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EU-Gipfel
"Klimapolitik wird anspruchsvoller werden"

Wenn beim EU-Gipfel eine Verschärfung der EU-Klimaziele beschlossen wird, dann wird das auch Deutschland betreffen, sagte Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Dlf. Zurzeit liege das deutsche Klimaziel noch über dem der EU. Wenn die EU anzieht, müsse auch Deutschland sein Ziel verschärfen.

Oliver Geden im Gespräch mit Georg Ehring |
Kraftwerk und Sonnenblumenfeld
Wenn die EU ihre Klimaziele verschärft, könnte der Kohleausstieg in Deutschland früher kommen als geplant (Bildnachweis picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte)
Bis zur Mitte des Jahrhunderts will die Europäische Union klimaneutral werden. Dafür ist allerdings ein höheres Tempo bei der Emissions-Senkung erforderlich. Die deutsche Ratspräsidentschaft hatte die Klimapolitik auf dem aktuellen Gipfel trotz Corona zu einem Schwerpunkt erklärt und vorab vor allem mit Polen, Ungarn und Tschechien lange über das Thema verhandelt. Aber ein höheres Klimaziel bedeutet auch für die deutsche Klimapolitik deutlich höhere Anstrengungen. Denn Deutschland ist nach wie vor der größte Emittent von Treibhausgasen in der Europäischen Union. Wie er die Entwicklungen und Möglichkeiten der EU-Klimapolitik sieht, erklärt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
EON Steinkohlekraftwerk Scholven, Gelsenkirchen, Windkraftwerke, Ruhrgebiet 
55 Prozent weniger CO2 - Die EU ringt um ihre Klimaschutzziele
Die EU-Kommission will Europa bis 2050 zum klimaneutralen Kontinent machen. Ein ambitioniertes Ziel, das nur erreicht werden kann, wenn der Treibhausgasausstoß schärfer abgesenkt wird als bislang geplant. Die Bundesregierung soll den Kompromiss ermöglichen - die Zeit drängt.
Georg Ehring: Wird der Gipfel mit mehr Klimaehrgeiz zu Ende gehen?
Oliver Geden: Ich denke schon, dass er mit mehr Klimaehrgeiz zu Ende geht, und es sieht auch so aus, als würden die 55 Prozent beschlossen werden, und das wäre in der Tat eine deutliche Steigerung. Im Moment haben wir ein Ziel von minus 40 Prozent und wir stehen bei minus 25 Prozent. Das ist in den nächsten zehn Jahren minus 30 statt minus 15, und das ist nicht wenig.
Schnellerer Kohleausstieg, mehr Elektromobilität
Ehring: Wie ist das zu schaffen? Macht man sich da jetzt schon die richtigen Vorstellungen bei uns?
Geden: Ich glaube, man macht sich in Deutschland die falsche Vorstellung, dass das für uns nicht so ganz relevant wäre, weil wir ja ohnehin besser sind als der EU-Durchschnitt. Es wird auch Deutschland betreffen. Wir haben ja unser eigenes Ziel. Das ist im Moment höher als das EU-Ziel. Wenn die EU aber verschärft, dann verschärfen wir auch oder müssen wir auch verschärfen. Das bedeutet sicherlich, dass der Kohleausstieg in Deutschland schneller vonstattengehen wird als bislang geplant. Da haben wir das Zieldatum 2038 und das wird bedeuten, dass zum Beispiel die Elektromobilität im Verkehr sehr viel schneller vonstattengehen wird, gehen muss, als das bislang geplant war. Aber letztlich bedeutet Klimaneutralität, dass ja früher oder später alle Bereiche in den Blick geraten und auch schneller in den Blick geraten. Ich glaube, das wird auch die Landwirtschaft betreffen – ein Bereich, der bislang in der Klimapolitik noch nicht so eine große Rolle spielt.
"Ungarn, Polen und Tschechien sind immer zögerlich"
Ehring: Nun gibt es drei Länder, die sich vor allem gegen höhere Klimaziele gesperrt haben: Polen, Ungarn und Tschechien. Glauben Sie, dass man die heute bei dem Gipfel ins Boot holen wird?
Geden: Ja, die wird man dann ins Boot holen, wenn man das größere Thema für diese Länder, nämlich die EU-Verhandlungen über den siebenjährigen Haushalt und über das Corona-Konjunkturpaket vorher aus dem Weg räumt. Es sieht seit gestern so aus, dass die deutsche Ratspräsidentschaft das geschafft hat. Die drei genannten Länder sind immer zögerlich, was neue höhere Klimaziele angeht. Es ist fast schon ein Ritual, möchte man sagen, wenn das Thema nicht so ernst wäre. Aber in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass sie dann am Ende doch immer beidrehen und mit der Mehrheit mitgehen, wenn sie hier und da Sonderkonditionen für sich aushandeln können. Natürlich ist der Modernisierungsbedarf gerade in der Energiewirtschaft, aber auch bei der energetischen Sanierung von Häusern dort größer. Aber ich denke schon, dass sie zustimmen werden.
"EU gehört global zu den Vorreitern"
Ehring: Das heißt, die EU ist jetzt handlungsfähig beim Klima? Man wirft ihr ja oft vor, dass sie mangels Einigkeit dort wenig zu melden hat.
Geden: Sie hat schon nach wie vor viel zu melden. Sie gehört ja auch global nach wie vor zu den Vorreitern, wenn man die Industriestaaten nimmt. Dieser Status wird ihr jetzt ein bisschen streitig gemacht werden von Großbritannien. Die waren immer besser als der EU-Schnitt und haben jetzt zum ersten Mal ihr eigenes UN-Ziel verkündet von minus 68 Prozent. Das ist natürlich eine wesentlich beeindruckendere Zahl. Aber die EU, wenn sie mal ein Ziel hat, ist sie handlungsfähig. Sie braucht manchmal sehr lange, bis sie das zu Ende diskutiert hat. Und auch mit einem Zielbeschluss heute ist die Sache noch nicht zu Ende. Es ist quasi nur das Oberziel, diese 55 Prozent, und das muss dann natürlich in alle bestehenden Gesetze umgearbeitet werden. Das muss entschieden werden, welcher Teil davon wird im Emissionshandel geliefert, welcher Teil mit anderen Gesetzen. Das hat was damit zu tun, inwieweit dann Länder kontrollieren können, was sie machen müssen, oder wieweit das europaweit geregelt ist.
Ein Thema, das zum ersten Mal jetzt sehr stark kommt, ist die Frage, wieviel von dieser Steigerung der Ambitionen eigentlich durchs CO2-Senken zum Beispiel in der Forstwirtschaft geleistet werden kann.
Emissionen reduzieren und vorhandene wieder aus der Luft ziehen
Ehring: Kritiker werfen der EU-Kommission ja vor, sich da schönzurechnen, indem man diese Senkung anrechnet. Ist das berechtigt?
Geden: Das ist teilweise berechtigt. Man hat diese Senkung bislang nicht mitberechnet. Das macht man in Deutschland auch nicht, wenn es um die Frage geht, erreichen wir unser Klimaziel oder nicht. Aber wir machen schon Aufforstungen im großen Stil und das macht so zwei, drei Prozentpunkte aus. Und wenn man jetzt sagt, wir machen minus 55 Prozent, aber mit einer neuen Berechnungsmethode, die zwei bis drei Prozentpunkte einbringt – ich würde es nicht Mogelpackung nennen, aber eigentlich müsste man sagen, wir machen 52 und dann drei mit einer ganz neuen Methode. Es wäre eigentlich immer gut, diese beiden verschiedenen Varianten der Klimapolitik zu machen, nämlich Emissionen reduzieren und Emissionen, die schon da sind, wieder aus der Luft ziehen, dass man das transparent trennt. Früher oder später hätte man das aber ohnehin tun müssen, weil Klimaneutralität oder Netto-Null-Emissionen bedeutet nicht, dass man sämtliche Emissionen eliminiert. Das geht technisch gar nicht. Einen Teil davon muss man zum Beispiel mit Aufforstung, aber auch mit anderen Methoden aus der Luft ziehen. Insofern das jetzt mit reinzunehmen, ja, ist ein Einmaleffekt. Die Zahl, die man tatsächlich reduzieren will, ist nicht ganz so hoch. Aber eigentlich war es unvermeidbar, dass man das früher oder später macht. Man hätte aber natürlich auch sagen können, 55 klassische Reduktion und dann kommen noch drei Prozentpunkte dazu. Aber ich glaube, am Ende des Tages sind das eigentlich Kleinigkeiten. Die Ambition wird wesentlich gesteigert und Klimapolitik wird in der nächsten Dekade wesentlich anspruchsvoller werden.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussi