Jasper Barenberg: Am Telefon ist der CSU-Politiker Manfred Weber, Vorsitzender der EVP im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen, Herr Weber.
Manfred Weber: Hallo! – Guten Morgen.
Barenberg: Herr Weber, bevor wir gleich über den Gipfel sprechen und die Verhandlungen dort, möchte ich noch mal auf die Irrfahrt des Rettungsschiffes "Lifeline" zurückkommen und den politischen Streit, den es ja auch darüber gestern gegeben hat. Acht EU-Staaten haben sich bereiterklärt, einige der gut 200 Flüchtlinge aufzunehmen – nicht der Bundesinnenminister, nicht die Bundesregierung, obwohl Länder wie Niedersachsen, Berlin oder Schleswig-Holstein das ja angeboten hatten. Finden Sie es richtig, dass Horst Seehofer diese Gelegenheit für eine Geste der Menschlichkeit ausgeschlagen hat?
Weber: Schwierige Frage, weil wir natürlich andererseits auch wissen, dass die Schlepperbanden im Mittelmeer gerade auf diese Notsituationen und auf diese humanitären Notsituationen setzen, dass sie die Menschen in Seenot bringen, die nach Europa wollen, dass dann aufgegriffen und gerettet wird, was alternativlos ist, Menschenleben zu retten - wir müssen uns um jeden einzelnen kümmern -, und dann natürlich die Häfen offen sind. Das war über Jahrzehnte hinweg, über Jahre hinweg jetzt mit Teil der Probleme im Mittelmeer. Insofern eine schwierige Frage.
Deutschland hat – das möchte ich schon unterstreichen – auch sich beim Resettlement, das heißt dieser organisierten strukturierten Art und Weise, den wirklich Geschundensten dieser Welt Obdach anzubieten, im Frühjahr die Entscheidung gefällt, über 10.000 Menschen freiwillig aufzunehmen. Auch das hat Horst Seehofer mit unterstützt. Insofern: Die humanitäre Seite ist da, aber mit den Schiffen im Mittelmeer haben wir wirklich ein Grundsatzproblem, wie wir damit umgehen. Wir müssen sicherstellen, dass die Grenzen gesichert werden.
"Den 200 Menschen in Not muss geholfen werden"
Barenberg: Wenn es ein Problem in Grundsatzfragen gibt, kann man das in Anschlag bringen in einer Situation, wo 200 Menschen in Not sind?
Weber: Wie gesagt, eine schwierige Frage, weil den 200 Menschen in Not muss geholfen werden. Allerdings muss man auch dazu sagen, nach dem internationalen Seerecht sind normalerweise die Häfen offen für die Aufnahme von solchen Seenot-Geretteten, die am nächsten liegen, und das wäre eigentlich Afrika. Das heißt, wir haben es schon mit einer Herausforderung zu tun, wo die Menschen gezielt darauf setzen und die Schlepperbanden vor allem gezielt darauf setzen, dass Europa unter einem Zugzwang ist. Entscheidend ist, dass wir den Menschen helfen, aber die Schlepperbanden bekämpfen, und das ist das, was wir jetzt im Mittelmeer machen müssen. Deswegen freue ich mich, dass der Rat jetzt heute das Signal gibt, endlich das Geld freizugeben für die 10.000 Frontex-Beamten, die wir in Brüssel im Europäischen Parlament in meiner Fraktion seit Jahren fordern.
Barenberg: Darüber wollen wir gleich auch ausführlich reden, Herr Weber. Noch ein letzter Punkt zur "Lifeline". Sind Sie wie Horst Seehofer denn im Gegenteil der Meinung, dass es sich bei den Aktivisten, bei der Crew an Bord um Kriminelle handelt?
Weber: Nein, das sind keine Kriminellen. Aber man muss natürlich sehen, dass der humanitäre Einsatz Teil des Konzepts der Schlepperbanden ist. Das muss man schon sehen.
Barenberg: Und dafür machen Sie jetzt die Retter verantwortlich?
Weber: In keinster Weise! – In keinster Weise.
"Für mich ist wichtig, dass wir die Menschen retten"
Barenberg: Weil Horst Seehofer gesagt hat, die Crew muss strafrechtlich verfolgt werden. Können Sie das nachvollziehen?
Weber: Für mich ist wichtig, dass wir die Menschen retten. Das ist überhaupt keine Frage. Im Mittelmeer, wenn Menschen in Seenot sind, muss gerettet werden. Und wenn andere Häfen sich nicht bereit erklären, dann muss auch Europa weiter Menschen in Not Obdach anbieten und helfen. Aber wissen Sie, das beginnt ja schon: Wir hatten vor zwei Wochen die "Aquarius", die dann in Valencia angelegt ist, und da wäre schon mal spannend, die Frage zu stellen, was ist denn eigentlich aus diesen 600 Menschen geworden, die dort in Spanien aufgenommen worden sind.
Wir haben derzeit in Europa keine festen Camps, wo man überprüfen kann, ob die auch wirklich dort bleiben. Die wurden jetzt verteilt und viele – das muss man einfach realistisch sehen – haben über die letzten Jahrzehnte dann ihren Weg nach Deutschland, Schweden oder Österreich gefunden und sind nicht in Spanien geblieben. Wir haben derzeit einen unorganisierten, unkoordinierten, unkontrollierten Zustand an unserer Außengrenze, der mit humanitären Argumenten auch argumentativ betrieben wird, und das bringt uns in eine Notlage als Europäer. Deswegen sage ich noch mal ausdrücklich: Hilfsbereitschaft ja. Das ist der humanitäre Anspruch dieses Kontinents Europa. Aber mit Entschiedenheit jetzt gegen die Schlepperbanden vorgehen.
"Wir alle wollen einen Erfolg von Angela Merkel"
Barenberg: Was die akute Notlage angeht, da gibt es unterschiedliche Meinungen dazu. Aber lassen Sie uns auf das kommen, was Sie ja auch angesprochen haben, dass Angela Merkel gerade jetzt zum Gipfel fährt, um Abkommen möglicherweise mit anderen EU-Staaten zu treffen, jedenfalls nach Regeln, nach Wegen zu suchen, wie man gemeinsam verhindern kann, dass Migranten von einem Land zum anderen weiterziehen. Jetzt hat Angela Merkel im Vorfeld schon gesagt, fertige Abkommen oder so etwas wie eine Gesamtlösung, wie sie sich ausdrückte, wird es nicht geben. Kann Horst Seehofer jetzt schon die Bundespolizei im Grunde anweisen, ab nächster Woche dann registrierte Flüchtlinge abzuweisen?
Weber: Nein, ganz sicher nicht, und das will er auch nicht. Er will einen Erfolg von Angela Merkel und wir alle wollen einen Erfolg von Angela Merkel bei den Verhandlungen in Brüssel. Und wie das auch der Premierminister Bettel zum Ausdruck gebracht hat in dem Vorbericht, ist auch am Sonntag eine echt positive Atmosphäre zu spüren gewesen. Es ist Bewegung und Schwung in der Debatte auf Brüsseler Ebene, wie wir sie seit Jahren nicht mehr hatten, dank auch der CDU/CSU aus Deutschland, aber auch der italienischen Position, die natürlich neue Dynamik gebracht hat. Jeder spürt jeden Tag immer mehr, dass wir eine europäische Lösung brauchen. Anders kann es auch beispielsweise für den Schengen-Raum durchaus negative Wirkungen haben. Und deswegen: Der Wille, sich zu einigen, der ist stärker da denn je. Wie stark es reichen wird, das kann man erst am Samstag oder am Freitagnachmittag beurteilen.
Barenberg: Sie haben ja ganz klare Kriterien in der CSU festgelegt. Das Zauberwort heißt hier – ein typisch deutsches Wort – wirkungsadäquat. Was immer Angela Merkel in Brüssel aushandeln kann, es soll eine vergleichbare Wirkung auf den Zuzug von Flüchtlingen haben wie die Absicht von Horst Seehofer, an der Grenze Migranten auf eigene Faust zurückzuweisen. Was genau heißt wirkungsadäquat mit Blick auf das, was Angela Merkel aus Brüssel mitbringen muss?
Weber: Wirkungsadäquat heißt, dass wir den Menschen in Deutschland und in ganz Europa vergewissern können, dass wir mit den Beschlüssen auf dem Weg einer Lösung sind, dass wir das Thema lösen, dass wir vergewissern, dass wir wissen, wer nach Europa kommt, und die, die wirklich schutzbedürftig sind, auch humanitär ordentlich in Europa aufnehmen und versorgen. Das ist das, was wir garantieren müssen, und da muss man ja ehrlich sagen, das zeigen ja die Wahlergebnis nicht nur bei uns in Deutschland, sondern in ganz Europa in den letzten Jahren, dass die Menschen auf diesem Kontinent der Politik das derzeit nicht zutrauen, dass sie es wirklich wissen, dass sie wirklich das im Griff haben, diese Herausforderung, vor der wir stehen.
"Wir stehen zur europäischen Lösung"
Barenberg: Herr Weber, ich möchte noch mal bei dem Wort bleiben, weil es ja so wichtig ist und Sie einen klaren Parteibeschluss gefasst haben: Wirkungsgleich, wirkungsadäquat. In Ihrem Beschluss steht und auf der Pressekonferenz hat Seehofer gesagt: Wenn es nicht gelingt, wenn da keine Vereinbarungen getroffen werden, wenn die nicht zustande kommen, dann wird auf nationalem Weg mit umfassenden Zurückweisungen an der Grenze begonnen. – Jetzt haben Sie gerade gesagt, es muss klar werden, dass wir auf dem Weg zu einer Lösung sind. Braucht es also ein Abkommen auf dem Gipfel, oder braucht es keines? Rücken Sie von dieser Forderung aus dem Parteibeschluss wieder ab?
Weber: Ich glaube, die Beschlüsse sind klar. Übrigens für die CSU möchte ich noch mal festhalten, dass wir in unserem Beschluss auch festgehalten haben, wir stehen zur europäischen Lösung, und haben das sogar mit konkreten Zusagen, was die CSU mittragen will, auch unterstützt, auch unterstrichen, dass wir die europäische Lösung wollen. Und seien Sie mir nicht böse: Es ist jetzt wirklich hoch problematisch zu spekulieren, wie denn das Ergebnis ist und ob es dann wirkungsgleich …
Barenberg: Sie sollen ja nicht über die Ergebnisse spekulieren, sondern was für Sie das Kriterium ist, das entscheidende Kriterium, was wirkungsgleich ist. Denn ansonsten bleibt das ja ein leeres Wort.
Weber: Ja. Ich bleibe dabei, dass die Aufgabe, die vor uns liegt, ist, den Menschen auf diesem Kontinent zu vergewissern, die Sicherheit zu geben, dass diese Politik zu Ergebnissen führt, dass wir wissen, wer auf diesem Kontinent ist. Das ist die zentrale Aufgabe, die vor uns steht. Das haben wir bisher nicht geschafft nach drei Jahren Debatte. Jetzt ist Schwung drin und ich hoffe, dass Angela Merkel, dass uns das jetzt gelingt.
Wenn ich eine Priorität noch mal rausgreifen darf, die jetzt für diesen Gipfel zentral ist? Das ist das, was wir als Europäische Volkspartei die letzten Jahre zentral gefordert haben. Das ist der Außengrenzenschutz. Da hat Sebastian Kurz einen richtigen Punkt, wo er sagt, das muss die Vorbedingung sein für alles andere, was wir dann diskutieren. Und der Außengrenzenschutz hängt an der Frage, wie stark wir in der Lage sind, europäische Ressourcen aufzubringen, weil Italiener, Portugiesen, Spanier, Griechen, alle die, die an der Südgrenze sind, natürlich zurecht sagen, wir haben da eine große Aufgabe und fühlen uns allein gelassen. Deswegen ist der Außengrenzenschutz und die Solidarität bei dieser Frage von so zentraler Bedeutung.
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