Jasper Barenberg: Wer in der EU die Regeln für Wachstum und Stabilität verletzt, dem darf die Kommission in Brüssel seit ein paar Jahren auf die Finger klopfen und zum Beispiel Haushaltsentwürfe zurückweisen, wenn sie die Abmachungen verletzen. Das aber hat sich der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jetzt verkniffen, obwohl insgesamt sieben Mitgliedsstaaten zum Teil erheblich gegen die Regeln verstoßen: darunter Frankreich, Italien und Belgien. Für den Moment aber vertraut Juncker darauf, dass die Regierungschefs Besserung geloben. Vor der Sendung habe ich den liberalen Europaparlamentarier Charles Goerens aus Luxemburg gefragt, ob Jean-Claude Juncker mit Defizitsündern wie Frankreich, Italien oder eben Belgien allzu viel Nachsicht hat.
Charles Goerens: Das würde ich so nicht sagen. Aber dass er ein gewisses Risiko läuft, das ist schon anzunehmen.
Barenberg: Warum sagen Sie, nicht zu viel Nachsicht? Sehr nachsichtig scheint es ja zu sein.
Goerens: Nein, ich glaube nicht, dass er irgendeinen Zweifel aufkommen lässt, dass er nicht mehr zu den Zielen des Stabilitätspakts steht. Aber der Weg ist ein anderer.
Barenberg: Nun sagen die Regeln dieses Stabilitäts- und Wachstumspaktes ja ziemlich klar, dass die Kommission Vorgaben machen soll, wenn Staaten die Kriterien nicht einhalten, dass sie Sanktionen verhängen soll, wenn die Staaten solche Vorgaben nicht beachten. Warum hält sich Jean-Claude Juncker nicht daran?
Goerens: Ich glaube nicht, dass er sich nicht daran halten will. Er hat ja auch heute erklärt, dass er von drei Ländern schriftliche Verpflichtungen bekommen hat, sich den Zielsetzungen weiter verpflichtet zu fühlen, und strukturelle Reformen werden auch nächstes Jahr von diesen drei Staaten durchgeführt, schenkt man dem Schreiben an Herrn Juncker Glauben.
Barenberg: Besserung haben Staaten, die die Vorgaben nicht einhalten, ja immer schon gelobt, ohne dass etwas passiert wäre.
Goerens: Ich glaube, man sollte das machen, was machbar ist. Frankreich steht in der Pflicht, was zu tun, das hat Juncker auch schriftlich mitgeteilt, und ich glaube, man sollte sich auch bewusst sein, dass wir in einer ganz anderen Lage sind Ende 2014. Wir stehen am Rande einer Deflation, die Inflation hat einen sehr beängstigenden Rückgang zu verzeichnen. Wir möchten alle eine Art japanische Dekade verhindern. Juncker hat ein sehr ehrgeiziges Investitionsprogramm angekündigt. Hier haben wir viele neue Elemente, die sich positiv auf die Lage auswirken können, mit der Selbstverpflichtung der Staaten, die heute in der Kritik stehen. Zusammen mit den anderen zwei Neugestaltungen der politischen, wirtschaftlichen Lage bin ich nicht ohne Hoffnung.
Barenberg: Sie haben über Frankreich gesprochen und davon, dass diese Länder machen sollen, was machbar ist. Nun habe ich es immer so verstanden, dass Frankreich beispielsweise schon zweimal zusätzliche Zeit in Anspruch genommen hat und bekommen hat, um das eigene Defizit unter die Grenze von drei Prozent zu drücken. Nun wird es 2015/2016 auch nichts damit. Wie viel Langmut kann man noch haben? Wie viel Hoffnung kann man noch haben, dass den Worten Taten folgen werden?
Chance für Frankreich
Goerens: Ich glaube, wir können in sechs Monaten noch mal die Debatte führen und dann sehen wir, ob ich etwas zu optimistisch war. Ich möchte Frankreich diese Chance noch gewähren.
Barenberg: Nun hat ja Jean-Claude Juncker selber gesagt, dass es die Regeln gibt, aber er sich anders entschieden hat. Nimmt er seine Rechte, seine Verpflichtungen als Wächter der Verträge wirklich ernst?
Goerens: Ich glaube noch einmal, dass er am Ziel festhält. Nur der Weg ist ein anderer, dort hinzukommen. Wenn die Länder aus Selbstverpflichtung was tun, das ist leichter, den Menschen in dem Lande zu vermitteln, als wenn das immer wieder von dem entfernten Brüssel angemahnt wird.
Barenberg: Nur warum gibt es dann diese Regeln, die schließlich ja auch die Mitgliedsstaaten selber, also auch Frankreich beispielsweise mitträgt und mit beschlossen hat?
Goerens: Es stellt ja niemand die Regeln in Frage. Ob man das jetzt drei Monate früher oder drei Monate später hinbekommt, das ändert ja nichts an der fundamentalen Lage. Die fundamentale Lage ist, dass in Europa kein Investitionsklima besteht, dass wir kein Wachstum haben, dass andere genauso viele Schulden gemacht haben, vielleicht noch mehr als die Europäer und viel bessere Resultate haben. Der Weg, er ist nicht ohne Risiko. Der Weg, den er jetzt geht, der setzt auf das Vertrauen, das ihm die Länder versprochen haben, und ich gehe davon aus, dass die Länder jetzt auch sehr in der Pflicht stehen. Sagen wir auch, dass die Lage im wirtschaftlichen Bereich vielleicht ein klein wenig besser aussieht. Die Energiepreise sinken noch immer auf der einen Seite und auch der schwächere Euro, der könnte vielleicht auch für die Exportindustrie sich als günstig erweisen. Ich möchte nicht nur der Hypothese des Allerschlechtesten hier das Wort reden.
Barenberg: Es gibt ja auf der anderen Seite Staaten, die große Anstrengungen unternommen haben und einen hohen Preis gezahlt haben, um für Besserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. Spanien wäre eins, Irland wäre eins, Portugal auch. Welches Signal geht eigentlich an diese Länder, dass die Anstrengungen gar nicht nötig gewesen wären, dass man in Zukunft wieder zurückkehren kann, etwas lockerer mit diesen Kriterien umzugehen?
Goerens: Ich glaube nicht, dass man den Ländern vermitteln sollte, dass die Franzosen und die Italiener keine Anstrengungen gemacht hätten. Das stimmt so nicht. Die Leute haben sehr viele Opfer gebracht und die sind auch fast am Rande des Zumutbaren angekommen. So gesehen leiden die südeuropäischen Staaten alle inklusive Frankreich.
Barenberg: Charles Goerens, der Europaparlamentarier, Mitglied der Demokratischen Partei Luxemburgs, heute hier im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
Goerens: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.