind, mit denen eine Behandlung von Frau Timoschenko in Berlin möglich gewesen wäre. Ich glaube, dass Präsident Janukowytsch einfach nicht riskieren wollte, dass eine genesene Julia Timoschenko zurück in die Ukraine kommt und dort Wahlkampf macht. Wir haben im nächsten Jahr Wahlen in der Ukraine.
    Das zweite ist: Die Russen haben sehr klar damit gedroht, dass sie die Gaslieferungen einschränken würden, und ich glaube, dass diese Frage für die ukrainische Bevölkerung, jetzt, wo wir Ende November sind, natürlich auch wichtig ist. Einen kalten Winter möchte niemand riskieren. Und ich glaube, der dritte Faktor ist, dass Janukowytsch sich bis auf Weiteres einfach diese Frage offen halten will, ob er sich zwischen Russland und der Europäischen Union entscheidet, denn die Bevölkerung in der Ukraine selber ist auch zutiefst gespalten. Die Demonstrationen, die wir jetzt sehen, das sind die proeuropäischen Demonstrationen, aber es gibt natürlich auch Teile, da muss man realistisch sein, die sind eher nach Russland orientiert.
    Barenberg: Würden Sie sagen, die Verhandler aufseiten der EU müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie Russland bisher nicht genug eingebunden haben in diesen Prozess und damit dieses Ergebnis quasi provoziert haben?
    Graf Lambsdorff: Herr Barenberg, wir sind seit 1991 und der Charta von Paris eigentlich an einem Punkt angelangt, an dem alle Länder Europas gegenseitig vereinbart haben, dass sie ihre Entscheidungen, wie sie sich außenpolitisch orientieren, souverän selber treffen können. Und das muss auch für die Ukraine gelten, genauso wie es für die anderen Länder in Mittel- und Osteuropa gelten muss. Insofern wären Gespräche zwischen Brüssel und Moskau über Kiew eine Rückkehr in die schlechte alte Zeit der europäischen Geschichte, wo die Großmächte quasi über andere Länder entschieden haben. Das ist nicht das Europa, das wir wollen; das ist nicht das Europa der Europäischen Union. Insofern glaube ich, dass dieser Ansatz nicht funktioniert hätte und auch nicht funktionieren kann.
    Russlands Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Viktor Janukowitsch
    Russlands Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Viktor Janukowitsch (dpa / picture-alliance / Alexey Nikolsky)
    Barenberg: Kann Europa der Ukraine denn noch ein Stück weit entgegenkommen, oder schließen Sie das zum Beispiel gerade mit Blick auf den Fall Timoschenko kategorisch aus, dass wir das Angebot noch mal nachbessern?
    Graf Lambsdorff: Nein. Das ist ein Verhandlungsprozess. Ich will nicht ausschließen, dass man in ein, zwei Jahren noch mal an einem Punkt ist, wo man eine bessere Regelung hat, die für alle Seiten machbar ist und dann auch zu unterzeichnen ist. Es wird sehr darauf ankommen, wie in Kiew die Positionierung Moskaus eingeschätzt wird. Die Drohungen aus Moskau waren ja ganz klar, ich habe das mit dem Gas eben schon erwähnt. Sie müssen sich auch vorstellen, ganz praktisch, dass an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland zurzeit die LKW, die dort hin- und herfahren, damit der Handel ganz praktisch abläuft, auf das Penibelste untersucht werden. Da findet schon praktische Schikane statt. Derartige Dinge kann man nicht ausblenden. Und wenn in ein, zwei Jahren eine Situation da ist, dass die Russen mit einer anderen, einer vernünftigeren Haltung an diese Frage herangehen, dann ist vielleicht auch in Kiew die Analyse eine andere und man wird dann vielleicht doch zu einer Unterschrift kommen.
    Barenberg: Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Parlamentarier im Europäischen Parlament. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.