Archiv

EU-Gipfel in Brüssel
Cameron trotzt Partnern symbolträchtigen Kompromiss ab

Der EU-Rat hat sich in Brüssel mit Großbritannien auf einen Deal geeinigt. Der britische Premier David Cameron spricht nach stundenlangen Verhandlungen von einem historischen Moment für sein Land. Auch Bundeskanzlerin Merkel, die sich zwischendurch an einer belgischen Pommes-Bude stärkte, lobt den Kompromiss.

Von Stephan Detjen |
    Der britische Premierminister David Cameron verlässt mit einem Lächeln den EU-Gipfel in Brüssel.
    Erschöpft, aber zufrieden: Der britische Premierminister David Cameron verlässt den EU-Gipfel in Brüssel. (afp / Thierry Charlier)
    Mehr als 30 Stunden fast ununterbrochener Verhandlungen liegen hinter ihm. Dann, um 23 Uhr am gestrigen Abend, sprintet David Cameron mit federndem Schritt an das Rednerpult im Pressesaal des Brüsseler Ratsgebäudes: "This is an historic moment for Britain and people must be free to reach their own decision. In the end this is not a decision for politicians. It is a decision for the people."
    "Das ist ein historischer Moment für Großbritannien", ruft der britische Premierminister am Ende eines Verhandlungsmarathons, der für ihn nur der Auftakt für eine neue, schwierige Wegstrecke ist. Mit einer Kabinettssitzung beginnt morgen früh in London der Wahlkampf für das britische EU Referendum, das Cameron jetzt noch in diesem Sommer abhalten will. "Es ist am Ende eine Entscheidung des Volkes, nicht der Politiker", sagt Cameron. Großbritannien werde nie Teil eines europäischen Superstaates werden und dauerhaft außerhalb einer immer engeren Union bleiben. Mit diesem Versprechen will der Premier die tief gespaltenen Briten zum Verbleib in der EU bewegen. "Britain will be permanently out of ever closer union, never part of a european superstate."
    Die Abkehr Großbritanniens vom gemeinsamen Ziel, Europa zu einer immer engeren Gemeinschaft der Völker zusammenzuschweißen, ist die symbolträchtigste Trophäe, die Cameron seinen Partnern abgetrotzt hat. "Das ist sozusagen etwas, wo ich die Dinge anders sehe, das ist ganz klar", bekennt Angela Merkel. Mehr Europa, eine vertiefte politische Union, das waren für sie die wichtigsten Lehren aus der Euro-Krise der vergangenen Jahre. "Also, nach langem Verhandeln, man kann das schon einen Kraftakt nennen, den wir hier aufbringen mussten, ist es gelungen, ein Paket zusammenzustellen", sagt die Kanzlerin, die sich zwischen den Verhandlungsrunden an einer Pommes-Bude in der Nähe des Ratsgebäudes eine Auszeit und belgische Fritten mit andalusischer Sauce gegönnt hatte.
    Mögliche Entlastung auch für deutsche Sozialkassen
    Die 19 Euro Staaten können auch künftig weitere Schritte zur politischen Integration der Währungsunion unternehmen. Wettbewerbsvorteile für die britischen Banken sollen im gemeinsamen Finanzmarkt ausgeschlossen sein. Das sind aus Sicht der Bundeskanzlerin wesentliche Grenzlinien, die gegen alle Versuche Camerons gehalten wurden, so viele Vorteile und Sonderregelungen für sein Land mit nach London zu nehmen, wie nur irgendmöglich. "We will be in the parts of Europe that work for us and we will be out of the parts of Europe that don't work for us" Wir bleiben in Europa wo es für uns funktioniert und bleiben draußen, wo es uns nichts nutzt, verspricht Cameron den Briten.
    Sozialleistungen für innereuropäische, vor allem polnische Arbeitsmigranten in Großbritannien können gekürzt werden, ebenso Kindergeldleistungen für EU Ausländer, deren Kinder noch in den Heimatländern leben. Dies ein Verhandlungsergebnis, von dem sich auch Angela Merkel eine Entlastung der deutschen Sozialkassen erhofft: "So wie Dinge laufen, werden wir das in der Koalition überlegen. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir das auch umsetzen für Deutschland."
    Britendeal wegen Griechenland in Gefahr
    Immer wieder waren in diesen zweieinhalb Tagen in Brüssel neue Verhandlungsrunden, bi- und trilaterale Einzelgespräche notwendig geworden. Dass Europa am Ende auch dieses Mal wieder ein Kompromiss fand, war auch ein erster, persönlicher Erfolg des neuen Ratspräsidenten Donald Tusk. "Perhaps it was not an esthetic spectacle and far from glamerous" Es war nicht gerade eine glamouröse Veranstaltung, gestand Tusk am Ende. Besonders kompliziert erschien die Lage, als der griechische Premierminister Tsipras seine Zustimmung zum Britendeal mit der Forderung verknüpfte, sein Land vor einem Rückstau von Flüchtlingen nach einer drohenden Schließung der Grenzen auf der Balkanroute zu schützen. In der Flüchtlingsdiskussion stand auf diesem Gipfel besonders der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann in der Kritik, nachdem er einseitige Obergrenzen für die Annahme von Asylanträgen verkündet hatte.
    "Dass wir an europäischer gemeinsamen Lösung interessiert sind, ist Teil unseres Standpunktes. Dass wir aber nicht einfach abwarten, sondern selber Entscheidungen treffen für unser Land, das war vor der Sitzung klar uns ist auch jetzt klar", kündigte Faymann an, als er in der Nacht das Brüsseler Ratsgebäude verließ. In drei Wochen werden er und die 27 anderen Ratsmitglieder sich hier wieder treffen, um gemeinsam mit der türkischen Regierung die verschobene Bilanz der europäischen Flüchtlingspolitik zu ziehen.