Die Runde der EU-Innenminister will heute beim Thema "Umgang mit der Flüchtlingskrise" Schritte diskutieren, die hinausgehen über die hochgradig umstrittene Verteilung von Schutzsuchenden, die die Debatten der vergangenen Wochen dominiert hat. Was die Verteilung von 160.000 derjenigen Menschen, die in Italien und Griechenland ankommen, auf alle EU-Länder angeht, ist diese beschlossen und verkündet, soll nicht mehr diskutiert werden, wird morgen konkret beginnen, bestätigte gestern EU-Kommissionssprecherin Mina Andreeva. "Tatsächlich werden die ersten eritreischen Flüchtlinge aus Italien nach Schweden umgesiedelt."
Die Innenminister wollen sich heute unter anderem damit befassen, wie Nicht-Asylberechtigte konsequenter abgeschoben werden können. Die EU-Kommission hat dazu ein 109-Seiten umfassendes Handbuch und einen Aktionsplan vorgelegt - beides mit dem Ziel, den EU-Ländern Handwerkszeug in die Hand zu geben, abgewiesene Asylbewerber zur freiwilligen Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen oder sie notfalls im Rahmen des rechtsstaatlich Möglichen zu erzwingen. "Rücknahme-Verträge mit allen Herkunftsländern sind jetzt auszuhandeln. Die EU-Kommission unterstützt Abschiebungen mit 800 Millionen Euro bis 2020 und hat vorgeschlagen, das Budget von Frontex für Rückführungen deutlich zu erhöhen."
Frontex ist die EU-Agentur, die die Sicherung der Außengrenzen koordiniert. In wieweit Frontex ausgebaut werden sollte in Richtung eines gemeinsamen europäischen Grenzschutzes für die EU-Außengrenzen, wie sie etwa der französische Präsident Hollande gestern im Europäischen Parlament ansprach – auch das werden die Minister diskutieren. Für Kritiker der Linken und der Grünen begibt sich die EU mit solchen Überlegungen auf den Weg zur Aushöhlung des Asylrechts. Bundeskanzlerin Merkel wies diese Kritik bei ihrem gestrigen gemeinsamen Auftritt mit dem französischen Präsidenten zurück. "Niemand verlässt seine Heimat leichtfertig. Auch nicht die, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Aber denen müssen wir auch sagen, dass sie nicht bei uns bleiben können, damit wir denen wirklich helfen können, die tatsächlich unseren Schutz vor Krieg und Verfolgung brauchen."
Den EU-Innenministern geht es heute auch um eine andere, zunehmend an Bedeutung gewinnende Facette des Flüchtlingsthemas: "Wir müssen kooperieren mit den wichtigen Transit-Staaten – dazu gehört natürlich die Mahnung, menschenrechtliche Standards zu beachten." Und da die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern, beziehungsweise mit den Transitländern, von der Bundesaußenminister Steinmeier spricht, ebenfalls ein Schwerpunkt-Thema ist beim morgigen Treffen der EU-Innenminister, kommen am Abend die Außenminister hinzu. Und zwar nicht nur die der EU, sondern auch die der besonders stark von der Flüchtlingswelle betroffenen Anrainer-Länder in der Region, beziehungsweise der Durchreise-Länder der Flüchtlinge: Die Westbalkan-Länder, Libanon, Jordanien, die Türkei.
"Die Türkei hat wie kaum ein anderes Land seit mehr als vier Jahren ihre Türen für alle Menschen aus den Konfliktgebieten geöffnete und sie nach den höchsten Standards versorgt", sagte der türkische Präsident Erdogan bei seinem Besuch in dieser Woche in Brüssel. Aus Sicht der Bundeskanzlerin kommt der Türkei eine Schlüsselrolle zu. "Die Türkei leistet Außergewöhnliches, für über zwei Millionen Flüchtlinge. Sie braucht aber verstärkt unsere Unterstützung."
Und die wird die Türkei aus EU-Mitteln bekommen. Eine Milliarde Euro sind versprochen. Technische Hilfe bei Empfang und Registrierung der Flüchtlinge und bei der Durchführung von Asylverfahren auch. Die Türkei will im Gegenzug unter anderem ihre Grenzen besser kontrollieren, den Kampf gegen Schlepper verstärken. Details eines entsprechenden gemeinsamen Aktionsplans sollen mit dem EU-Beitrittsland noch vor dem nächsten EU-Gipfel in der kommenden Woche weitgehend geklärt sein. Die anderen genannten Transit- oder Anrainer-Länder sollen ebenfalls deutlich mehr Unterstützung von der EU bekommen. Nicht zuletzt in der Hoffnung, dass in den Lagern der Region besser versorgte Menschen sich seltener auf den gefährlichen Weg an Europas Grenzen machen.