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EU-Innenminister zur Flüchtlingspolitik
Nächste Runde im Streit über Umverteilung

Die Agenda der EU-Innenminister bei ihrem heutigen Sondertreffen in Brüssel hat es in sich: 160.000 Flüchtlinge sollen bis Ende nächstes Jahres auf alle EU-Länder umverteilt werden, und mit der Türkei muss über einen Aktionsplan verhandelt werden. Doch viele EU-Länder weigern sich weiterhin, Flüchtlinge aufzunehmen. Und Schweden bittet erstmals um Entlastung.

    Flüchtlinge überqueren die deutsch-österreichische Grenze
    Flüchtlinge überqueren am Morgen des 01.11.2015 nahe Wegscheid (Bayern) die Grenze von Österreich nach Deutschland (dpa/picture-alliance/ Sebastian Kahnert)
    Darum geht es in erster Linie beim heutigen erneuten Sondertreffen der EU-Innenminister: Umsetzung, Umsetzung, Umsetzung. Die Regierungen der EU-Länder haben einiges beschlossen in den vergangenen Wochen, aber nicht annähernd alle sind ihren Verpflichtungen aus dem Beschlossenen nachgekommen, moniert EU-Vizekommissionspräsident Timmermans.
    "Es klafft eine große Lücke zwischen Beschlüssen und dem, was bis jetzt auf den Tisch gekommen ist. Es fehlen konkrete Zahlen der EU-Länder, wie viele umzuverteilende Flüchtlinge sie zunächst bis zum Jahresende aufnehmen. Und konkrete Ansagen, wie viele Experten jedes Land beisteuert, damit die EU-Agenturen ihre Arbeit machen können."
    Maßnahmen bleiben im Ansatz stecken
    Also die Grenzschutzagentur Frontex und das Asylunterstützungsbüro EASO, deren Mandate deutlich erweitert worden sind. Außerdem läuft die Aufstockung der diversen europäischen Geldtöpfe im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise schleppend – für die Versorgung der Flüchtlinge in den Transitstaaten beispielsweise oder für den Treuhandfonds für Afrika im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels in dieser Woche in Malta. Auch den deutschen EU-Kommissar Oettinger ärgert die Tatsache, dass die finanzielle Unterfütterung von beschlossenen Maßnahmen im Ansatz stecken bleibt.
    "Jetzt kann man eine Sammelbüchse aufstellen. Also an diese "Caritas-Methode" glaube ich in dem Fall nicht. Da wäre meines Erachtens eine Finanzierung aus der Gemeinschaftskasse, also dem Haushalt vorzugswürdig."
    Hoffnung liegt auf Hotspots
    Ein weiterer Punkt, der in direktem Zusammenhang steht mit der Bereitschaft aller EU-Länder, zügig Mittel und Experten zur Verfügung zu stellen, ist die rasche Funktionsfähigkeit der beschlossenen sogenannten Hotspots an den EU-Außengrenzen. Von diesen verspricht sich auch die Bundesregierung nicht zuletzt, dass die Ankommenden hier ordentlich registriert werden, wie die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Emily Haber, sagt.
    "Das bedeutet, dass Strukturen geschaffen werden, die es erlauben, Flüchtlinge angemessen aufzunehmen, die Verfahren ordentlich bis zum Ende zu führen und dies mit der Hilfe europäischer Agenturen."
    Viele EU-Regierungen sehen die Umsetzung des Hotspot-Konzepts zudem als Voraussetzung, um schneller unterscheiden zu können, zwischen illegalen Migranten und wirklich Schutzbedürftigen, von denen dann bis Ende nächsten Jahres 160.000 auf alle EU-Länder umverteilt werden sollen. Jetzt hat nach Italien und Griechenland auch Schweden gebeten, dass andere EU-Länder ihm Flüchtlinge abnehmen sollten. Nicht nur deshalb wird dieses so schwierige, so strittige Thema Umverteilung heute wieder eine Rolle spielen. Allerdings sind keine neuen Beschlüsse zu erwarten – wohl auch nicht bei einem anderen Thema: dem Dublin-System. Also jenem System, nachdem im Prinzip allein dasjenige EU-Land für Asylbewerber zuständig ist, wo diese zuerst EU-Boden betreten. Ein System von dem mittlerweile auch die Bundesregierung sagt, dass es nicht mehr funktioniert.
    "Als Dublin zustande kam, war die Lage komplett anders. Das ist natürlich eine Reaktion auf die Lage in den Mitgliedsstaaten, die nicht vorgesehen war, als Dublin zustande kam."
    Aktionsplan mit der Türkei unumgänglich
    Sagt EU-Kommissionsvize Timmermans. Er wird am morgigen Dienstag nach Ankara reisen, um weiter mit der Türkei über einen Aktionsplan zu verhandeln, der im Ergebnis dazu führen soll, dass weniger Flüchtlinge über die Türkei nach Europa kommen. Die Türkei soll ihre Grenzen besser sichern und den Flüchtlingen in ihrem Land einen besseren Status geben, wofür sie im Gegenzug EU-Milliarden und Visa-Erleichterungen wünscht. Die Lage in dem Land ist jedoch nicht gerade rosig, was Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte angeht. Darauf wird auch der Bericht über Fortschritte bei den Verhandlungen mit EU-Beitritts-Kandidaten hinweisen, der nun wohl in dieser Woche nach mehrmaliger Verzögerung veröffentlich wird. Das Unbehagen, auf die Türkei in der Flüchtlingsfrage angewiesen zu sein, ist weit verbreitet in der EU. Aber man braucht einander da nun mal, sagt Timmermans.
    "The EU needs Turkey; Turkey needs the EU to get the situation under control."