Mit dem geplanten Haushalts- und Finanzpaket könne Europa aus der Krise herauskommen und dramatische Schaden abwenden, sagte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok im Dlf.
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hatten sich am 21. Juli nach einem der längsten Gipfel in der EU-Geschichte auf ein Paket von insgesamt 1,8 Billionen Euro geeinigt – davon entfallen 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie.
Kritik an geplanten Kürzungen bei Klimaschutz & Co.
Auch in die Bereiche Klimaschutz und Digitalisierung soll den Plänen nach gezielt Geld fließen - aus Sicht von Brok allerdings nicht genug: "Ich hätte mir noch mehr vorstellen können bei den Zukunftsprojekten". Er hoffe, dass es noch Spielräume gebe, die beispielsweise in den Bereichen Digitalisierung und Klimaschutz ausgeschöpft werden könnten.
Auch das Europäische Parlament hatte zuletzt deutliche Nachbesserungen an den Beschlüssen des EU-Gipfels verlangt – etwa den Verzicht auf geplante Kürzungen bei Forschung, Klimaschutz oder dem Studentenförderprogramm Erasmus. Zudem wollen die Abgeordneten eine klarere Regelung, dass EU-Geld bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit künftig gekürzt werden kann. Das Europäische Parlament will darüber im September abstimmen.
Brok: "Den Sprung schaffen weg von der Einstimmigkeit"
Für den EU-Haushaltsfinanzrahmen ist grundsätzlich die Einstimmigkeit aller 27 Mitgliedsstaaten notwendig, gleiches galt für den Corona-Wiederaufbaufonds. Insbesondere zu letzterem lagen die Positionen einzelner Mitgliedsstaaten zu Beginn des Gipfels zum Teil sehr weit auseinander.
Brok kritisierte dieses Einstimmigkeitsprinzip im Dlf als "Erpressungsprinzip". Die Ergebnisse würden dadurch schlechter und teurer. Die selbsternannten "Sparsamen Vier", Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark, hätten nicht für bessere Programme gekämpft, sondern dafür, dass sie weniger bezahlen
Auch bei anderen politischen Fragen funktioniere das Prinzip Einstimmigkeit nur schlacht, beispielsweise bei der Frage nach einer gerechten Besteuerung großer Internetkonzerne: "Hier muss man den Sprung schaffen weg von der Einstimmigkeit", so Brok.
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Am Ende hat man sich ja nach 90 Stunden mit harten Verhandlungen geeinigt, und die Reaktionen schwanken. Auf der einen Seite heißt es in den Kommentaren der Kolleginnen und Kollegen, knapp an der Blamage vorbei, andere sagen revolutionär. Herr Brok, Blamage oder revolutionär?
Elmar Brok: Ich glaube, es ist beides nicht. Ich finde, es ist ein großartiges Ergebnis, wenn man den Ausgangspunkt sieht. Es ist immer die Frage, Glas halb leer, halb voll. Natürlich kann man sich mehr vorstellen, natürlich hat diese Vereinbarung Schwächen an verschiedenen Stellen. Aber wenn mir jemand vor zwei, drei Jahren erklärt hätte, dass man erst ein Nothilfeprogramm mit 540 Milliarden Euro bei Corona macht, jetzt dieses 750-Milliarden-Euro-Paket, dann hätte ich das nicht für möglich gehalten. Und das wird in der Diskussion ja immer vergessen, dies macht man im Augenblick einer Pandemie, um einer Pandemie zu begegnen. Das wird hinter technischen Erörterungen letztlich wieder versteckt in den öffentlichen Diskussionen, und das muss deutlich gemacht werden, mit diesem Paket kann Europa aus der Krise herauskommen und dramatischen, ökonomischen und sozialen Schaden vermeiden.
Brok: Spielräume für Nachbesserungen nutzen
Zurheide: Jetzt kommen wir auf das, was natürlich häufig kritisch angemerkt wird, gerade so in der Schlussrunde, die dann etwas schwierig war, wo es geholpert hat. Da heißt es, da sind manche Zukunftsinvestitionsprogramme weggestrichen, bei Digitalisierung hat man abgespeckt, dafür die Landwirtschaft bleibt. Das sind die Mängel, von denen Sie gerade auch gesprochen haben?
Brok: Ja, ich hätte mir noch mehr vorstellen können bei den Zukunftsprojekten, das macht ja Sinn für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit, aber das Leben ist, wie es ist. Besitzstände sind da, und diejenigen, die sich ja als die sparsamen Vier dargestellt haben, sind ja letztlich die wenigsten zukunftsträchtigsten gewesen, denn die haben ja veranlasst, damit sie ihre Rabatte höher bekommen, die sie bei dem Haushalt bis 2027 haben sollen, dass die Zukunftsbereiche gestrichen worden sind. Nicht gestrichen, das ist schon von mir wieder eine falsche Formulierung, nicht so stark gestiegen sind, wie das wünschenswert wäre. Das ist ja auch schon eine sprachliche Frage. Das Digitale ist nicht weggestrichen worden, es ist nicht ganz so hoch gekommen, wie es wünschenswert gewesen wäre. Ich glaube, so kommt man auch zu einer fairen Beurteilung.
Zurheide: Wenn wir jetzt fragen – und da frage ich ja Sie ganz besonders gerne, weil Sie das oft mitverhandelt haben in Tagen und Nächten –, was kann das Parlament erreichen, denn eigentlich formal kann das Parlament nur ja oder nein sagen, und jeder weiß, na ja, nein werden sie schon nicht sagen, weil dann gibt es keinen Haushalt, und dann hätten wir wieder einen Gipfel, und dann wäre das so ein Pingpongspiel. Also was kann das Parlament noch versuchen?
Brok: Das Parlament kann schon Einzelbereiche verhandeln. Das Parlament ist die gleichberechtigte Haushaltsmacht in diesen Fragen. Wir haben ja ein Zweikammersystem, wie zwischen Bundestag und Bundesrat, zwischen Rat und Parlament. Die Entscheidungen des Europäischen Rates sind nicht verbindlich, die müssen erst in Gesetzgebungstexte durch die Kommission gegossen werden, und dann werden der Ministerrat unter deutscher Führung dann und das Europäische Parlament miteinander darüber verhandeln.
Und dann hoffe ich, dass da noch Spielräume vorhanden sind, die beispielsweise im digitalen Bereich, im Erasmus-Programm, im Klimabereich noch zu Nachbesserungen führen, um auf diese Art und Weise die Dinge doch da noch mal ein Stück weiter wieder voranzubringen. Hier hat man offensichtlich nach der Rede von Ursula von der Leyen auch die Kommission an seiner Seite.
Der zweite Punkt ist, man muss auf die Regeln achten, auch das ist immer schwierig. Man muss darauf achten, wie sind die Vergabekriterien, für welche Zwecke wird es gegeben, dass das auch nachher prüfbar ist durch die Haushaltskontrolle des Europäischen Parlaments, ist das wirklich für zukunftsträchtige Klimafragen oder Digitalfragen ausgegeben. Dieses Geld darf nicht – und dafür wird auch wohl Vorsorge getragen – wie bei unserem Länderfinanzausgleich einfach als Budgethilfe gegeben werden. Es muss immer projektbezogen sein, konditioniert sein, und zwar nicht nur der Haushalt, sondern nach großer Möglichkeit auch der Recovery-Plan einschließlich der Zuschüsse, die dort gegeben werden.
Parlament muss "Kontrollfrage stärker in den Vordergrund rücken"
Zurheide: Wie kriegt man die Gratwanderung hin, dass man auf der einen Seite das wirklich sicherstellt, dass das Geld dahin fließt, wo es auch hin soll, auf der anderen Seite, dass nicht der Eindruck erweckt wird, wie das gelegentlich bei der Griechenland-Rettung war, dass da die Troika einmarschiert und dass die lokalen Regierungen und Autoritäten nichts mehr zu sagen haben. Oder sehen Sie das Problem nicht?
Brok: Es ist immer ein Problem, in einem föderalen System die Verwendung von Mitteln zu nutzen. Das haben wir ja in einem gewissen Umfang, wie uns der Bundesrechnungshof jedes Jahr aufzeigt, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Hier muss das Parlament sehr stark mit seiner Haushaltskontrolle, die stärker ist als die Haushaltskontrollmöglichkeiten des Deutschen Bundestags, beispielsweise tätig werden, aber hier muss auch der Europäische Rechnungshof gestärkt werden.
Ich hab seit Langem gefordert, dass der Europäische Rechnungshof Durchgriff haben muss auf die nationalen Rechnungshöfe und die zu Untersuchungen verpflichten muss, um auf diese Art und Weise Betrugsverfahren wegzunehmen. So was wie Andrej Babiš, der Besserungen in Tschechien macht zum eigenen Nutzen, - oder andere - darf einfach nicht passieren. Das sind nicht riesige Mengen im Vergleich zum Ganzen, aber zerstört die Glaubwürdigkeit. Ich glaube, dass hier das Parlament eine besondere Aufgabe hat, diese Kontrollfrage sehr viel stärker in den Vordergrund zu rücken.
"Einstimmigkeitsprinzip muss zurückgedrängt werden"
Zurheide: Kommen wir noch mal zu dem anderen Grundprinzip bei den jetzigen Regularien: Das Einstimmigkeitsprinzip, was bei diesem Gipfel zu Problemen geführt hat, zum Beispiel bei der Rechtsstaatlichkeit, da haben wir jetzt noch gar nicht drüber gesprochen, aber ich will das jetzt gar nicht inhaltlich aufzäumen, ich will über das Prinzip reden. Erstens, müsste man dieses Prinzip ändern?
Brok: Man muss es ändern. Man wird es an bestimmten Kernpunkten nicht ändern können, aber das Einstimmigkeitsprinzip ist immer das Erpressungsprinzip. Dadurch wird es schlechter und teurer, und ich glaube, diese Verhandlungen haben es wieder gezeigt.
Wir wissen doch heute, das Österreich und Niederlande nicht für bessere Programme gekämpft haben, sondern dafür, dass sie weniger bezahlen müssen, über alle Regeln hinaus. Die wollten sich nicht beteiligen an den zusätzlichen Kosten, die durch den britischen Austritt kommen. Das ist doch der wahre Grund dahinter. Deswegen muss dieses Einstimmigkeitsprinzip zurückgedrängt werden.
Wir werden das in anderen Bereichen haben wie in der Außenpolitik, wo es so nicht weitergeht, in der Frage der neuen Steuerprogramme mit Eigenmitteln der Europäischen Union, die digitale Steuer oder die Steuer, die jetzt bezüglich Plastik eingeführt wird. Da müssen wir das Einstimmigkeitsprinzip wegbekommen, wenn wir wirklich mit einer 27er-Gemeinschaft vorankommen wollen.
Zurheide: Jetzt sagen Sie das so schön, wir müssen, nur diejenigen, die dann nicht mehr mitstimmen, die werden ja nicht ihrer eigenen Amputation zustimmen, um es jetzt mal drastisch auszudrücken.
Brok: Das ist das Schwierige, dass der Schritt dahin mit Einstimmigkeit passieren muss. Das ist wahr.
Zurheide: Richtig.
Brok: Das ist wahr, deswegen muss man sich immer da Einzelpunkte herausnehmen. Im Vertrag von Lissabon gibt es eine sogenannte Passerelle, in der viele Bereiche schon stehen, wo im Einzelpunkt man dann vorankommen kann. Deswegen wird man es nicht schaffen, dass man generell das Einstimmigkeitsprinzip in diesen Bereichen von Steuern, von Haushalt, Finanzen beseitigt, oder der Außenpolitik, das sind noch die Bereiche.
Der große Rest ist ja heute schon Mehrheitsentscheidung. Aber dass man sehen muss, dass man an den Einzelpunkten deutlich macht, und Kommissar Juncker hatte dazu ja Vorschläge unterbreitet, dass man da den Sprung schafft, nicht im Ganzen, sondern in bestimmten Teilen, beispielsweise bei binnenmarktrelevanten Steuern, die Bemessungsgrundlagen für Besteuerung, die Fragen, wie können große Internetkonzerne, die in Europa Wertschöpfung betreiben, hier auch Steuern zahlen, dass das nicht nur der europäische Mittelstand und die Arbeitnehmer machen.
Hier ist doch, glaube ich, Einsicht notwendig, dass man hier etwas tut. Der Europäische Rat will ja hier auch Steuern einführen, und hier muss man, glaube ich, den Sprung schaffen weg von der Einstimmigkeit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.