Ralf Krauter: Bei einem Festakt in der Wiener Hofburg haben sich kürzlich 500 Wissenschaftler eingefunden, um den offiziellen Startschuss eines Megaprojektes zu feiern: Im Rahmen der EU-Quantenflaggschiff-Initiative werden in den nächsten zehn Jahren über eine Milliarde Euro in die Entwicklung neuartiger Quantentechnologien fließen. Die Vision: Europas Forschern und Unternehmen beim internationalen Wettlauf um Schlüsseltechnologien für das 21. Jahrhundert eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. Im Gespräch mit Ralf Krauter erklärt Initiator Professor Tommaso Calarco vom Forschungszentrum Jülich zunächst, was ihm beim offiziellen Kick-off in Wien durch den Kopf ging.
Tommaso Calarco: Ich dachte, dass ist kaum zu glauben, dass das jetzt hier zustande kommt, weil in den letzten Jahren hatte ich für fast 15 Jahre daran gearbeitet. Die gesamte Community ist zusammengekommen, und damals, als wir angefangen haben, war das noch ein Traum. Und dass jetzt dieser Traum verwirklicht wird – ich meine, ein bisschen Träumen..., nicht sicher ist es ja gewesen, dass es zustande kommt, und es ist jetzt Tatsache.
Kontinuierlich die Überzeugung wachsen lassen
Krauter: Das heißt, Sie mussten durchaus dicke Bretter bohren, um die Verantwortlichen in Brüssel bei der EU-Kommission auch davon zu überzeugen, dass Quantentechnologien wirklich das nächste große Ding sind und so viel Geld und Aufmerksamkeit verdienen?
Calarco: Ja, ich muss sagen, da in Brüssel war das auch graduell, in dem Sinne, dass die EU-Kommission uns von Anfang an unterstützt hatte, natürlich progressiv, also am Anfang waren es nicht so viele Mittel, dann ist es gewachsen, bis es wirklich zu den höchsten politischen Vertretern, also Kommissaren in diesem Fall, Herr Oettinger und jetzt auch die Frau Gabriel, da überzeugt worden sind. Also, ich würde sagen, es ging nicht um dicke Bretter, sondern eher darum, kontinuierlich Informationen und Argumente zu bringen, um die Überzeugung wachsen zu lassen.
Krauter: Was waren die drei wichtigsten Argumente, die Sie ins Feld geführt haben und die letztlich zum Erfolg geführt haben?
Calarco: Also das erste Argument war, dass wir wirklich an der Schwelle der zweiten Quantenrevolution sind, wo die Erkenntnisse, die durchaus in Europa am Anfang des letzten Jahrhunderts entwickelt worden sind, wirklich jetzt zu Produkten, einer neuen Generation von Quantentechnologien, führen können. Das zweite Argument war, dass dies wirklich eine paneuropäische Dimension ist in dem Sinne, dass ungleich wie in anderen Bereichen, wo vielleicht ein Übergewicht von größeren Mitgliedsstaaten wie etwa Deutschland, Frankreich oder sowas in der Forschung auf EU-Ebene zu sehen ist, in diesem Bereich es wirklich so ist, dass die Exzellenz weit verbreitet ist. Wir haben exzellente, herausragende Wissenschaftler auch in den jetzt bewilligten Forschungsprojekten, die aus fast allen Ländern kommen, auch aus den östlichen, auch aus den kleineren Ländern. Und das ist eine Dimension, die wirklich eine europäische Dimension rechtfertigt.
Und das dritte Argument war, dass die Industrie, insbesondere sehen wir das jetzt in den USA, stark in diesem Bereich investiert. Und unsere Industrie hat auch eine strategische Vision hier in Europa, um das durchzusetzen, aber vielleicht nicht so die hohen Profite, die etwa von der Internetrevolution in die USA gekommen sind. Und deswegen geht es jetzt wirklich darum, die Industrie zu unterstützen für eine breitere Investition in diesem Bereich mit dieser Intervention von den öffentlichen Geldgebern. Und alle diese Argumente waren die drei Elemente, die quasi unsere Entscheidungsträger überzeugt haben.
Quantenkommunikation weiter ausbauen
Krauter: Beim Kick-off in Wien Ende Oktober bekamen 20 Forschungscluster den Zuschlag für ihre Projekte, die also in den nächsten drei Jahren mit insgesamt 132 Millionen Euro gefördert werden. Da geht es um Quantenmesstechnik, um abhörsichere Kommunikation via Quantentechnologie, um Quantensimulation und um Quantencomputer. In welchem Bereich ist denn in den nächsten fünf Jahren aus Ihrer Sicht mit Ergebnissen zu rechnen, die wirklich in praktische Anwendungen münden könnten?
Calarco: Also sicherlich die ersten zwei Bereiche, die Sie erwähnt haben. Zunächst die Quantenkommunikation, wo Kommunikationssicherheit gewährleistet wird von Gesetzen der Quantenmechanik, da sind schon heutzutage Geräte auf dem Markt, die man kaufen kann, die Weltmarktführerfirma sitzt in Genf und heißt ID Quantique, und das wollen wir weiter ausbauen. In Verbindung auch mit dem Flaggschiff würde wahrscheinlich, das wird gerade im Parlament und im Rat der Europäischen Union besprochen, würde ein Projekt für ein europaweites Netzwerk von quantensicheren Kommunikationen entstehen.
Das ist etwas, das vielleicht impact hat auf die Verbraucher, quasi jeden Tag. Was demnächst aufkommt und innerhalb von den nächsten fünf Jahren zu erwarten ist, sind mehrere Anwendungen im Bereich der Quantenmesstechnik, sowohl auf der Seite von medizinischer Diagnostik, in dem Sinne, dass mit diesen neuen Quantentechnologien es möglich ist, viel präziser Messungen von diagnostischen Vorgängen durchzuführen, als auch aber im Bereich der Navigation, weil quantentechnologische Atomuhren es erlauben werden, zum Beispiel die Präzision von Satellitensignalen zu steigern, sodass wir auch bei der Navigation viel präzisere Angaben haben können, die möglicherweise auch in Richtung autonome Navigation führen können.
Krauter: Also, da geht es um die Verbesserung der Genauigkeit von GPS-Satellitenkoordinaten letztlich. Ich habe mir diese Liste der geförderten Projekte mal angeschaut. Auffällig ist, sie fördern primär Arbeitsgruppen, die auf ihrem Gebiet seit Jahren sowieso schon exzellent sind. Also der Max-Planck-Forscher Immanuel Bloch aus Garching zum Beispiel koordiniert einen Verbund zur Erforschung von Quantensimulatoren, die Niederländerin Stephanie Wehner hat den Zuschlag für ein Projekt zum Aufbau eines Quanteninternets bekommen und Physiker aus Innsbruck sind jetzt zuständig für die Weiterentwicklung von Quantencomputern auf Basis von Ionenfallen. Ist das eine kluge Strategie, jene mit Millionen zu fördern, die sowieso schon Weltspitze sind?
Calarco: Ja, unbedingt. Weil wir die Besten, die Exzellentesten aus der wissenschaftlichen Ebene unterstützen müssen, damit die in der Lage sind, etwas zu tun, was sie sonst nicht unbedingt per se tun würden, und zwar: Ihre exzellenten wissenschaftlichen Ergebnisse in die Innovation, in die Industrie einzubringen. Das ist etwas, was die Wissenschaftler nicht automatisch machen und das ist ein großer Stimulus, den diese Initiative geben wird, damit eben die Besten auch zu den besten Produkten kommen können.
Die Quantenapps der Zukunft
Krauter: Das Forschungszentrum Jülich, an dem Sie selbst seit kurzem arbeiten, ist beteiligt an einem Projekt namens "open super queue", das von der Uni des Saarlandes koordiniert wird. Auch da soll ein Quantencomputer entwickelt werden, allerdings auf Basis supraleitender Schaltkreise. Was genau ist da das Ziel?
Calarco: Das Ziel ist, einen Prototyp von einem solchen Quantenprozessor zu entwickeln, der jetzt nach den drei Jahren noch nicht zu verkaufen wäre, sondern zu etablieren als Teil, als Coprozessor im Zusammenhang mit dem Jülicher Supercomputing Center, sodass wir in der Lage sind, eine offene Facility zu bauen, wo wirklich Nutzer aus der ganzen Welt zugreifen können und mitentwickeln, was die nächste Software, die nächsten Anwendungen, die nächsten Quantenapps der Zukunft sein sollen.
Krauter: Kommendes Jahr jährt sich ja die Mondlandung zum 50. Mal. Könnte man in leichter Abwandlung des berühmten Zitats von Neil Armstrong sagen, die Quantenflaggschiffinitiative ist ein kleiner Schritt für die beteiligten Forscher, aber ein großer für die Europäische Union?
Calarco: Das kann man bestimmt sagen, weil es das erste Mal ist, dass Europa so strukturell diese wissenschaftlichen, fundamentalen Ideen, die aus der Quantenmechanik kommen, irgendwie jetzt in die Praxis umwandelt. Und auch ein großer Schritt, weil wir sehen, dass in der ganzen Welt andere Initiativen entstanden sind, die nach der Initiative von Europa geformt sind. Zum Beispiel in den USA, da wird gerade im Senat ein Gesetz besprochen für 1,2 Milliarden Dollar eben für die Quanteninformationswissenschaften, was damit verbunden. Und das wurde durchaus inspiriert durch unsere Initiative. Also in diesem Sinne nicht nur ein großer Schritt, sondern ein Schritt, den Europa als erstes auf der ganzen Welt so gemacht hat.
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