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EU-Klimagipfel
"Bundesregierung gibt ihre Vorreiterrolle auf"

Vor dem Beginn des EU-Klimagipfels hat Grünen-Chefin Simone Peter der EU und der Bundesregierung mangelnden Ehrgeiz vorgeworfen. Im Deutschlandfunk forderte sie eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 55 Prozent bis 2030 und mehr Investitionen in erneuerbare Energien.

Simone Peter im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Peter warnte vor den Gefahren der globalen Erderwärmung und forderte die Bundesregierung auf, beim Klimaschutz wieder eine Vorreiterrolle einzunehmen. Die bisherige Zielsetzung, den CO2-Ausstoß bis 2030 um nur 40 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu reduzieren, sei "mutlos", sagte Peter. Auch andere Staaten hätten die Chancen der erneuerbaren Energien erkannt: "Unser Erneuerbare-Energien-Gesetz hat in mindestens 40 anderen Ländern um sich gegriffen und wird nachgemacht."
    Mit Blick auf das von EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker angekündigte Investitionsprogramm regte Peter an, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. So stelle man eine sinnvolle Verwendung des Geldes sicher, die sowohl Arbeitsplätze schaffe als auch dem Klimaschutz diene.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wie geht es weiter mit der europäischen Klimapolitik? Kann die EU nach wie vor eine Vorreiterrolle spielen, wenn es darum geht, den weltweiten CO2-Ausstoß zurückzufahren? Darüber beraten heute und morgen die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel beim EU-Gipfel. Sie wollen neue Klimaziele für die Zeit zwischen 2020 und 2030 verabschieden.
    Am Telefon ist jetzt Simone Peter. Sie ist die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Schönen guten Morgen, Frau Peter!
    Simone Peter: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Frau Peter, wir haben es gerade gehört: Die EU-Kommission will gleich drei Klimaziele gleichzeitig verfolgen. Ist das ein guter Plan?
    Peter: Zunächst mal ist der Plan gut, drei Ziele zu vereinbaren. Allerdings bleiben die weit hinter dem zurück, was notwendig wäre. Wenn wir uns an die Vorgabe der Klimawissenschaftler halten, dass wir bis zur Mitte des Jahrhunderts, also quasi in 35 Jahren, 90 Prozent CO2-Reduktion brauchen, um die Klimaerwärmung aufzuhalten beziehungsweise auf zwei Grad zu begrenzen, dann ist ein Klimaziel von 40 Prozent, wie es jetzt angestrebt wird für das Jahr 2030, mutlos.
    Armbrüster: Dann sagen Sie uns: Was wollen Sie?
    Peter: Wir haben gesagt, wir brauchen mindestens 55 Prozent Absenkung, Reduktion bis 2030 und vor allen Dingen verbindliche Ziele, auch was den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Effizienz angeht. Damit sind wir uns auch mit den Umweltverbänden einig, weil nur so können wir die Zukunft für unsere Kinder und Kindeskinder sichern.
    Armbrüster: Was macht Sie denn so sicher, dass 55 hier die bessere Zahl ist als 30 oder 40 oder 26 oder 16?
    Peter: Ja. Ich verlasse mich da auf die Aussagen der Klimawissenschaftler. Ich habe gerade letzte Woche das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung besucht. Die Forscher mahnen uns dringend, die Erderwärmung aufzuhalten. Die Pole schmelzen. Wir erwarten allein bis Ende des Jahrhunderts einen Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter. Danach geht es in riesigen Schritten weiter mit mehreren Metern. Wir haben die Pflicht, jetzt zu handeln, weil wir ansonsten keine Rückzugsmöglichkeit mehr haben, den Klimaschutz umzusetzen. Wir appellieren sehr dafür, dass es auch als Chance begriffen werden muss für die Wirtschaft im Zusammenhang mit den Umweltbelangen und das nicht als Gegensatz ausgespielt wird.
    Instrumente wie die erneuerbaren Energien benennen
    Armbrüster: Jetzt verstehen das sicher die meisten Menschen, dass es darum gehen muss, den CO2-Ausstoß deutlich zu senken. Aber warum müssen wir die beiden anderen Ziele den Leuten auch noch vorschreiben? Warum muss es hierbei gehen um erneuerbare Energien und deren Ausbau und warum müssen wir die Effizienz auch mit einer Zielmarke versehen? Würde es nicht einfach reichen zu sagen, wir verfolgen ein Ziel, und das ist die Senkung des CO2-Ausstoßes um den Betrag X, wie ihr das schafft, ihr lieben EU-Mitgliedsstaaten, das ist uns egal?
    Peter: Zunächst einmal sind wir gut damit gefahren, für 2020 schon drei Ziele zu haben, jeweils 20 Prozent CO2-Minderung, Ausbau Erneuerbarer und Energie-Effizienz. Und es ist gut und wichtig, dass man Maßnahmen hat. Wir wollen ja die CO2-Minderung nicht durch einen Zubau von Atomkraftwerken erreichen. Wir sind hier in Deutschland auf einem guten Weg, aus der Atomkraft auszusteigen. Wir wissen bis heute noch nicht, wo wir mit dem gefährlichen Atommüll hin können, hin wollen. Es muss darum gehen, die Erneuerbaren auszubauen. Wir haben doch hier gerade auch in Deutschland gezeigt, dass wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien fast 400.000 Arbeitsplätze geschaffen haben, ein Instrument geschaffen haben, das wirklich CO2 einspart, während der europäische Emissionshandel, der das CO2 eigentlich begrenzen sollte, eher ausgefallen ist. Deswegen ist es gut, wenn man Instrumente wie die erneuerbaren Energien oder auch gerade die Energie-Effizienz beziehungsweise Maßnahmen benennt und auch Ziele benennt.
    Armbrüster: Aus anderen Staaten heißt es, das was wir hier mit den erneuerbaren Energien und mit unserer Energiewende machen, das sei Wahnsinn.
    Peter: Ja, ich erlebe das durchaus unterschiedlich. Wenn man sich in anderen Staaten umschaut: Jede Nation überlegt, wie sie am besten ihre Energieversorgung auf Dauer sichert, so dass sie bezahlbar bleibt. Klar ist: Mit Öl und Gas wird das auf keinen Fall passieren auf die Dauer. Wir haben zwar jetzt zwischenzeitlich über das Fracking leider ein wenig Zeit geschunden. Gerade die Amerikaner setzen darauf, um Alternativen zu haben. Aber das ist nicht wirklich nachhaltig. Mit den erneuerbaren Energien haben wir Energiequellen, die leistungsfähig sind. Das zeigt auch hier gerade die Energieversorgung in Deutschland. Und sie sind auf Dauer vor allen Dingen auch bezahlbar. Darum muss es uns gehen und sie schützen das Klima. Deswegen wollen wir auf die erneuerbaren Energien setzen.
    Armbrüster: Das heißt, die Grünen sagen: Wir, die Deutschen, die zeigen dem Rest der Welt, wie das geht mit dem CO2 senken?
    Peter: Nein. Wir sind ja schon ins Hintertreffen geraten. Leider gibt die Bundesregierung die ursprüngliche Vorreiterrolle auf, die wir mal hatten. Andere Länder setzen mittlerweile viel stärker auf die erneuerbaren Energien. Wenn Sie sich anschauen, wie die Investitionen global aussehen, dann ist die Investition in erneuerbare Energien führend zum Beispiel auch zunehmend in China. Auch die Amerikaner setzen auf die Erneuerbaren. Unser Erneuerbare-Energien-Gesetz hat in mindestens 40 anderen Ländern mittlerweile um sich gegriffen und wird nachgemacht. Wir haben gezeigt, dass wir die Wirtschaft damit ankurbeln können, in vielen Technologiearten damit Exportweltmeister sein können. Warum sollen wir diese Herausforderung nicht weiter annehmen, ohne dass wir hier mit dem Zeigefinger vorangehen, sondern wir machen das, um die Zukunft unserer Kinder zu sichern.
    Armbrüster: Genau danach klingt es aber immer so ein bisschen, nach dem Zeigefinger.
    Peter: Nein! Wir haben ja die Chancen aufgezeigt. Wie gesagt: Mit den erneuerbaren Energien, mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz seit 2000 haben wir etwa 400.000 Arbeitsplätze geschaffen. Das ist ja schon weit mehr als das, was bei den konventionellen Energieträgern derzeit an Arbeitsplätzen in Deutschland vorhanden ist. Wir haben regionale Wertschöpfung vorangebracht. Die Menschen beteiligen sich an diesen Energieformen. Warum sollten wir den Gewinn, die Umsätze unbedingt bei großen Energiekonzernen belassen, wenn es den Bürgerinnen und Bürgern hilft, wenn es den Kommunen hilft? Das empfinde ich selber als einen hohen Anreiz beziehungsweise auch als eine hohe Möglichkeit, den Unternehmen gerade hier im Land weitere Zugewinnmöglichkeiten zu verschaffen und Ökologie und Ökonomie zusammenzudenken.
    "Industrie denkt zu wenig an morgen"
    Armbrüster: Frau Peter, die Industrie sieht das etwas anders. Der BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber hat gestern gesagt, eine Verschärfung der Klimaziele wäre kontraproduktiv, die Politik müsse verhindern, dass Produktion verlagert wird und Arbeitsplätze verloren gehen. Das alles, verbunden mit dem Appell, ist doch, heute beim EU-Gipfel mit den Klimazielen nicht allzu drastisch anzugehen. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
    Peter: Nein, das gibt mir nicht zu denken. Höchstens, dass ich nicht verstehen kann, wie die Industrie so wenig an morgen denkt, und zwar in ihrem eigenen Sinne. Wir werden global nur mit Technologien in Zukunft Erfolg haben, die auf Umweltschutz, auf weniger CO2-Ausstoß setzen, zum Beispiel gerade im Bereich der Automobilindustrie. Wenn Sie sehen, wie in anderen Ländern Fahrzeuge auf den Weg gebracht werden, die wesentlich CO2-ärmer und mit wesentlich weniger Treibstoff zurechtkommen, oder gar nicht, zum Beispiel das Thema Elektromobilität, dass wir mit den Technologien, die wir hier entwickeln können, auf dem globalen Markt große Chancen, das haben wir in den letzten Jahren ja gezeigt.
    Armbrüster: Aber, Frau Peter, wir werden es ja auch nicht hinkriegen, wenn wir die Unternehmen mit immer neuen Zielen drangsalieren und somit Arbeitsplätze und dann letztendlich auch den sozialen Frieden gefährden.
    Peter: Ich glaube, das A und O ist die Investitionssicherheit und die Verbindlichkeit. Die Unternehmen konnten auch mit den Reduktionszielen 2020 leben. Wenn wir in der Politik eine Hü-Hott-Politik machen, das ist richtig, dann kommen wir nicht klar. Aber in der Zielsetzung der CO2-Minderung liegen Chancen. Die Unternehmen können sich darauf einstellen, was 2030 angeht. Und wie gesagt: Alles was in der Perspektive bis 2050 geht und nicht nach Umweltschutzkriterien ausgelegt ist, wird in Zukunft keine Chancen mehr haben. Deswegen sollten wir uns doch lieber heute darauf einstellen, als die Industrie in unsichere Fahrwasser zu bringen. Ich sehe darin durchaus Chancen. Die Risiken müssen abgemindert werden. Das ist ja auch erfolgt, zum Beispiel beim Erneuerbare-Energien-Gesetz mit Befreiungen für energieintensive Unternehmen. Das darf nur nicht so ausborden, dass man alle befreit, sondern es muss immer um ein Gleichgewicht gehen zwischen den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Menschen, die in der Zukunft auch noch leben wollen, und den Unternehmen.
    Armbrüster: Frau Peter, Sie haben vorhin das schöne Wort von der Vorreiterrolle benutzt. Warum müssen wir in der EU in der Klimapolitik eigentlich immer diese Vorreiterrolle spielen?
    Peter: Ich habe das ja schon ein paar Mal mit den Chancen beschrieben. Zunächst mal haben wir ...
    Armbrüster: Ich meine, wäre es nicht mal an der Zeit, die Vorreiterrolle anderen zu überlassen? Sie haben ja gesagt, dass zum Beispiel die USA und China inzwischen auch auf einem ganz guten Weg sind.
    Peter: Nein, warum sollten wir das? Wir haben ja durchaus große Chancen damit verbunden. Wir haben in der Krisenlage 2009/2010 darüber gesprochen, dass es Investitionsprogramme gibt, und wenn Sie sich die Rede von Jean-Claude Juncker gestern angehört haben, auch er will wieder auf wachsende Investitionen, steigende Investitionen setzen, um die Wirtschaft in einigen Ländern anzukurbeln. Wir haben teilweise hier hohe Staatsschuldenquoten und müssen dringend investieren, auch um den riesigen Infrastrukturbedarf abzudecken. Da bieten sich doch gerade Investitionen in klimafreundliche Produkte an. Wenn Sie sich angucken: In Südeuropa könnte Solarenergie viel stärker boomen. Die ist heute bezahlbar, ist ein Garant dafür, dass wir steigenden Öl- und Gaspreisen entgegenstehen können, und von daher wäre das eine Klasse Investition, die wir gerade in Europa stemmen können und damit immer auch Chancen haben.
    Armbrüster: Was sagen sie denn den ärmeren Staaten zum Beispiel im Osten Europas, die einfach weiterhin auf billigere Technologien setzen wollen?
    Peter: Ja, auch das wird nicht nachhaltig bleiben. Wer heute weiter auf Kohleausstoß setzt - das betrifft ja Deutschland leider mittlerweile noch genauso wie Polen, wir haben steigende CO2-Emissionen -, der wird auf Dauer nicht wettbewerbsfähig bleiben, weil sich die Welt in eine andere Richtung dreht.
    Armbrüster: Das heißt, Polen, nehmt euch ein Beispiel an Deutschland?
    Peter: Nein! Polen, überlegt, wie ihr eure Wirtschaft auch wie wir auch zukunftsfähig aufstellen müssen. Auch wir müssen über einen Kohleausstieg nachdenken. Wir plädieren sehr dafür, dass wir aus der Kohle rausgehen, über ein Klimaschutzgesetz den ordnungspolitischen Rahmen geben, damit sich jeder auch darauf einstellen kann, wohin geht es, um unseren Kindern und Kindeskindern eine Chance in der Zukunft zu geben. Darum muss es uns gehen. Wir müssen alle überlegen, was es heißt, wenn der Klimawandel in der Form weiterschreitet, wir es mit unglaublichen Katastrophen zu tun haben. Das muss uns leiten.
    Armbrüster: ..., sagt Simone Peter, die Bundesvorsitzende der Grünen, heute Morgen hier live bei uns in den „Informationen am Morgen". Vielen Dank, Frau Peter, für das Gespräch.
    Peter: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.