Sandra Schulz: Ermahnungen hat es immer wieder gegeben und Nachfragen und Ermahnungen, gerade zu Beginn des Jahres hatte die EU-Kommission im Streit um zu schlechte Luft den Mitgliedsstaaten noch mal die Chance gegeben, zu erklären, wie sie dafür sorgen wollen, dass die EU-Grenzwerte für Stickoxide in großen Städten künftig nicht mehr regelmäßig überschritten werden, aber die Bemühungen haben der EU-Kommission nicht gereicht. Gestern kam die Ankündigung, Klage einzureichen gegen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Italien und Rumänien. Wir haben dazu vorhin die Bundesumweltministerin Svenja Schulze erreicht. Als erstes habe ich die SPD-Politikerin gefragt, wie schmerzhaft diese Ohrfeige aus Brüssel jetzt ist.
Svenja Schulze: Das ist wirklich bitter, weil es bedeutet ja auch, dass die EU-Kommission einschätzt, dass das, was wir bisher in unserem Programm "Saubere Luft" machen, dass das alles nicht reicht und dass wir jetzt mehr machen müssen, und deswegen ist es für mich vollkommen klar, dass die Autoindustrie jetzt handeln muss. Wir haben den Menschen Autos verkauft, die angeblich sauberer waren als die alten, und das sind sie jetzt aber nicht, und die Software-Nachrüstungen alleine helfen da auch nicht, und deswegen muss jetzt wirklich technisch nachgerüstet werden, weil wenn das nicht passiert, dann riskieren wir jetzt ganz eindeutig Fahrverbote. Wenn man technisch nachrüstet, also wenn man diese Hardware-Nachrüstung machen würde, dann würde die Luft unmittelbar sauberer werden. Das wäre gut für die Menschen, die da leben. Wir würden den Wertverlust vom Diesel endlich aufhalten, weil das ist ja auch dramatisch, was da passiert. Da kann keiner ein Interesse wirklich dran haben.
"Autoindustrie in der Pflicht"
Schulz: Ja, aber die Automobilindustrie hat ja auch schon gesagt, dass sie nicht handeln will. Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass Sie, die Bundesregierung handeln muss?
Schulze: Also ich sehe da jetzt die Autoindustrie erst mal in der Pflicht. Die müssen da was tun. Also die wollen schließlich auch in Zukunft noch Autos verkaufen, und das Image ist inzwischen schon ziemlich ramponiert, und jetzt einfach darauf zu setzen, dass die Städte … also die Städte damit alleine lassen und durch diese sozusagen dann Fahrverbote machen, ich finde, das ist nicht der richtige Weg. Deutschland rühmt sich immer dessen, dass wir diejenigen sind, die technisch vorne sind. Das sollte man auch in diesem Programm tun. Alternativ, es wird ja die neue Klagemöglichkeit geben, diese Einer-für-alle-Klage, die die Autofahrerinnen und Autofahrern wählen können, aber auch das finde ich eigentlich keinen wirklich schönen Weg für die Autoindustrie. Deswegen sollte die ein Interesse haben, da jetzt was zu tun.
Schulz: Das ist jetzt, glaube ich, klar geworden, dass Sie finden, dass die Automobilindustrie handeln muss. Was macht denn die Bundesregierung?
Schulze: Wir können da jetzt nur gemeinsam politischen Druck machen, und das ist das, was ich auch erwarte. Wir haben keine juristischen, keine rechtlichen Möglichkeiten, da jetzt was zu tun, sondern da hilft nur, wenn wir wirklich gemeinsam Druck machen.
Schulz: Frau Schulze, worauf stützen Sie denn diese Erwartung, dass Sie da jetzt gemeinsam Druck machen werden? Wir haben ja gestern von der Kanzlerin schon gehört, dass sie eigentlich findet, na ja, das ist jetzt alles ganz okay, was auf den Weg gebracht ist, und das reicht auch, und der Verkehrsminister Scheuer von der CSU, der findet ja sogar den Schritt aus Brüssel übertrieben. Also worauf gründet jetzt Ihre Hoffnung, dass die Bundesregierung da gemeinsam Druck ausübt?
Schulze: Weil ich glaube, jeder, der jetzt meint, man könne das einfach aussitzen, der riskiert Fahrverbote, und das wird jetzt sehr, sehr deutlich werden, und wenn man die nicht will, dann muss man jetzt was tun, und dann sage ich als Umweltministerin, das Einfachste ist, dann wirklich technisch nachzurüsten.
Beste und einfachste Lösung: technische Nachrüstung
Schulz: Warum will denn die Umweltministerin keine Fahrverbote?
Schulze: Die Umweltministerin will vor allen Dingen, dass es saubere Luft gibt, und ich will aber auch nicht, dass diejenigen, die auf das Auto angewiesen sind, die pendeln, dass die jetzt alle gezwungen werden, sich neue Autos zu kaufen, damit die damit noch fahren können. Ich finde, die einfachste, die beste Lösung ist wirklich technische Nachrüstung.
Schulz: Ist es denn so, dass in großen Städten – da stellt sich das Problem ja vor allem –, dass da jemand gezwungen ist, sich ein neues Auto zu kaufen?
Schulze: Na ja, wenn man ein Fahrverbot machen würde, dann heißt das ja, dass da nur Autos reinfahren dürfen, die dann sauberer sind, und wer darauf angewiesen ist … Stellen Sie sich mal vor, in München, eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, was soll die denn dann machen? Soll die eine andere Arbeitsstelle sich suchen? Solle die umziehen? Also das, finde ich, können wir den Leuten echt nicht zumuten.
Schulz: Heißt aber auch, dass im Jahr 2018 auch die Umweltministerin öffentlichen Personennahverkehr oder auch das Fahrrad nicht ernsthaft als Verkehrsalternative sieht.
Schulze: Natürlich ist es besser, wenn man den öffentlichen Nahverkehr nutzt, natürlich ist das gut, wenn man mit dem Fahrrad, wenn man zu Fuß unterwegs, aber realistischerweise pendeln viele Leute zur Arbeit, und in den großen Städten ist das im Moment nicht so einfach, Wohnungen zu bekommen, und deswegen muss man auch über andere Dinge nachdenken, und da halte ich technische Nachrüstung für den richtigen Weg.
Schulz: Die Forderung einer blauen Plakette, die ist schon seit längerer Zeit in der Welt. Warum schließt sich die Umweltministerin, warum schließen sie sich da nicht an?
Schulze: Na ja, eine Plakette braucht man ja nur, wenn man Fahrverbote aussprechen will, weil dann muss man ja Autos sozusagen kennzeichnen, die da überhaupt noch reinfahren müssen und reinfahren dürfen, und deswegen finde ich, erst mal sollte man andere Möglichkeiten ausschöpfen.
Schulz: Okay, also aus Ihrer Sicht sollte jetzt in erster Linie die Automobilindustrie in die Pflicht genommen werden. Wenn das so ein wichtiger Punkt ist für die SPD, warum haben Sie das denn dann nicht in den Koalitionsvertrag reingeschrieben?
Schulze: Na ja, im Koalitionsvertrag steht ja, dass wir erst mal prüfen wollen, ob nicht technische Nachrüstungen möglich sind. Ich finde, das ist der richtige Weg, den wir da jetzt auch gehen sollten.
Gemeinsam etwas tun
Schulz: Sie haben in den Koalitionsvertrag reingeschrieben, dass Sie jetzt mal abwarten, was diese Arbeitsgruppe "Technische Nachrüstung" rausbringt. Also das ist ja faktisch ein Platzhalter, das ist ja faktisch offengehalten worden. Wenn das so ein wichtiger Punkt ist für die SPD, noch mal die Frage, warum haben Sie dann diesen Platzhalter da gesetzt?
Schulze: Aus der Arbeitsgruppe sind ja jetzt erst mal, jedenfalls in dem einen Gutachten, auch ganz positive Signale gekommen, dass technische Nachrüstungen eben nicht so teuer sind, die möglich sind, die nicht für alle Autos möglich sind, aber mir würde es ja auch schon reichen, wenn man jetzt da, wo es wirklich brennt, mal anfängt, nämlich in den großen Städten, die die enormen Belastungen dann auch haben. Dass das geprüft werden soll, dass wir gucken, was technisch da geht, das steht genau auch im Koalitionsvertrag.
Schulz: Also Sie gehen jetzt im Moment davon aus, dass die Union oder dass gemeinsam mit der Union auch die Automobilindustrie auch für diese technischen Nachrüstungen in die Pflicht genommen werden könnte, verstehe ich das richtig?
Schulze: Ich gehe jetzt erst mal davon aus, dass Nichthandeln einfach nicht geht, das ist keine Option, und die Kommunen einfach damit alleine zu lassen oder die Autofahrerinnen und Autofahrer alleine zu lassen, das, finde ich, geht auf Seiten der Bundesregierung auch nicht, und deswegen denke ich, dass wir da gemeinsam was tun müssen.
Schulz: Okay, jetzt verstehe ich die Union so, dass aus Unionssicht, aus Sicht von CDU und CSU, einfach den Weg so weiterzugehen, wie bisher, dass das durchaus eine Option ist – da kann man sich jetzt wieder drüber streiten, ob das dann schon Nichtstun ist oder ob ja auch schon einiges getan wurde –, könnte sich jedenfalls das Szenario rauskristallisieren, dass Sie ziemlich allein gehen müssen diesen Weg. Wie wollen Sie das machen?
Schulze: Na ja, erst mal, wer sich jetzt wirklich gegen diese technischen Nachrüstungen stellt, der provoziert eben, dass es Fahrverbote gibt, der riskiert, dass wir einen weiteren Werteverlust haben, und der schwächt auch unsere Position gegenüber dem Europäischen Gerichtshof. Deswegen, ich fordere alle auf, da erst mal gemeinsam für technische Nachrüstung zu streiten. Ich finde, da muss auch die Automobilindustrie ein Interesse dran haben. Das Image ist da ziemlich ramponiert im Moment.
Schulz: Ich habe noch das Grundsatzverständnisproblem, wir sehen ja jetzt das Umweltressort schon seit Jahren in SPD-Hand. Ihre Vorgängerin Barbara Hendricks, die hatte offenbar das Problem, dass sie sich mit ihren Punkten auch nicht so richtig durchsetzen konnte gegen den damaligen Parteichef, gegen Sigmar Gabriel. Wer oder was hindert Sie denn jetzt, für saubere Luft zu sorgen?
Schulze: Ich habe ja eine klare Forderung zum Thema saubere Luft gestellt, und das, was am allerschnellsten gehen würde, was die besten Ergebnisse erzielt, wenn man eben Fahrverbote vermeiden will, das ist wirklich eine technische Nachrüstung.
Schulz: Sagt Svenja Schulze von der SPD, Umweltministerin und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für das Interview!
Schulze: Ich danke auch ganz herzlich, danke schön!
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