Versammlung der Zehntklässler in der Aula der Wilhelm-Raabe-Schule in Hannover: Anna Krichevsky erzählt vom Losglück – und der Fairness halber sei angemerkt: Ein flottes Bewerbungsschreiben der Politiklehrerin war auch mit im Spiel. Nun ist das Gymnasium als einzige deutsche Schule auserwählt, beim Projekt "Your Europe, Your Say!" dabei zu sein.
"Da werden wir Ende März noch mit drei Schülern, die hier vorne sitzen, mit Lukas, Didem und Nina aus dem elften Jahrgang nach Brüssel fahren. Denn es ist so, dass in diesem Kontext verschiedene aus den EU-Mitgliedsländern und auch aus den Bewerber-Ländern dann in Brüssel zusammenkommen, um über die Zukunft der EU zu diskutieren. Jetzt gerade in Zeiten von Brexit und so genannter Flüchtlingskrise ist ja auch richtig was los!"
Vorbereitung mit der EU-Abgeordneten Renate Heinisch
Zur Vorbereitung ist Renate Heinisch angereist. Die Europaabgeordnete erklimmt die Bühne. Sie mustert ihr jugendliches Publikum – und steigt in den Dialog der Generationen ein.
"Ich bin mit Euch auf einer Ebene, das sage ich Euch gleich. Der einzige Unterschied ist, dass ich vielleicht Eure Großmutter sein kann, weil ich schon 82 Jahre bin. Wir leben im digitalen Zeitalter, ich bin großgeworden ohne Fernseher – wir sind ganz verschiedene Welten!"
Geboren 1937 im badischen Boxberg studierte Heinisch Pharmazie, machte sich später als Apothekerin selbständig, trat mit Anfang 50 als politische Spätgezündete in die CDU ein, und wurde 1994 ins Europäische Parlament gewählt, seit 2002 gehört sie ehrenamtlich und überparteilich dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss an.
Vom Schrecken des Krieges zum Frieden in Europa
Heinisch hat Unterlagen mitgebracht. Es sind Folien mit Organigrammen, Gesetzesparagraphen, Tabellen. Sie sollen unsere Europäische Demokratie beschreiben – doch die Folien bleiben an diesem Morgen unberührt. Heinisch erzählt vom Schrecken des Krieges, von den toten Soldaten, die im Staub vor der elterlichen Apotheke lagen:
"Und wenn man dann auch an den Grenzen nachher sieht … man steht da, meine Mutti ist von Südamerika, von Chile, und hatte ihre Freundin in Frankreich, und steht dann an der Grenze – und sie kann nur winken. Man ist einfach getrennt voneinander."
Heinisch sagt, der Begriff Freundschaft trifft für sie am besten, worum es in Europa geht:
"Keine Demokratie, keine Freundschaft, keine Liebe zueinander ist selbstverständlich. Man muss jeden Tag daran arbeiten."
Mühsame EU-Beziehungsarbeit
Mühsam ist die Beziehungsarbeit, das dämpfte zuletzt die Begeisterung; findet eine Schülerin:
"Warum nimmt Europa immer ständig bestimmte Länder als schlechte Beispiele. Ich meine, würden Sie schlecht über einen Freund reden?"
Und Renate Heinisch stimmt zu: "Heute morgen habe ich den Fernseher angemacht: nur Brexit, Brexit, Brexit. Langsam hast Du dann auch das Gefühl, jetzt muss es endlich mal zuende sein. Das ist natürlich nicht freundschaftlich, wenn man das sagt."
Am schicksalhaften Referendum über Austritt oder Verbleib haben sich die britischen Jungwähler kaum beteiligt. Bei den letzten Wahlen 2014 traten europaweit nur 30 Prozent der 16 bis 29-Jährigen an die Urnen, die verfügbaren Zahlen lassen vermuten, dass 2019 Ähnliches passieren kann.
Politikverdrossenheit bei jugendlichen Wählern
"Ich denke, dass halt viele junge Leute meinen, sie können nicht wirklich was erreichen mit ihrer Stimme, und sich vielleicht auch dadurch wenig für Politik interessieren und es dann einfach so laufen lassen."
Vermutet Lukas Nordsieck, 17, der sich mehr Aufklärung über die Europäische Demokratie in den sozialen Netzwerken wünscht. Für ein soziales Europa, solidarisch mit Geflüchteten, will Nina Schlenke auf der Jugendplenartagung plädieren. Und die 16-Jährige sieht noch ein Anliegen speziell ihrer Generation, das dringend Eingang in Resolutionen finden müsste:
"Umweltschutz, ganz wichtig, auch aus anderen Ländern, dass es halt alles einheitlich eingeführt wird."
Zeichen setzen gegen Populismus
Nach Brüssel wird auch Didem Yilmaz reisen, ebenfalls 16. Sie freut sich auf die einmalige Chance zum Erfahrungsaustausch. Die Europäische Integration, sagt sie, ist die Zukunft. Und die kann niemanden kalt lassen:
"In den einzelnen Ländern der EU kommt ja jetzt dieser ganze Populismus wieder auf – und ich glaube, das ist gerade so ein Punkt, wo Europa auch dran zerbrechen kann. Und ich finde es ganz wichtig, dass wir dann zeigen, ja, wir sind auch noch da!"