In Brüssel beraten die Staats- und Regierungschefs über den Haushaltsplan der EU für 2021 bis 2027 und zusätzliche Hilfen, die den Ländern aus der Corona-Krise helfen sollen. Über den grundsätzlichen Finanzrahmen war im Februar bereits diskutiert worden, als man sich zum letzten Mal persönlich traf. Verhandelt wird nun über die Verteilung von knapp 1,8 Billionen Euro und darüber, wer über ihre Verwendung entscheiden wird. Zwei Aspekte erschweren die Gespräche: Es ist zum einen der erste EU-Haushalt ohne Großbritannien. Zum anderen gilt es, die Folgen der Coronakrise zu bewältigen.
In bestimmten Bereichen sollten die Mitgliedsstaaten selbst über die Verwendung von EU-Geldern entscheiden können, sagte der Europaabgeordnete und Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament Daniel Caspary im Deutschlandfunk – "weil die Mitgliedsstaaten sich vor Ort am besten auskennen." Gleichzeitig gehe es aber darum "dass wir Europa fit machen für die nächste Generation im globalen Wettbewerb." Nachholbedarf gebe es in den Bereichen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Wissenschaft und Forschung: "Deswegen ist ganz wichtig, dass wir das Geld programmieren, für was darf das Geld investiert werden und für was nicht", so Caspary.
Mit der Vergabe von EU-Geldern solle außerdem ein "Rechtsstaatlichkeitsmechanismus" verknüpft werden, denn in einigen EU-Ländern gebe es Schwierigkeiten mit Rechtsstaatlichkeit, korrekter Mittelausgabe, Korruptionsbekämpfung und der Unabhängigkeit der Gerichte, sagte Caspary.
"Nicht überkommene Strukturen beim Überleben unterstützen"
Ann-Kathrin Büüsker . Der EVP-Vorsitzende Manfred Weber hat gegenüber dem Bayerischen Rundfunk noch einmal betont, Hilfsgelder müssten an Reformen gebunden sein. Und auch Udo Bullmann, Europapolitiker der SPD, hat sich für Bedingungen ausgesprochen: Die EU-Kommission müsse überprüfen, wofür die Gelder ausgegeben werden. Nun ist ja die Betroffenheit der einzelnen Länder in der Corona-Krise sehr unterschiedlich. Wäre es da nicht sinnvoller, die einzelnen Länder selbst entscheiden zu lassen?
Daniel Caspary: Ja, Frau Büüsker, wir brauchen da einen Mix. Das eine ist: Es gibt bestimmt Bereiche, wo wir den Mitgliedsstaaten die eine oder andere Freiheit lassen müssen, weil die Mitgliedsstaaten sich vor Ort am besten auskennen. Aber das andere ist: Wir haben leider immer die Situation, dass es Mitgliedsstaaten gibt, die mehr ihre Hausaufgaben gemacht haben – nehmen Sie die riesen Reformanstrengungen nach der Wirtschafts- und Finanzkrise in Ländern wie Portugal oder Spanien oder Irland –, und wir haben leider auch Länder, die in den letzten Jahren eher bei den Reformen zurückliegen – nehmen Sie Italien oder auch Frankreich. Und wenn wir hier europäische Gelder zur Verfügung stellen – und genau darum geht es ja bei diesem 750-Milliarden-Euro-Paket – das sind Gelder, die aus der Europäischen Union, aus dem europäischen Haushalt zur Verfügung gestellt werden –, dann ist es selbstverständlich, dass wir genauso wie in der Vergangenheit bei den Regional- und Strukturfonds auch bei diesem Paket Vorgaben machen, für was darf dieses Geld eingesetzt werden. Denn wir wollen nicht, dass das Geld irgendwo versickert. Wir wollen nicht überkommene Strukturen beim Überleben unterstützen, sondern wir wollen, dass nötige Reformen auf den Weg gebracht werden, damit es wirklich ein Zukunftspaket wird und kein Schuldenpaket.
"Wichtig, dass wir das Geld programmieren"
Büüsker: Das heißt, Sie würden sich der Forderung von Mark Rutte anschließen, der fordert, dass es Reformen braucht, um Länder tatsächlich wettbewerbsfähiger zu machen?
Caspary: Ja, genau darum geht es. Und wir brauchen doch jetzt wirklich nicht Dinge, die nicht mehr funktionieren und die schon seit Jahren nicht funktionieren, weiterfinanzieren, sondern das Programm heißt ja bewusst "Next Generation EU". Es geht darum, dass wir Europa fit machen für die nächste Generation im globalen Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten, mit China, mit Russland, mit Indien, dass wir dort nachholen und aufholen, wo wir Bedarf haben, zum Beispiel im Bereich Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Wissenschaft, Forschung, wo wir besser werden müssen, teilweise die Infrastruktur. Deswegen ist ganz wichtig, dass wir das Geld programmieren, für was darf das Geld investiert werden und für was nicht, und dass die Mitgliedsstaaten Gelder nur bekommen, wenn das Geld entsprechend abgerufen wird.
"Gesunder solider Mittelweg"
Büüsker: Aber muss man da nicht auch besonders vorsichtig sein, dass man nicht unter Umständen funktionierende Strukturen oder eher wichtige Strukturen kaputt macht? Reformen führen ja häufig auch dazu, dass soziale Netze abgebaut werden, staatliche Sektoren verkleinert werden? Die EU hat noch 2017 an Österreich appelliert, dass das Gesundheitssystem dort zu teuer sei und deshalb reformiert werden müsse. Nun haben wir gerade in der Pandemie gesehen, dass genau diese Sektoren der öffentlichen Versorgung das sind, was wir brauchen, das sind, was unser Überleben sichert.
Caspary: Ja, aber es ist doch immer ein Mix, Frau Büüsker. Wir brauchen doch auf der einen Seite tatsächlich in vielen Bereichen mehr Ergebnisse fürs Geld, und auf der anderen Seite gibt es auch Bereiche, wo wir mehr Geld für mehr Ergebnisse brauchen. Aber es gilt beides und deswegen ist mir ein Herzensanliegen, dass wir jetzt genau den gesunden soliden Mittelweg gehen, für den wir Christdemokraten immer stehen, nämlich den Mittelweg dazwischen, dass wir Euro-Bonds und Corona-Bonds zum Glück wieder verhindert haben, wie auch zurecht in der Wirtschafts- und Finanzkrise, weil es nicht darum geht, dass die Mitgliedsstaaten einfach Geld in ihren Haushalten versickern lassen sollen, für das gemeinsam gehaftet wird. Das wird es nicht geben.
Auf der anderen Seite wird es aber auch nicht mehr das geben, was in der Wirtschafts- und Finanzkrise zum Erfolg geführt hat, aber die Länder teilweise ja eingeschränkt hat oder den Ländern gar keine Luft mehr gelassen hat, eigene Entscheidungen zu treffen, nämlich dass in der Wirtschafts- und Finanzkrise durch den ESM und die Troika ja gnadenlos Vorgaben gemacht wurden, was die Länder zu tun haben, sonst gibt es kein Geld. Und das ist doch das Tolle an dem Vorschlag von Angela Merkel und Präsident Macron, den jetzt Ursula von Der Leyen ja noch erweitert hat, nämlich zu sagen, wir geben uns als Europäische Union, als europäische Mitgliedsstaaten, als europäische Völker ein gemeinsames Programm, wo wir gemeinsam, die Mitgliedsstaaten im Rat hoffentlich an diesem Wochenende, das Europäische Parlament dann in der Folge, wo wir uns gemeinsam ein Programm geben mit gemeinsamen Reformen, gemeinsamen Dingen, für die man Geld ausgeben kann, und gemeinsame Dinge, von denen wir überzeugt sind, die machen eher weniger Sinn.
Wenn wir diesen Weg gehen, dann sehe ich eine riesen Chance, dass wir auch Akzeptanz finden, denn am Ende gilt: das sind zwar riesen Beträge, diese 750 Milliarden Euro, aber wir reden damit im Laufe der nächsten vier, fünf Jahre über insgesamt gerade mal zwei Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts. 48 Prozent, das 25fache, haben die Mitgliedsstaaten in ihren nationalen Budgets. Das heißt: Wenn die Mitgliedsstaaten nicht ihre Politik auch auf Wachstum, Beschäftigung, Zukunft ausrichten, dann wird auch dieses europäische Paket nichts helfen.
Wahrung europäischer Werte
Büüsker: Wenn wirtschaftliche Vorgaben aus Ihrer Sicht so richtig und wichtig sind, muss dann auch die Wahrung europäischer Werte das Minimum sein, um Gelder aus der EU zu bekommen? Stichwort Rechtsstaatlichkeit: Muss diese sowohl für die Hilfen als auch für den allgemeinen Finanzrahmen Bedingung sein?
Caspary: Uns als CDU/CSU-Gruppe ist dieses Thema extrem wichtig und ich bin dankbar, dass das, meiner Einschätzung nach, auch von einer breiten Mehrheit in den allermeisten Fraktionen im Europäischen Parlament so gesehen wird. Wir müssen in dem ganzen Bereich Rechtsstaatlichkeit, korrekte Mittelausgabe, Korruptionsbekämpfung, Unabhängigkeit der Gerichte, alles, was in diesen gesamten Themenkomplex gehört, besser werden in einigen Mitgliedsstaaten. Da habe ich große Sorgen in vielen Staaten zum Beispiel Zentraleuropas. Polen und Ungarn werden oft genannt, aber wir haben auch riesen Schwierigkeiten in Ländern wie der Slowakei, Tschechien, Malta. Deswegen ist uns ein Herzensanliegen, dass wir den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus mit all den Ausgaben verknüpfen.
Günther Oettinger, als er noch Haushaltskommissar war, hat den Vorschlag für den Haushalt ja entsprechend gemacht und wir arbeiten intensiv daran. Wir haben das auch mehrfach gegenüber der Kanzlerin als CDU/CSU-Gruppe platziert und ich habe den Eindruck, Angela Merkel war auch sehr beeindruckt, als sie vorletzte Woche im Europäischen Parlament war und da aus einer Breite der Abgeordnetenschaar diese Forderung nach mehr Rechtsstaatlichkeitsmechanismus kam. Ich habe große Hoffnung, dass wir da hoffentlich einen Schritt vorankommen.
Büüsker: Ungarn und Polen sind aber gar nicht beeindruckt davon und wollen das sehr gerne raushaben aus den Bedingungen.
Caspary: Genau, und deswegen müssen wir da Druck machen. Denn das eine ist: Ja, wir brauchen die Zustimmung von Ländern wie Polen und Ungarn zum europäischen Haushalt, weil da ist Einstimmigkeit im Rat erforderlich. Aber das andere ist: Wir brauchen ja für den Haushalt auch die Zustimmung im Europäischen Parlament, und wir machen da Druck.
EU-Rechtsgemeinschaft unter Druck
Büüsker: Das heißt, das Parlament wird nicht zustimmen, wenn die Rechtsstaatlichkeit nicht verankert ist?
Caspary: Das ist genau die Frage, die wir gerade versuchen zu eruieren, inwieweit wir da Druck aufbauen können. Wir stehen da, offen gesagt, genau in dem Dilemma, dass wir uns gerade nicht leisten können, weiter zu verzögern. Aber auf der anderen Seite: Wir haben jetzt schon die Situation, dass erste Gerichte in Deutschland anfangen, Urteile zum Beispiel aus Polen nicht mehr zu akzeptieren. Und wenn die Axt am Rechtsstaatsgebilde Europäische Union weiter angesetzt wird, wenn wir zur Situation kommen, dass unsere Rechtsgemeinschaft in der Europäischen Union wegen solchen Vorkommnissen wie in Polen und anderen Ländern immer mehr unter Druck gerät, dann gefährden wir das gesamte Projekt. Das hat dann Auswirkungen nicht nur im juristischen Bereich, auch im wirtschaftlichen Bereich, und das wäre das Ende der Europäischen Union.
Büüsker: Trotzdem ist dann die Schwierigkeit, jetzt Polen und Ungarn irgendwie dazu zu bekommen, dem Finanzrahmen beziehungsweise dem Recovery Fund zuzustimmen. Wäre es dann unter Umständen auch erst mal denkbar, beide Töpfe voneinander zu trennen und jetzt kurzfristig den Recovery Fund durchzubringen und den Finanzrahmen, in dem man die Rechtsstaatlichkeit verankert, noch mal etwas zu schieben und später zu beschließen?
Caspary: Das ist eine Variante. Eine zweite Möglichkeit wäre zum Beispiel auch, jetzt den Haushalt zu verabschieden und dann in den spezifischen Programmen, wenn es um die Details der Regional- und Strukturförderung zum Beispiel geht, noch mal in diesen Programmen Rechtsstaatlichkeitskriterien aufzunehmen. Und das dritte: Ich bin immer ein großer Freund von Anreizen. Wir haben die intensive Zusammenarbeit von rund 20 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die sich vereinbart haben, eine europäische Staatsanwaltschaft zu schaffen. Die wird im Moment gerade aufgebaut, wo es genau um diese Themen auch geht. Und ich könnte mir zum Beispiel auch sehr gut vorstellen, dass wir den Anreiz schaffen, für die Mitgliedsstaaten, die sich an dem europäischen Staatsanwalt beteiligen, zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen, einen Bonus zu geben. Denn es sind ja zufälligerweise genau die Länder, über die wir gerade schon gesprochen haben, die bei diesem europäischen Staatsanwalt nicht mitmachen. Das eine ist Druck, aber das andere ist vielleicht auch Anreiz, und mit einem gesunden Mix kommen wir vielleicht den nötigen Schritt weiter.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.