Jasper Barenberg: Wer andere überzeugen will, mehr zu tun, muss selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Auch deshalb hat sich Europa bisher beim Klimaschutz viel vorgenommen. Der Anteil der Erneuerbaren soll verbindlich steigen, der Ausstoß von Treibhausgasen soll verbindlich sinken, die Energie soll effizienter und sparsamer genutzt werden - jeweils um 20 Prozent und bis zum Jahr 2020. Von der Rolle als Vorreiter aber scheint sich zumindest die EU-Kommission gerade zu verabschieden. Ihre Pläne für die nächste Etappe bis 2030 will sie offiziell erst nächste Woche vorstellen. Was davon aber bis jetzt bekannt geworden ist, läuft darauf hinaus, dass Europa seinen Ehrgeiz erheblich bremst.
Am Telefon ist die neue Bundesumweltministerin. Einen schönen guten Morgen, Barbara Hendricks.
Barbara Hendricks: Guten Morgen!
Barenberg: Frau Hendricks, ist Europa drauf und dran, sich von seiner ehrgeizigen Politik zum Schutz des Klimas zu verabschieden?
Hendricks: Ja, die Gefahr besteht, und deswegen insistieren wir ja auch darauf und haben ja auch schon in den letzten Wochen zwei Briefe in Richtung Brüssel losgeschickt, übrigens auch mit Unterstützung der Kollegen aus Großbritannien, Frankreich und Italien. Dabei geht es uns insbesondere um die Minderungsziele. Mindestens 40 Prozent bis 2030 haben wir gemeinsam gefordert. Dabei bleibt aber dann noch offen, wie man das erreicht. Der Widerspruch, der durchaus in Europa herrscht, ist ja eben auch von Ihrem Korrespondenten geschildert worden. Wenn man alleine die CO2-Ziele benennt, könnte man das auch mit Kernenergie erreichen, und deswegen ist es uns so wichtig, dass wir immer sagen, wir verfolgen gleichzeitig drei Ziele, nämlich die Minderung beim Treibhausgas-Ausstoß, also CO2-Reduzierung, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Energie-Effizienz, so wie wir das übrigens bis 2020 in Europa auch als gemeinsame Ziele definiert haben.
"Alleiniges CO2-Ziel nicht vermittelbar"
Barenberg: Jetzt ist in der Diskussion, dass es künftig nicht mehr drei Ziele geben wird, wie von Ihnen favorisiert, sondern nur noch eins, nämlich die Reduzierung der Treibhausgase betreffend. Was wäre schlecht daran, wenn das so kommt?
Hendricks: Ja, das wäre schlecht, weil es einmal natürlich Innovationen auch behindern würde. Es ist ja klar, dass diese drei Ziele zusammen einfach auch eine Wachstums- und eine Beschäftigungs- und eine Innovationsstrategie schon mit sich führen. Das hat sich in der Vergangenheit ja auch schon bewährt und das ist auch für ein wettbewerbsfähiges Europa eine wirklich gute Grundlage. Und wie eben schon gesagt: Ein alleiniges CO2-Ziel, das indirekt auch Subventionen für die Kernenergie bedeuten könnte, ist aus unserer Sicht nicht vermittelbar und muss auch verhindert werden.
Barenberg: Aber ist, wenn es um den Klimaschutz geht, nicht egal, wie man ihn erreicht? Reicht es da nicht aus, eine Marke zu setzen, und dann kann jeder Staat sich selbst überlegen, wie er dieses Ziel erreicht?
Hendricks: Ja, wenn man das isoliert betrachten würde, könnte man das so sagen, weil man in der Tat natürlich Klimaschutz-Ziele, also Verminderung der Treibhausgas-Emissionen, erreichen kann, wenn man jetzt ganz viele Kernkraftwerke zubaut, also zusätzliche Kernkraftwerke baut. Das ist aber auch nicht realistisch.
Wenn Sie sich überlegen, dass zum Beispiel ein Kernkraftwerk, welches sich in Finnland zurzeit im Bau befindet, nicht nur finanziell gesehen total aus dem Ruder läuft, sondern auch völlig unklar ist, wann das denn wohl mal wirklich in Betrieb gehen kann, dann ist es auch nicht realistisch, auf Kernkraft zu setzen. Wenn man das in Finnland nicht hinbekommt, bekommt man das woanders auch nicht hin, und deswegen ist es vernünftig, die Treibhausgas-Emissionen zurückzuführen, ganz wichtig, die Klimaziele zu erreichen, aber eben auch auf erneuerbare Energien und auf Energie-Effizienz zu setzen. Und wie gesagt: Das bringt natürlich auch Innovationsschub für Europa.
Barenberg: Sie haben gerade gesagt, dass Sie Großbritannien da an Ihrer Seite sehen. So habe ich Sie jedenfalls verstanden. Wer ist denn dann, wenn nicht Großbritannien, …
Hendricks: Was das Energieminderungsziel anbelangt, ja.
Klimaziele in der EU und Großbritannien
Barenberg: Wer ist denn dann hasenfüßig, wenn nicht Großbritannien in der EU? Wer steht auf der Bremse?
Hendricks: Bei Großbritannien ist es so, dass die das Minderungsziel auch erreichen wollen, aber jedenfalls nicht ganz klar ist, ob sie das nicht auch durch mehr Kernkraft erreichen wollen. Dass sie das Klimaziel sozusagen minus 40 Prozent Treibhausgas-Ausstoß mindestens bis 2030, immer im Verhältnis zum Referenzjahr 1990, das will Großbritannien auch erreichen. Sie haben mit uns gemeinsam ja vorige Woche noch diesen Brief nach Brüssel geschickt.
Bei Großbritannien kann es aber sein, dass sie tatsächlich in Richtung Ausbau Kernenergie gehen. Ich bin nicht so sicher, das wird auch ökonomisch nicht gelingen, weil sie jetzt schon sagen, sie würden dann eine Strompreis-Garantie geben für den Strom aus Kernenergie. Das ist natürlich auch alles andere als marktwirtschaftlich und kann der eigentlich gewünschten Re-Industrialisierung von Großbritannien auch nicht nützen. Aber aus diesen Gründen gibt es natürlich unterschiedliche Bremser. Die einen wollen mehr in Richtung Kernenergie, die anderen wollen auch ihre Kohlekraftwerke auf Dauer einsetzen und nicht nur vorübergehend für die Energieversorgungssicherheit, so wie wir das ja auch machen.
Also da gibt es durchaus Widersprüche und das wird noch ein hartes Stück Arbeit im März in den Räten der Umweltminister und der Energieminister und dann auch des Europäischen Rates der Regierungschefs, was alles im März stattfindet. Aber zum Glück gibt es einen gemeinsamen Beschluss von Umwelt- und Industrieausschuss des Europäischen Parlaments von der vergangenen Woche und die setzen sich auch, genau wie wir, für diese Zieltrias ein: Treibhausgas-Minderung, Energie-Effizienz, Ausbau der erneuerbaren Energien. Und außerdem ist es notwendig, den Emissionshandel wieder auf richtige Füße zu stellen. Dann kann man auch marktwirtschaftlich da vorgehen und muss nicht mit irgendwelchen Preisgarantien arbeiten, so wie Großbritannien das im Verhältnis zur Kernenergie vor hat. Das wird noch ein hartes Stück, aber wir kriegen es hin.
Barenberg: Bisher, Frau Hendricks, ist das allerdings nicht gelungen, jedenfalls nicht, was offenbar die Pläne der Kommission angeht. Wie zuversichtlich sind Sie denn, …
Hendricks: Das scheint so zu sein, ja.
Barenberg: …, dass Sie das noch bis nächste Woche hinbekommen?
Hendricks: Nun, wir haben die Signale ja ganz deutlich gegeben, und die Kommission, wenn sie tatsächlich nur dieses eine Ziel, Minderung der Treibhausgas-Emissionen, vorschlägt, dann verabschiedet sich die Kommission von der bisherigen Übereinkunft. Denn bis 2020, also in der noch geltenden Periode, arbeiten wir mit diesen drei Zielen auch auf der europäischen Ebene und sind damit sehr erfolgreich. Also es müsste die EU-Kommission schon sehr gut begründen, warum sie sich von diesem erfolgreichen Weg bis 2030 dann verabschieden will. Ich denke, wir haben da noch eine gute Chance, dass wir gemeinsam voranschreiten, so wie bisher auch.
Barenberg: Wie groß ist denn umgekehrt die Gefahr, dass immer deutlicher wird, dass Deutschland mit seinen Plänen für die Energiewende eigentlich isoliert dasteht in Europa?
Deutschland hat in Europa eine Vorreiterrolle
Hendricks: Nun, dass wir eine Vorreiterrolle einnehmen in Europa, das ist ja klar. Das ist aber nicht dasselbe wie Isolation. Das ist sozusagen ein Beispiel geben und ich glaube, da kommt es natürlich sehr darauf an, dass wir das erfolgreich jetzt hinbekommen, und Sigmar Gabriel hat ja angekündigt, dass wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf neue Füße stellen wollen. Das ist natürlich wichtig für ein, ich sage mal, gutes Beispiel, was wir in Europa geben wollen. Und wir brauchen ganz dringlich natürlich auch die Reform des Emissionshandels, denn das hilft uns natürlich auch, das wieder vernünftig marktwirtschaftlich zu regeln und die Preise auch von dorther im Griff zu halten. Da gibt es schon ganz gute Wege in Europa, das geht ganz gut voran auf der Ebene des Emissionshandels. Das ist ein wichtiger Schritt, den wir da erreichen werden.
Barenberg: Aber wenn man das jetzt mal zusammennimmt, die Pläne der Kommission oder das, was sich jetzt im Moment abzeichnet, die Kritik und der Gegenwind gegen die Industrierabatte, die es in Deutschland gibt – unterstützt werden Sie aus Brüssel nicht bei der Energiewende, oder?
Hendricks: Nein, richtig unterstützt werden wir nicht. Das hat damit zu tun, dass in der Europäischen Kommission häufig die Kommissare gleichsam nebeneinander herarbeiten und nicht miteinander verknüpft. Wenn sozusagen der Wettbewerbskommissar alleine auf Wettbewerb guckt, dann ist er gegen Rabatte für den Strom aus erneuerbaren Energien in der industriellen Nutzung. Aber auf der anderen Seite wollen natürlich der Umweltkommissar und der Energiekommissar, dass wir voranschreiten mit erneuerbaren Energien. Da kommt es darauf an, dass die EU-Kommission auch eine konsistente Haltung einnimmt, und dafür setzen wir uns ein und wir sind guten Mutes, dass uns das auch gelingt.
Barenberg: Die Bundesumweltministerin heute früh live hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Barbara Hendricks.
Hendricks: Danke Ihnen!
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