Benedikt Schulz: Gestern hat das EU-Parlament der neuen Kommission unter Jean-Claude Juncker zugestimmt. Die Abgeordneten hat aber auch noch was ganz anderes beschäftigt, der Streit ums liebe Geld. Das bisschen EU-Haushalt macht sich eben nicht von alleine. Erst mal muss die EU-Kommission einen Vorschlag machen, dann müssen die Finanzminister der EU ihren Senf dazu abgeben und ihr Ergebnis dem Parlament vorlegen. Aber das, was die Minister da für 2015 vorgelegt haben, das hat es in sich. Der Plan sieht vor, dass im Bereich Forschung und Innovation rund eine Milliarde Euro gestrichen wird. Das Parlament hat den Entwurf des Rates daher nun abgelehnt und jetzt muss verhandelt werden. Vor dieser Sendung habe ich gesprochen mit Christian Ehler, er sitzt für die CDU im EU-Parlament und er ist Mitglied im Forschungsausschuss. Meine erste Frage: Was wären denn die Folgen für Forschung und Wissenschaft in Europa, wenn sich die EU-Finanzminister bei den Verhandlungen mit ihren Vorstellungen durchsetzen?
Christian Ehler: Das wäre eine Katastrophe. Wir haben nicht nur eine Kürzung jetzt von 1,1 Milliarden Euro, also jetzt schon für das erste Jahr quasi des laufenden Haushaltes dann, sondern wir nehmen ja aus dem alten Forschungsrahmenprogramm noch 8,6 Milliarden an nicht gezahlten Payments hinüber. Das heißt, wir würden mit einem Programm starten, was ein Volumen von etwas über 70 Milliarden hat, von denen im ersten Jahr bereits zehn Milliarden nicht zur Verfügung stehen. Und das, braucht man nicht sagen, ist eine Absage an die Innovations- und Forschungspolitik in Europa.
Vertrauen in Forschungsprojekte geht verloren
Schulz: Was wären denn die Folgen für die deutsche Forschungslandschaft und die deutsche Wissenschaftslandschaft?
Ehler: Ich glaube einfach, dass das Vertrauen in die europäischen Forschungsprojekte verloren gehen, weil man sich natürlich als Institut oder als Hochschuleinrichtung, aber auch als kleines oder mittelständisches Unternehmen überlegt, ob eine Politik, wo man sagt, wir reduzieren ja sozusagen nicht die Commitments, also die Verpflichtungen, sondern wir zahlen dann einfach nur das Geld nicht aus, mit dem man das bezahlt, ob das die Basis ist, dass man sich da engagiert. Und das muss man sich auch wirklich fragen, das sind ja für kleine Unternehmen oder auch Hochschuleinrichtungen und so weiter, das sind ja auch Investitionen, die man erst selber tätigt, den Eigenanteil zur Verfügung zu stellen, wenn man dann im Grunde genommen nicht weiß, ob man das Geld bekommt, da wird man sich überlegen, ob man an einem solchen Programm teilnimmt.
Schulz: Jetzt haben Sie schon vor einigen Wochen gesagt, dass bereits zugesagte Forschungsgelder auf Monate nicht ausgezahlt werden. Ist das wirklich zu befürchten?
Ehler: Ja, natürlich ist das zu befürchten, denn Sie haben ja sozusagen zwei Welten: Das eine sind die Zahlungsverpflichtungen, da sind wir nicht abgegangen, wir gehen jetzt die Projekte an, wir bereiten jetzt die Ausschreibungen vor; auf der anderen Seite sozusagen werden die finanziellen Mittel nicht zur Verfügung gestellt. Und ich habe ja gesagt, die Dimension ist ja nicht die 1,1 Milliarden, die jetzt im ersten Jahr gekürzt werden sollen, sondern die Dimension ist, da sind fast neun Milliarden Euro aufgelaufen an Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, die wir aber nicht bezahlen können, weil die Payments nicht da sind. Wenn Sie also mit zehn Milliarden schon anfangen in einem Programm, die nicht da sind, ist natürlich absehbar, dass Sie strecken müssen, kürzen müssen und so weiter. Und das passiert ja auch, man nimmt jetzt die Prüfung von bestimmten Zahlungsvorgängen und prüft sich da zu Tode, nur um dann das Zahlungsziel zu strecken. Und dann sollte man den Beteiligten lieber ehrlich sagen, dass man sie nicht mit den Prüfungen quälen will, sondern dass man einfach in diesem Jahr das Geld nicht hat, sondern wahrscheinlich erst im nächsten oder übernächsten Jahr.
Schulz: Die Hochschulrektorenkonferenz in Deutschland hat jetzt den Zeigefinger auch konkret auf die deutsche Bundesregierung gerichtet und sagt, dass die als Verfechterin von Kürzungen aufgetreten sei. Hat Deutschland überhaupt kein Interesse an europäischer Forschung und Innovation?
Ehler: Wir tun uns ein bisschen leichter, weil wir natürlich auch noch ein großes nationales Forschungsprogramm haben. Aber politisch gesehen ist das eine Katastrophe, denn wir fordern andere Länder in Europa auf, vor allen Dingen den europäischen Süden, zu sparen, Strukturreformen anzustoßen. Und in diesen Ländern sind die europäischen Gelder praktisch die einzige Ressource, mit denen man das finanzieren kann. Wir machen uns also nicht nur forschungspolitisch unglaubwürdig für die großen, europäischen gemeinsamen Projekte, ohne die wir auch selber nicht mehr auskommen, sondern wir stellen sozusagen grundsätzliche Politiken infrage. Man kann nicht sagen, ihr müsst sparen, ihr müsst Strukturreformen machen und dann sagen, bei dem Angebot, was Europa macht für Forschung, Innovation und so weiter, da streichen wir die Programme zusammen. Das ist vollkommen unglaubwürdig.
Agrarsubventionen von 0,1-Prozent
Schulz: Jetzt hat gleichzeitig der EU-Finanzminister die Agrarsubventionen auch gekürzt, allerdings nur um 0,1 Prozent. Das finden viele nur sehr schwer nachvollziehbar. Sie auch?
Ehler: Ja. Wobei ich sagen muss, ich will auch nicht immer .... Das ist so ein Aufrechnen. Es hat keinen Sinn, sich da gegenseitig zu kannibalisieren. Es ist ja nicht so, dass irgendjemand mehr will, sondern die europäischen Mitgliedsländer haben gemeinsam, der Rat, ein Budget beschlossen. Und im ersten Jahr beginnen sie schon, an dem Budget herumzusparen, in der vermeintlichen Aussicht, dass man das dann später bekommen würde. Und das wirft ganz grundsätzliche Fragen fürs Parlament auf. Insofern bin ich da immer etwas vorsichtig, Landwirtschaft gegen Forschung aufzumachen. Aber man fragt sich natürlich schon, was die Präferenzen eigentlich sind.
Schulz: Sagt Christian Ehler. Er sitzt für die CDU im EU-Parlament und im Ausschuss für Industrieforschung und Energie. Vielen Dank!
Ehler: Danke Ihnen!
Schulz: Parlament und Rat haben jetzt gut drei Wochen Zeit sich zu einigen, und die Verabschiedung des Haushalts – eine Einigung natürlich vorausgesetzt – soll dann Ende November erfolgen.
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