Jule Reimer: "Wir sind fast da", verkündete EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström am Wochenende nach zweitägigen Verhandlungen in Tokio. Da sein heißt, die Europäische Union und Japan stehen kurz vor der Einigung auf ein umfassendes Freihandelsabkommen, kurz genannt JEFTA. Einigen wollen sich beide Seiten jetzt ganz schnell, bei einem Gipfeltreffen am 6. Juli in Brüssel, noch vor dem G20-Gipfel in Hamburg, wobei die japanische Seite sich offenbar etwas vorsichtiger formulierte.
- Am Telefon in Berlin ist Alessa Hartmann von der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation PowerShift. Frau Hartmann, bei den Freihandelsabkommen TTIP und CETA – das eine bislang auf Eis, das andere vorläufig teilweise in Kraft -, da gab es ja viel Kritik wegen der Sorge, der vorsorgende Verbraucherschutz der Europäer könnte auf der Strecke bleiben. Ist im Vertragsentwurf mit Japan das Vorsorgeprinzip denn ausreichend berücksichtigt?
Alessa Hartmann: Guten Morgen! – In der EU gilt das Vorsorgeprinzip. Das besagt, dass Produkte so lange nicht auf den Markt dürfen, bis Risiken für Verbraucher wissenschaftlich ausgeschlossen werden können. Dieses fundamentale Prinzip der EU ist im bisherigen Vertragstext des Japan-Abkommens wirklich nur geringfügig verankert. Das Nachhaltigkeitskapitel des Abkommens verweist auf einen Vorsorgeansatz, wobei man wirklich sagen muss, dass der Begriff Vorsorgeprinzip generell als juristisch stärker angesehen wird als Ansatz.
"Sanktionen bei Zuwiderhandlungen gibt es auch nicht"
Reimer: Dass die Verbraucherverbände so sehr bei CETA und TTIP gepocht haben, liegt ja auch daran, dass zum Beispiel in den USA Chemikalien anders zugelassen werden. Erst mal darf alles Mögliche auf den Markt. Und wehe, wenn was passiert; dann drohen extreme Entschädigungszahlungen. Ist vielleicht das japanische Zulassungssystem gar nicht so weit weg vom europäischen, dass man deshalb gar nicht so stark auf diesen Begriff pochen müsste?
Hartmann: Doch, es gibt schon starke Unterschiede im Zulassungssystem. Und da hat das Abkommen ja auch vorgesorgt. Es wird auf jeden Fall auch ein Kapitel zur regulatorischen Kooperation geben, zur Zusammenarbeit bei Gesetzgebungen, um Standards und Normen der beiden Vertragsparteien gegebenenfalls anzupassen oder gegenseitig anzuerkennen und um Handelshemmnisse dann möglichst klein zu halten.
Reimer: Jetzt sagten Sie, es gibt ein Nachhaltigkeitskapitel. Wie sieht es mit dem Umweltschutz aus? Da bestand ja auch bei den nordamerikanischen Freihandelspartnern Sorge.
Hartmann: Ja, genau. Sowohl in CETA, in dem kanadischen Abkommen, als auch in dem JEFTA-Abkommen, dem japanischen Abkommen, fehlt es an konkreten bindenden Verpflichtungen in Bezug auf Umwelt, nachhaltige Entwicklung und auch Arbeitsrechte. Handelskommissarin Malmström hatte eigentlich angekündigt, den Fokus auf Artenvielfalt, Fischerei-Ressort und Holz zu legen, aber es bleibt hier bei losen Absichtserklärungen. Zum Beispiel wird lediglich festgelegt, dass die einzelnen Parteien kooperieren könnten, aber nicht müssen. Und Sanktionen bei Zuwiderhandlungen gibt es auch nicht.
"Es überhaupt nicht verpflichtend oder bindend"
Reimer: Das heißt, Sie bemängeln grundsätzlich eine mangelnde Verbindlichkeit des Nachhaltigkeitskapitels?
Hartmann: Ja, genau. Es ist überhaupt nicht verpflichtend oder bindend. Es sind lediglich Absichtserklärungen, die hier formuliert werden.
Reimer: Wachsender Freihandel, der geht ja möglicherweise einher mit weltwirtschaftlichen Transporten und Klimaschutz. Das kann zumindest in einem Spannungsverhältnis stehen. Wird darauf im Abkommen Bezug genommen?
Hartmann: Ja. Das Klimaabkommen von Paris wird in dem Nachhaltigkeitskapitel tatsächlich erwähnt. Aber auch hier bleibt es nur bei Handlungsoptionen. Beide Seiten scheuen sich auch davor, zu bewerten, inwiefern die Klimapläne des Partners angemessen sind oder nicht, obwohl es dort Expertenmeinungen gibt, die davor warnen, dass zum Beispiel Japans Maßnahmen viel zu wenig weit gehen. CETA zum Beispiel, das Kanada-Abkommen erlaubt es den Parteien, auch noch Teile des Abkommens zu missachten, um ihren Verpflichtungen zum internationalen Umweltabkommen nachzukommen. JEFTA hingegen bietet viel weniger Flexibilität. Es scheint sogar so, als würden einige Teile der JEFTA-Bestimmungen vorsätzlich die Vereinbarung darüber, wie die einzelnen Parteien sich an internationale Abkommen, zum Beispiel das Pariser Klimaabkommen zu halten haben, vage gehalten, um Möglichkeiten zu bieten, diese zu umgehen.
Reimer: Wir haben noch genau 20, 25 Sekunden. Mit Trump wird eigentlich im Augenblick das Niveau auf internationaler Ebene eher niedriger. Wäre es nicht sinnvoll, sich dann doch mal mit anderen zusammenzutun und was da gegenzusetzen?
Hartmann: Ja, klar. Wir sind auch für Handel, aber wir sind für einen fairen Handel und nicht nur freien Handel um jeden Preis. Wir brauchen Abkommen, die auch Abkommen für Verbraucherinnen und Umwelt sind, und das ist das Japan-Abkommen auf keinen Fall derzeit.
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