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EU-Handelsvertrag mit Großbritannien
„Im Endeffekt werden kleinere Unternehmen vom Wettbewerb ausgeschlossen“

Die neue Zollgrenze bedeute für viele Unternehmen einen höheren Verwaltungsaufwand. Die daraus resultierenden Zusatzkosten könnten nur die großen Firmen verkraften, so die Prognose von Ulrich Hoppe, Hauptgeschäftsführer der deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer in London, im Dlf.

Ulrich Hoppe im Gespräch mit Friedbert Meurer |
Eine Fotomontage zeigt gestapelte Container mit den Fahnen von Großbritannien und der EU
Ulrich Hoppe: „Die EU-Außengrenze ist dann natürlich in Calais, und da muss kontrolliert werden. Die Franzosen können nicht einfach durchwinken, sie müssen sich da auch an EU-Recht halten.“ (picture alliance / Bildagentur-online/Ohde )
Großbritannien und die EU-Kommission haben sich an Heiligabend auf einen Handelsvertrag verständigt, der am 1. Januar zunächst provisorisch in Kraft treten soll. Das Papier soll einen harten wirtschaftlichen Bruch mit Hemmnissen wie Zöllen und langwierigen Grenzkontrollen abwenden. Dennoch sieht Ulrich Hoppe, Hauptgeschäftsführer der deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer in London, Effekte, die sich negativ auf die Wirtschaft auswirken könnten.
Zwar gebe es keine Tarife und Mengenbeschränkungen für die Einfuhr nach Großbritannien, trotzdem müssten aber Zollabwicklungsformalitäten wie beispielsweise umsatzsteuerliche Registrierungen erfüllt werden, erklärte Hoppe.
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"Das ist ein höherer Verwaltungsaufwand, und das ist gerade auch für kleinere Unternehmen, gerade die auch vom Binnenmarkt sehr stark profitiert haben, dann unter Umständen zu kostspielig, über den Kanal zu handeln. Und das gilt für beide Richtungen", so Hoppe.
Die Mehrkosten könnten dazu führen, dass der Markt zwischen der EU und Großbritannien für kleinere Unternehmen plötzlich nicht mehr spannend sei. Als Folge sieht Hoppe Preissteigerungen von Waren aufgrund des geringeren Wettbewerbs.

Erasmus-Programm für Großbritannien zu teuer

Dass Großbritannien das Erasmus-Programm für Studierende beenden will, hat allgemein für Aufsehen gesorgt. "Von britischer Seite war das Programm zu teuer", sagte Ulrich Hoppe. "Es sind natürlich viele Europäer nach Großbritannien gekommen, aber viel weniger Briten nach Europa. Von daher haben sie da überproportional viel einbezahlt von dem, was sie dabei rausbekommen haben."
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Hoppe nannte die Entscheidung des Ausstiegs aus dem Programm eine "kurzfristige Sichtweise – nur aufs Portemonnaie geschaut" und prognostiziert, dass Großbritannien an Internationalität verlieren werde.

Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Was glauben Sie oder befürchten Sie wird schwieriger werden?
Ulrich Hoppe: Die Unternehmen müssen sich ja drauf einstellen, dass so oder so eine Zollgrenze kommt. Es gibt zwar keine Tarife und keine Mengenbeschränkungen, es müssen aber trotzdem Zollabwicklungsformalitäten erfüllt werden, für viele kommen umsatzsteuerliche Registrierungen hinzu. Das ist ein höherer Verwaltungsaufwand, und das ist gerade auch für kleinere Unternehmen, gerade die auch vom Binnenmarkt sehr stark profitiert haben, dann unter Umständen zu kostspielig, über den Kanal zu handeln. Und das gilt für beide Richtungen. Das bedeutet natürlich auch, dass im Endeffekt die kleineren Unternehmen vom Wettbewerb ausgeschlossen werden – und die haben ja immer für Wettbewerb gesorgt –, dass also viele Dinge unter Umständen auch teurer werden, weil im Endeffekt weniger Wettbewerb insbesondere hier in Großbritannien dann sein wird.
Meurer: Dieser Punkt mit den Zöllen, Herr Hoppe, eigentlich heißt es ja, der Handel wird ohne Zölle sein zwischen Großbritannien und der EU. Warum wird es trotzdem Zollkontrollen geben oder Formalitäten?
Hoppe: Weil Großbritannien ja nicht mehr im Binnenmarkt ist, von daher gibt es dann eine Zollgrenze. Das heißt ja auch, Waren beispielsweise, die aus China nach Deutschland eingeführt werden und dann wieder rausgeführt werden, da muss man Zollformalitäten erledigen, denn es ist eben wie gesagt nur ein Freihandelsabkommen zwischen Waren, die in der EU produziert worden sind, und Waren, die in Großbritannien produziert worden sind. Alles andere muss dann automatisch an der Grenze kontrolliert werden, und da man nicht weiß, was woher kommt, gibt es klare Zollformalitäten, die abgewickelt werden müssen. Das hat man natürlich lange nicht so gesehen in der Wirtschaft, aber das ist jetzt klar, dass das kommen wird, da haben wir seit Jahren auch schon von geredet, und das sind Zusatzkosten, die auf die Unternehmen zukommen.

Unterbrechungen und Verzögerungen im Handel

Meurer: Viele haben sich gefragt, was wird passieren unmittelbar jetzt ab dem 1. Januar in Dover zum Beispiel, im Fährhafen, oder in Calais – letzte Woche ein endloser Stau, verursacht allerdings durch die Corona-Pandemie. Jetzt haben wir den Vertrag, mit welchem Szenario rechnen Sie für die ersten Tage jetzt im neuen Jahr an den Grenzen?
Hoppe: Ich glaube, die ersten Tage sind noch relativ einfach zu managen, da natürlich auch Corona-bedingt der Handel etwas zum Schrumpfen gekommen ist und deswegen weniger Transporte vonstatten gehen werden. Natürlich haben die Unternehmen auch Lager bei sich aufgebaut oder bei ihren Kunden, sodass man das erst mal abwarten wird, wie schnell die Zollformalitäten tatsächlich dann funktionieren werden – das ist ja die große Frage. Da haben ja hier auch die Logistikverbände Alarm geschlagen, dass sie nicht das Gefühl haben, dass die britische Seite vorbereitet ist auf all diese Formalitäten. Von daher können wir dann sicherlich so ab Mitte Januar sehen, wie simpel das so oder so laufen wird oder eben auch nicht laufen wird. Das ist die große Frage, es kommt auf jeden Fall zu gewissen Unterbrechungen und Verzögerungen auch. Das ist natürlich ein Problem für die Lkw-Unternehmer, denn die wissen ja, dass sie unter Umständen für die Fahrt nach Großbritannien länger brauchen. Wollen sie dann hierherfahren oder werden die Frachtraten noch erhöht werden, weil das Risiko da ist, dass der Lkw nicht schnell genug zurückkommt. Das sind Unwägbarkeiten, das wird der Januar zeigen.
Meurer: Die Briten haben ja schon vor einiger Zeit gesagt, wir werden in den ersten Monaten nicht kontrollieren, was vom Kontinent zu uns kommt. Wird es also jetzt an den französischen Zöllnern hängen, wie die sich verhalten?
Hoppe: Ja, sie haben gesagt, gewisse Teile kontrollieren sie nicht. Manche Produkte müssen sie auch kontrollieren – lebende Tiere et cetera –, und da ist auch die Frage, da weiß man nicht, was in welchem Lkw gerade drin ist. Von daher, sie haben gesagt, sie werden mehr durchwinken und die Zollabwicklungen dann später vonstatten gehen lassen können, aber das muss man auch mal absehen, wie das tatsächlich gestaltet wird. Aber Sie haben völlig recht, die EU-Außengrenze ist dann natürlich in Calais, und da muss kontrolliert werden. Die Franzosen können nicht einfach durchwinken, sie müssen sich da auch an EU-Recht halten. Deswegen hat man ja hier auch den Parkplatz in Kent gebaut, weil man gewusst hat, dass im Endeffekt der Rückweg unter Umständen schwieriger wird.
Meurer: Wenn ich Sie richtig verstehe, eingangs haben Sie gesagt, die großen Firmen, die großen Unternehmen, die globalen Konzerne, die stecken das weg, die kleinen werden das Problem haben. Ist das so?
Hoppe: Ja, die großen werden es wegstecken, natürlich werden die auch erheblich mehr Kosten haben, die werden aber dazu in der Lage sein, die unter Umständen abzuwälzen oder zu absorbieren. Für die kleinen wird dieser administrative Mehraufwand, der jetzt durch die Zollgrenze kommt, unter Umständen viel zu hoch werden, weil der Markt für sie vorher dann zwar spannend war, aber jetzt dann nicht mehr interessant ist aufgrund der Mehrkosten.

Großbritanniens Ausstieg aus dem Erasmus-Programm

Meurer: Mit dem Vertrag wird Großbritannien auch die EU-Freizügigkeit bei den Arbeitnehmern verlassen, und eines hat ein bisschen für Aufsehen gesorgt, nämlich dass Großbritannien auch das Erasmus-Programm beenden will für Studentinnen und Studenten. Haben Sie eine Erklärung, warum Großbritannien da aussteigt? Johnson wollte eigentlich weiter dieses Förderprogramm unterstützen und mitmachen.
Hoppe: Von britischer Seite war das Erasmus-Programm zu teuer. Es sind natürlich viele Europäer nach Großbritannien gekommen, aber viel weniger Briten nach Europa. Von daher haben sie da überproportional viel einbezahlt von dem, was sie dabei rausbekommen haben. Da hat man eigentlich gedacht, es gibt dann so einen Deal zusammen mit den Forschungsprojekten, "Horizon 2020", das ist aber nicht gekommen. Großbritannien hat jetzt versprochen, ein eigenes Programm für britische Studenten zu machen, aber natürlich verliert das Land jetzt auch an Internationalität, weil nicht mehr so viele so einfach hierherkommen können und dann, wenn sie zurückgehen, auch als Botschafter für dieses Land fungieren. Das ist sicherlich eine kurzfristige Sichtweise gewesen, nur aufs Portemonnaie geschaut, im Endeffekt schadet sich da auch dieser Standort in puncto globaler Aussicht und auch als Marktplatz für Ideen und auch für zukünftige Entwicklungen.
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