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EU kippt Reinheitsgebot für Futtermittel

Bisher galt: Im Tierfutter dürfen in der EU keinerlei gentechnisch veränderte Organismen enthalten sein, die keine EU-Zulassung haben. Doch das wird nun anders: In Zukunft darf Tierfutter zum Beispiel auch Genmaissorten enthalten, die keinen Test der EU-Prüfbehörde hinter sich haben.

Von Mirjam Stöckel | 23.02.2011
    Stefanie Hundsdorfer ist wütend. Dass das deutsche Agrarministerium die Abkehr vom strikten Reinheitsgebot für Futtermittel mitgetragen hat, sei politisch unverantwortlich, findet die Greenpeace-Mitarbeiterin. Vor allem angesichts des jüngsten Skandals um Dioxin im Tierfutter.

    "In diesem Zusammenhang muss man gerade auch bei Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner sich die Frage stellen, ob sie in der ganzen Diskussion, die im Rahmen des Dioxinskandals um die Kontamination von Futtermitteln ging, nicht vielleicht doch begriffen haben sollte, dass die Verunreinigung mit nicht sicherheitsgeprüften, gentechnisch veränderten Organismen nicht vielleicht ein Holzweg ist."

    Dass Genmais oder Gensoja nur in einem Drittstaat als sicher bewertet sein müssen, nicht aber in Europa, reicht Umweltschützern nicht aus. Ohne eine abgeschlossene Sicherheitsprüfung in der EU und nach europäischen Standards seien Risiken für Mensch und Umwelt nicht absehbar, kritisieren sie. Europas Regierungen hätten daher am strikten Reinheitsgebot festhalten müssen - statt 0,1 Prozent Gentechnik ohne EU-Zulassung zu tolerieren.

    Die Futtermittelbranche dagegen freut sich: Dass Spuren von illegalen gentechnisch veränderten Pflanzen geduldet werden, senkt ihr Risiko, dass ganze Schiffsladungen Futtermais oder Futtersoja in Europas Häfen gestoppt und beispielsweise in die USA zurückgeschickt werden. Dort nämlich werden weit mehr Genpflanzen angebaut als in der EU zugelassen sind. Dass Importe nach Europa völlig frei von diesen Sorten bleiben, sei logistisch schlicht nicht zu gewährleisten, argumentiert die Branche.
    Für sie ist die Lockerung des strengen Reinheitsgebots also eine Erleichterung - und ein großer Erfolg ihrer Lobbyarbeit in Brüssel.

    "Wir haben lange dafür gekämpft - seit 2006, weil seitdem haben wir diese Probleme - , glauben aber, dass wir hier einen ersten wichtigen Schritt haben , aber dass noch weitere folgen müssen"."

    Sagt Bernhard Krüsken , Geschäftsführer des Deutschen Verbands Tiernahrung. Und er meint damit: Das strikte Reinheitsgebot muss jetzt auch noch für Nahrungsmittelimporte abgeschafft werden.

    ""Wir können uns eigentlich nicht vorstellen, dass man Futtermittel und Lebensmittel unterschiedlich behandelt. Viele der Rohstoffe werden sowohl im Futtermittelbereich als auch im Lebensmittelbereich eingesetzt - und da sind Mais und Soja ganz klassische Beispiele. Die gehen in beide Verwendungsrichtungen. Und wenn man hier einen unterschiedlichen Rechtsrahmen hat, das macht aus unserer Sicht definitiv keinen Sinn."

    Tatsächlich haben mehrere EU-Staaten bereits signalisiert, dass sie einverstanden wären, wenn Spuren von Gen-Pflanzen ohne EU-Zulassung zum Beispiel im Sojaschnitzel direkt auf dem Teller landen würden. Zwar liegt dazu noch kein Gesetzesvorschlag auf dem Tisch - doch Greenpeace-Mitarbeiterin Stefanie Hundsdorfer warnt schon jetzt: Damit gingen die Regierungen entschieden zu weit.

    "Denn wenn ich mir als Verbraucher nicht mehr sicher sein kann, wenn ich morgens meine Frühstückscornflakes löffele, ob da nicht illegaler Mais drin ist, kann man von Verbraucherschutz nicht mehr sprechen."

    Die Umweltverbände wollen die Abkehr vom Reinheitsgebot für Tierfutter nicht einfach hinnehmen. Der BUND hat ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben. Das kommt zu dem Schluss, dass die Europäische Kommission nach EU-Recht gar nicht befugt war, die Schwellenwert-Regelung für gentechnisch veränderte Organismen in Tierfutter ohne EU-Zulassung überhaupt vorzuschlagen. Mit diesem Argument will der BUND nun zumindest einen der 27 EU-Staaten davon überzeugen, beim Europäischen Gerichtshof gegen die neue Verordnung zu klagen - und sie so wieder zu kippen.