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EU im Handelsstreit mit den USA
"Man könnte ein TTIP light versuchen"

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger warnt vor einem Handelskrieg mit den USA. Der Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Washington sei wichtig, um eine Eskalation zu verhindern, sagte er im Dlf. Oettinger plädiert für ein Zollabkommen mit den USA - angelehnt an das gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP.

Günther Oettinger im Gespräch mit Peter Sawicki |
    EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger
    "Wir haben gute Argumente", sagt EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger zu Jean-Claude Junckers Besuch bei Donald Trump. "Ob dies was hilft, weiß man nicht." (imago stock&people)
    Peter Sawicki: Donald Trump empfängt heute EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Dessen Ziel ist, den Handelsstreit mit Washington zumindest nicht noch weiter ausufern zu lassen.
    Am Telefon ist Günther Oettinger, der EU-Kommissar für Haushalt und Personal. Guten Morgen, Herr Oettinger!
    Günther Oettinger: Guten Morgen.
    Sawicki: Vergeudet Jean-Claude Juncker heute seine Zeit?
    Oettinger: Ich glaube, nicht. Der Termin war von Präsident Trump und von den Regierungschefs der Europäischen Union gewollt und Jean-Claude Juncker nimmt ihn wahr als eine Art Gütetermin. Wir wollen damit eine weitere Eskalierung im Handelsstreit vermeiden, einen Handelskrieg vermeiden. Wir haben gute Argumente, wir haben klare Zahlen, wir haben auch Überlegungen. Ob dies was hilft, weiß man nicht, aber es nicht zu versuchen, nicht rüberzufliegen, den Termin nicht wahrzunehmen, das wäre der falsche Weg gewesen.
    Hoffnung auf Diskussionsprozess innerhalb der USA
    Sawicki: Aber Jean-Claude Juncker ist ja nicht der erste Europäer, der bei Trump in Washington etwas erreichen will. Warum sollte es bei ihm besser laufen als bei Angela Merkel oder Emmanuel Macron?
    Oettinger: Er ist der richtige Europäer, denn Handelsangelegenheiten sind europäische Angelegenheiten. Wir haben einen Binnenmarkt der Europäischen Union und wir haben deswegen nach außen europäische Außenbeziehungen, und er vertritt die Kommission und die Kommission verhandelt über Handelsfragen. Ich glaube, dass deswegen er schon die beste Person ist, um im Guten zu versuchen, weitere Eskalationsschritte zu vermeiden.
    Sawicki: Dann ist die Frage, ob sich Donald Trump davon beeindrucken lässt, denn bislang hat er ja wenig erkennen lassen, dass er einlenken möchte in dem Handelsstreit.
    Oettinger: Wir haben ja noch ein paar Wochen Zeit. Die nächsten Schritte sind in den USA, wenn, dann im September vorgesehen, nämlich Strafzölle auf Autos zu erheben. Unterdessen ist erkennbar, dass die amerikanische Industrie den Präsidenten Trump warnt. Die Chefin von General Motors, andere CEOs, aber auch die Landwirtschaft sehen ganz klar die Nachteile für die amerikanische Volkswirtschaft. Deswegen: Heute die Argumente vorzubringen, Zahlen vorzulegen, erste Angebote zu machen und dann abzuwarten, dass es in den nächsten Wochen zu einem Diskussionsprozess innerhalb der USA kommt, der dann die weiteren Strafzölle vermeiden hilft, ich glaube, dass dies eine mögliche gute Entwicklung sein kann.
    "Man könnte ein TTIP light versuchen"
    Sawicki: Sie haben jetzt gesagt, Angebote machen, wenn ich das richtig verstanden habe. Welche sollen das sein?
    Oettinger: Zum einen wollen wir erinnern, es gibt ja die Verhandlungen von TTIP. TTIP wäre die umfassende Lösung aller Zölle gewesen, nämlich weg, weitgehend weg mit allen Zöllen auf alle Produkte für Exporte und Importe zwischen USA und der Europäischen Union. Man könnte auch ein TTIP Light versuchen. Man könnte versuchen, das Paket der bestehenden Zölle aufzuschnüren und dann zu einer weiteren Balance zu kommen, die Zölle für verschiedene Waren und Produkte zu senken. Das gilt nicht nur für Autos, das gilt für alle Produkte. Das wäre aber eine Verhandlung, die wäre in einem halben Jahr möglich und die könnten wir mit den USA im Herbst starten.
    Sawicki: Ist das die Position, auf die man sich jetzt geeinigt hat, auch im Gespräch mit den anderen europäischen Staatschefs, ein neuer TTIP-Anlauf?
    Oettinger: Ein umfassender Anlauf. TTIP ist vermutlich zu ehrgeizig. Trump hat ja TTIP auf Eis gelegt und wird es nicht aus dem Eisfach herausholen.
    "Unsere Linie: dass bestehende Strafzölle aufgehoben werden"
    Sawicki: Aber TTIP Light, das, was Sie jetzt geschildert haben, ist das jetzt die Marschroute als Kompromissvorschlag?
    Oettinger: Unsere gemeinsame Linie ist erstens, dass wir erwarten, dass bestehende Strafzölle aufgehoben werden. Und zweitens: Dann sind wir bereit, über die Absenkung und eine Neuordnung aller Zölle zu allen Produkten in allen Sektoren zu beraten.
    Sawicki: Die Tatsache, dass TTIP in seiner Form, wie es mal ausgehandelt werden sollte, deutlich abgelehnt worden ist, auf Ablehnung gestoßen ist in Europa, in fast allen Mitgliedsstaaten in der Bevölkerung, das lassen Sie da jetzt außen vor?
    Oettinger: Das stimmt so nicht. Die Ablehnung war in Frankreich, Deutschland und Österreich. In der Mehrzahl der europäischen Länder gab es überhaupt keine Einwendungen. Heute wäre man auch in Deutschland froh, man hätte geklärte Verhältnisse, dass nicht ein Präsident einseitig mit höheren Zöllen spielen könnte. Es geht mit meiner Überlegung, mit unserer Überlegung nicht um Investitionsschutz und Schiedsgerichtsklauseln; es geht einzig und allein um die Überlegung, das Gesamtpaket der bestehenden Zölle zu überdenken.
    "Alles wäre besser als ein Handelskrieg"
    Sawicki: Aber die Kritik hat es ja gegeben. Die ist ja immer noch da in Sachen Freihandelsabkommen mit den USA. Und die Frage stellt sich natürlich, ob das Vertrauen unter diesem Präsidenten in Washington gestiegen ist, und das dürfte ja nicht unbedingt der Fall sein.
    Oettinger: Es geht nicht um Vertrauen in den Präsidenten alleine; es geht um Vertrauen in Verhandlungen, und die wären transparent und öffentlich, und dann wüsste man, was herauskommen könnte, und alles wäre besser als ein Handelskrieg. Wir stehen ja nicht irgendwo in besten Verhältnissen. Wir haben es mit einem Handelsstreit zu tun, der sich rasch zum Handelskrieg ausweiten könnte, und ich glaube, deswegen wird jeder Arbeitnehmer bei Mercedes und bei Audi, bei BMW und bei Thyssen-Krupp erkennen, jetzt Verhandlungen zu beginnen und eine kleine Zollvereinbarung zu versuchen, wäre der bessere Weg, als sich gegenseitig zu bekriegen.
    Sawicki: Sie haben jetzt vor allem deutsche Unternehmen genannt. Gibt es da die Gefahr, dass die deutsche Industrie dort auf eine Extrawurst pochen könnte in Bezug auf die weiteren Verhandlungen?
    Oettinger: Richtig ist, dass Deutschland das Exportland Nummer eins Europas ist. Aber in jedem Mercedes, in jedem BMW stecken jede Menge Teile aus anderen europäischen Ländern, zum Beispiel Reifen von Michelin, oder Batterien, oder Federn, oder Sitze, die nicht in Deutschland hergestellt sind. Das heißt: "Made in Germany" ist zu 50 Prozent "Made in Europe". Deswegen haben wir ein gemeinsames Interesse, die europäische Exportwirtschaft vor einem Handelskrieg zu bewahren.
    Kämen Sonderzölle, "dann dürften wir keine Schwächlinge sein"
    Sawicki: Was passiert denn eigentlich, wenn alles Reden, alles Verhandeln nicht hilft und die Sonderzölle auf Autos erhoben werden? Was machen Sie dann?
    Oettinger: Die Gefahr besteht ganz real im September. Damit würde Herr Trump ein Wahlversprechen einlösen. Das halte ich für denkbar, und dann müssten wir reagieren, denn dann dürften wir keine Schwächlinge sein. Dann müssten wir ihm aufzeigen, dass wir genauso handeln können, denn es gibt jede Menge Produkte aus den USA, die zu uns kommen und bei denen wir dann Zölle erheben könnten, höhere Zölle erheben könnten.
    Sawicki: Haben Sie da schon konkrete Produkte auf der Liste?
    Oettinger: Wir wissen ja, was pro Jahr nach Europa kommt. Es gibt ganz konkrete Einfuhrbilanzen. Dann werden wir Ende August in der Kommission überlegen, auf welche Produkte wir höhere Zölle erheben wollen, so wie wir dies nach der ersten Maßnahme, Strafzölle auf Stahl und Aluminium einzuführen, auch gemacht haben.
    "Eine Diskussion, die in die richtige Richtung geht"
    Sawicki: Glauben Sie eigentlich, dass mit Donald Trump langfristig ein Trend in Sachen Politikstil, Handelspolitik und so weiter, in Washington eingezogen ist? Oder ist das ein vorübergehendes Phänomen, das man aussitzen kann?
    Oettinger: Es gibt ja schon harte Kritik an diesen ersten Strafzöllen und an der drastischen Maßnahme China gegenüber. Das heißt, sowohl im Senat wie im Kongress wie in der Öffentlichkeit wie in der Industrie wie bei den Landwirten gibt es jetzt warnende Stimmen, und die werden zunehmen. Wir haben Halbzeitwahlen am 4. November. Da werden alle Kongressabgeordneten neu gewählt und ein Drittel des Senats neu gewählt, und da wird es mit Sicherheit auch bei den Republikanern Abgeordnete geben, die im Wahlkampf nicht zuwarten, nicht stillsitzen, sondern die Nachteile für die amerikanische Wirtschaft auch darstellen und ihrem Präsidenten darlegen.
    Sawicki: Sie haben das Gefühl, dass die Einstellung in Sachen Handelspolitik sich nicht grundlegend verändert hat, trotz Donald Trump?
    Oettinger: Da kommt eine Diskussion, die in die richtige Richtung geht, in Gang. Amerika ist mit Sicherheit daran interessiert, am Welthandel weiter teilzuhaben, Exporte nach Asien und Europa zu ermöglichen und die Kosten nicht zu steigern. Deswegen bin ich der Meinung, es wird keine grundlegende Änderung, kein Protektionismus in den USA in den nächsten Jahren einkehren.
    "Alle wissen um den Vorteil einer geeinten EU"
    Sawicki: Glauben Sie eigentlich, dass Europa auch im Hinblick auf den gemeinsamen Kurs gegen Donald Trump zusammenhält?
    Oettinger: Ja. Wir tun alles, um die Union zu erhalten. Natürlich wollen Kräfte von außerhalb, wie ja auch Donald Trump, das Spiel "divide et impera" uns nahelegen, "teile und herrsche". Aber das kann nicht unser Spiel sein. Wir müssen die Union bleiben, der Binnenmarkt bleiben und müssen auch bei gewissen unterschiedlichen Interessen zwischen Frankreich und Deutschland, zwischen anderen Ländern und Deutschland die Gemeinsamkeit erhalten. Die macht uns stark.
    Sawicki: Haben Sie das Gefühl, dass der Wille dazu da ist?
    Oettinger: Ja, weil jeder weiß, wenn man ausschert, hat man einen kleinen Vorteil, kurzfristig einen Pyrrhussieg, aber einen Nachteil dauerhaft. Alle wissen um den Vorteil einer geeinten Europäischen Union.
    Sawicki: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger. Vielen Dank, dass Sie für uns Zeit hatten.
    Oettinger: Ich danke auch. Einen guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.