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EU-Haltung zum Brexit-Votum
"Nicht vorpreschen mit deutschen Spezial-Vorschlägen"

Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt hat die Einigung der EU-Staats- und Regierungschefs auf eine gemeinsame Haltung zum Austritt Großbritanniens gelobt. Der EU-Gipfel in Brüssel habe ein großes Signal der Geschlossenheit gesetzt, sagte Hardt im Deutschlandfunk. Er hob besonders die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel hervor.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Bettina Klein | 30.06.2016
    Porträt von Jürgen Hardt in der Kuppel des Reichstagsgebäudes in Berlin
    Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. (dpa / Kay Nietfeld)
    "Ich finde das Verhalten der Bundeskanzlerin sehr elegant, nicht vorzupreschen mit irgendwelchen deutschen Spezialvorschlägen", betonte der Außenpolitische Sprecher der Union im Bundestag. Sie habe stattdessen versucht, eine gemeinsame Linie der 27 Mitgliedsstaaten zu finden.
    Außerdem erklärte der Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit, die EU-Kommission irre, wenn sie nationale Parlamente bei der Entscheidung über das umstrittene Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada übergehen wolle. Er sei sich sicher, dass die Bundesregierung nicht ohne ein klares Votum des Bundestags für den Vertrag stimmen werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Gestern haben sich die 27 Staats- und Regierungschefs der verbleibenden EU-Länder erstmals ohne David Cameron getroffen und haben eine ja irgendwie doch harte Linie beschlossen, nämlich Zugang zum Binnenmarkt bekommt Großbritannien später auch nur, wenn es wichtige andere Freiheiten akzeptiert, zum Beispiel die Freizügigkeit von Dienstleistungen, Waren und Personen. Angela Merkel hat sich in den ersten Tagen nach dem Referendum ja eher vorsichtig positioniert.
    Am Telefon ist Jürgen Hardt (CDU). Er ist außenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion und Koordinator für die transatlantischen Beziehungen. Guten Morgen, Herr Hardt.
    Jürgen Hardt: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Lassen Sie uns damit beginnen: Wir schauen alle auf die Türkei. Das ist ja ein interessanter Punkt, wie sich die Europäische Union im Augenblick in dieser Frage positioniert. Die Anti-Terror-Gesetze waren immer ein sehr strittiger Punkt. Jetzt heißt es, da könne man nachgeben. Muss man da jetzt im Augenblick eher verständnisvoll reagieren, was die türkische Regierung angeht, nachdem wir wieder über 40 Todesopfer bei einem Terroranschlag gesehen haben?
    Hardt: Die Europäische Union verlangt ja von der Türkei nicht, den Kampf gegen den Terror aufzugeben. Wir sind nur der Auffassung, dass die Terrorgesetze, so wie sie in der Türkei gegenwärtig gestaltet sind, weit über das Ziel hinausschießen. Und ich glaube, wenn Frans Timmermans in Ankara ist, wird einfach gesprochen werden: Wo ist der goldene Weg, den die Europäische Union als akzeptabel erachten kann im Blick auf die geplanten Visaerleichterungen, und wo ist das, was die türkische Regierung zur Gewährleistung ihrer Sicherheit braucht.
    Die Türkei ist ja leider in zweierlei Weise von Terrorismus bedroht: einmal der terroristischen PKK auf der einen Seite und zum anderen natürlich der IS mit einer sehr langen Grenze zum Kampfgebiet des IS, Irak und Syrien. Die Türkei braucht auch unsere Solidarität, was den Kampf gegen den Terror angeht. Aber die Türkei selbst sollte auch versuchen, den Kurden-Konflikt im Lande zu entschärfen. Da hatte ja Erdogan bis Mitte letzten Jahres einen, wie wir finden, guten Anlauf genommen. Das war eines der positiven Dinge, die mit ihm verbunden wurden, dass er eine Aussöhnung eingeleitet hat, und ich könnte ihn nur wirklich ermutigen, auf diesen Weg zurückzukehren, um auf dieser Front zumindest Frieden herzustellen.
    "Die Terrorgesetze richten sich tatsächlich leider auch gegen friedliche politische Oppositionen"
    Klein: Ich verstehe Sie so: Was die Anti-Terror-Gesetze angeht, da sollte die EU-Kommission Ihrer Meinung nach hart bleiben?
    Hardt: Wir sollten bei unseren Prinzipien bleiben. Im Übrigen glaube ich, der Anschlag, der jüngste Anschlag in Istanbul ist erstens durch diese Terrorgesetze nicht verhindert worden. Zweitens kann ich auch keinen Zusammenhang erkennen, wie ein IS-Anschlag durch solche Gesetze verhindert werden kann. Die Terrorgesetze richten sich tatsächlich leider auch gegen friedliche politische Oppositionen und nicht nur gegen den Terror, und deswegen sind sie aus europäischer Sicht, so wie sie jetzt sind in der Türkei, nicht akzeptabel.
    Klein: Jetzt hört man auch schon ganz klar die Forderung vonseiten der türkischen Regierung, die Europäische Union möchte bitte aufhören mit ihrer, wie die türkische Regierung offenbar meint, unsinnigen Unterscheidung zwischen PKK und IS, Islamischer Staat. Da stellt sich schon für die Europäische Union auch noch mal die Frage, welche Prinzipien wir da aufzugeben bereit sind.
    Hardt: Ja, das tun wir ja nicht. In der Frage bleiben wir klar bei unserer Linie. Wir haben den Bürgerinnen und Bürgern gesagt, Visaliberalisierung mit Ländern außerhalb der EU ist möglich, wenn hohe Sicherheitskriterien erfüllt sind. Das sind diese 72 Kriterien. Und wenn wir von diesem fairen und nachvollziehbaren, im Übrigen auch für die Türkei seit vielen Jahren bekannten Katalog abgehen, dann würden wir uns auch unglaubwürdig machen gegenüber anderen Staaten, Georgien, Ukraine, und auch gegenüber unseren Bürgern. Denn wir sagen ja: Wenn diese 72 Kriterien erfüllt sind, dann ist die Sicherheit in der Europäischen Union höher als nach dem bisherigen Visaregime, wo wir zwar tolle Visa ausgeben, aber wo wir nicht so sicher sind, ob die Pässe, in die wir diese Visa hineinkleben, auch wirklich gute und sichere Pässe sind.
    Klein: Und Gleichsetzung PKK und IS kommt nicht in Frage für Sie, oder wie verstehe ich das?
    Hardt: Nein. Das halte ich für eine, vielleicht auch an die innenpolitische Debatte in der Türkei gerichtete Aussage. Ich bin kein Terrorismusexperte, aber ich glaube, da gibt es ganz große Unterschiede.
    "EU-Gipfel ein großes Signal der Geschlossenheit der Europäischen Union"
    Klein: Machen wir den Fokus mal ein bisschen weiter. Wir haben diesen Terroranschlag gesehen in Istanbul, gleichzeitig auch eine Annäherung zwischen Russland und der Türkei. In der Europäischen Union sind die Fliehkräfte erkennbar, sage ich mal. Wie stark aufgestellt ist die Europäische Union denn im Augenblick in der Außenpolitik vor diesem Hintergrund?
    Hardt: Zunächst einmal habe ich nichts daran zu kritisieren, dass die Türkei jetzt einen friedlichen Weg mit Russland sucht. Da gab es ja den Konflikt, nachdem die Türkei das russische Flugzeug abgeschossen hatte. Und es ist einfach gut, dass Partner in Europa, die nebeneinander oder zumindest dicht beieinander leben, dass die dann auch entsprechend friedlich und gut miteinander umgehen. Deswegen, finde ich, ist es auch eher ein positives Signal der Entspannung, dass dieser Konflikt an der Stelle zunächst beigelegt ist.
    Ich finde zum Zweiten, dass der EU-Gipfel ein großes Signal der Geschlossenheit der Europäischen Union in dieser drängenden schwierigen Frage Umgang mit dem Brexit gegeben hat. Ich finde das Verhalten der Bundeskanzlerin sehr elegant, nicht vorzupreschen mit irgendwelchen deutschen Spezialvorschlägen, sondern einfach zu versuchen - und das ist ihr offensichtlich auch gelungen-, eine gemeinsame Linie aller 27 in dieser Brexit-Frage herzustellen. Und ich finde es auch gut - und da möchte ich Ihren Kollegen leicht korrigieren -, die Kanzlerin hat am Dienstag angekündigt, dass sie einen Strategieprozess der Europäischen Union will, der auch mit Frankreich und Italien abgestimmt ist und auch mit den anderen, in dem die Europäische Union sich bis März nächsten Jahres, Jubiläum der Gründung der Europäischen Union, 60 Jahre römische Verträge, dass sie zu dieser Gelegenheit, die Europäische Union, konkret diese Fragen prüft: Wo muss die EU stärker werden? Wie kann sie das erreichen? Und wo muss die Europäische Union möglicherweise auch effizienter und effektiver werden, was ihre bürokratischen Strukturen angeht?
    Klein: Aber es war ein bisschen schon das Signal, Herr Hardt, was wir gestern gehört haben, sowohl von Jean-Claude Juncker als auch von der Kanzlerin, es wird keine neuen Verträge geben, in gar keiner Weise, und Verfassungskonvent auch auf gar keinen Fall, und das waren ja eigentlich ein bisschen die Hoffnungen derjenigen vergangene Woche, die gesagt haben, na ja, vielleicht ist das auch eine Chance für einen Neuanfang. Aber dazu wird es nicht kommen?
    Hardt: Ich glaube eher, dass der Lissabon-Vertrag, die gegenwärtige Verfassung der EU, genügend Spielraum lässt, Dinge voranzubringen, die bisher im Argen liegen. Wenn Sie an die Außen- und Sicherheitspolitik denken zum Beispiel der Europäischen Union, wo Frau Mogherini ja jetzt ihren ersten Entwurf vorgelegt hat. Das ist ein Feld, wo der Lissaboner Vertrag deutlich mehr Zusammenarbeit sowohl als Gemeinschaftsaufgabe, also EU-Projekt, als auch als intergouvernemental, das heißt, zwischen den EU-Mitgliedsstaaten untereinander zulässt. Ich glaube, wenn wir die Spielräume, die der Lissabon-Vertrag lässt, vernünftig und klug ausnutzen, kommen wir ohne eine sogenannte große Vertragsänderung, die ja dann durch alle Parlamente und zum Teil auch durch Volksabstimmungen müsste, gut klar und können zeigen, dass die Europäische Union handlungsfähig ist, handlungsfähiger, als sie im Augenblick sich für die Bürger der EU präsentiert.
    "Der Erfolg Donald Trumps war auch so ein klein bisschen für die Galerie"
    Klein: Inzwischen fragen sich ja viele Menschen, wo das, was wir jetzt in Europa sehen, eigentlich noch passieren kann, Stichwort ein Land steigt aus der Europäischen Union. Ähnliche Volksabstimmungen in anderen Staaten der EU, das ist das eine, aber schauen wir noch mal auf die Parallele USA. Sie sind Koordinator für die transatlantischen Beziehungen, Herr Hardt. Dort fragt man sich, ob das Brexit-Referendum möglicherweise auch ein Signal ist, das in den USA auf weitere Erfolge des Kandidaten Donald Trump hindeutet. Müssen wir das auch mit einbeziehen, oder ist das für Sie eine völlig andere Geschichte?
    Hardt: Im Augenblick deuten ja die Umfragewerte eher darauf hin, dass die Popularität Donald Trumps sinkt. Ich glaube, der Erfolg Donald Trumps war auch so ein klein bisschen für die Galerie. Das Volk und die Presse hatte einfach Spaß daran, mal den Stachel zu löcken und mal etwas gegen das Washingtoner Establishment zu machen. Jetzt, wo die Sache sich konkretisiert und Donald Trump unmittelbar vor der Nominierung durch die Republikaner steht - im Juli ist ja der Parteitag -, wird das Ding als doch etwas realer betrachtet und es wird etwas tiefer hinterleuchtet, was es bedeuten würde. Ich glaube, dass über kurz oder lang schon klar werden wird, dass Amerika auch eine verlässliche Politik braucht, die verlässliche Partner in der Welt hat. Ich möchte jetzt nicht voreilig sagen, dass das mit Donald Trump nicht zu erwarten wäre, aber leider sind seine außenpolitischen Aussagen so widersprüchlich, dass wir kein seriöses Bild über das abgeben können, was wir als Außenpolitik von Donald Trump erfahren würden, deswegen auch eine gewisse Skepsis in Europa. Ich glaube, am Ende des Tages wird die amerikanische Demokratie, die die vielleicht stärkste und stabilste Demokratie der Welt ist, einen Präsidenten küren, der die Rolle Amerikas in der Welt verantwortungsvoll ausdrückt.
    Klein: Wir müssen an der Stelle, Herr Hardt, noch mal auf das Thema Freihandelsabkommen schauen. Donald Trump ist ein Gegner, Hillary Clinton hat ihre Position da auch verändert. Viele in Europa, gerade in deutschsprachigen Ländern, sind auch dagegen. Was ist jetzt mit dem CETA-Abkommen mit Kanada, wo es ja großen Unmut schon darüber gibt, dass der Bundestag, dass die nationalen Parlamente darüber nicht abstimmen sollen?
    Hardt: Ich glaube, das ist mit Blick auf den Deutschen Bundestag ein klares Missverständnis. Die Kommission hat die, wie ich finde, irrige Auffassung, es sei ein Abkommen, das ausschließlich die europäischen Angelegenheiten bedenkt. Aber auch in dem Fall, selbst wenn sich die Kommission mit dieser Auffassung durchsetzen würde, hieße das nicht, dass der Deutsche Bundestag außen vor bleibt. Der Deutsche Bundestag wird im September nach der Sommerpause ausführlich zum Thema CETA beraten und er wird seine Parlamentsrechte gemäß 23.3 Grundgesetz in Verbindung mit den einschlägigen Gesetzen, die wir da haben, wahrnehmen. Und ich bin sicher, dass die Bundesregierung nicht ohne ein klares Votum des Deutschen Bundestages zu der entsprechenden Ratssitzung nach Brüssel fährt, wo dann im Zweifel Deutschland unterschreiben muss. Denn unabhängig von der Frage, ob es ein Gemischtes oder ein EU-Abkommen ist, ist die deutsche Bundesregierung ja Teil der europäischen Gesetzgebung und unterliegt insofern auch der Kontrolle des Deutschen Bundestages bei ihrem Handeln im Rat. Parlamentsbeteiligung wird im September in vollem Umfang sichergestellt.
    Klein: Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Interview, Herr Hardt!
    Hardt: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.