Der Streit zwischen EU-Kommission und italienischer Regierung um deren Haushaltsentwurf für das kommende Jahr ist eskaliert. In einem Bericht an die Mitgliedsstaaten hält die Kommission ein Defizitverfahren gegen Italien für gerechtfertigt.
Der italienische Haushaltsplan unterlaufe die Zusagen der Vorgängerregierung, die Neuverschuldung herunterzufahren. Stattdessen werde das strukturelle Defizit um ein Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Die Gesamtschulden verharrten weiterhin auf hohem Niveau, in den kommenden zwei Jahren bei 131 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist nach Griechenland die zweithöchste Schuldenlast in der EU; Zielmarke sind höchstens 60 Prozent. Das waren die Zahlen, mit denen Vize-Kommissionspräsident Dombrovskis die Entscheidung seiner Behörde begründete:
"Mit dem, was die Regierung auf den Tisch gelegt hat, läuft Italien Gefahr, in die Instabilität zu schlafwandeln. Ich hoffe, dass dieses Risiko vermieden werden kann, denn was letztlich in Gefahr ist, ist der Wohlstand der italienischen Bürger. Unsere Aufgabe ist es, rechtzeitig auf Risiken hinzuweisen, so wie jetzt auch. Wir stehen bereit für den Dialog mit der italienischen Seite. Diese Angelegenheit muss angesprochen werden."
Währungskommissar Moscovici: Defizitverfahren "unvermeidbar"
Dombrovskis ließ keinen Zweifel daran, dass es die EU-Kommission ernst meint. Mit den Haushaltsplänen laufen Italiens Banken Gefahr, weniger Kredite vergeben zu können. Auch sei für die EU-Kommission nicht erkennbar, wie von dem Haushaltsentwurf Wachstumsimpulse ausgehen sollen. Damit könnte Italien mittelfristig in eine Lage hineinschlittern, in der es zu einer Sparpolitik mit harten Einschnitten gezwungen sein wird.
Währungskommissar Pierre Moscovici bezeichnete den Schritt zum Defizitverfahren als "logisch" und "unvermeidbar". Er sieht zentrale Fragen der EU-Kommission nach wie vor unbeantwortet: "Woher soll dieses zusätzliche Wirtschaftswachstum herkommen? Wer wird die Rechnung zahlen, für die zusätzlichen Ausgaben? Wir glauben, dass dieser Haushalt riskant ist für Italiens Wirtschaft, seine Firmen, seine Sparer und Steuerzahler. Die EU-Kommission nimmt ihre gesetzmäßige und politische Verantwortung wahr, im Interesse der Bürger Italiens und der Eurozone als Ganzes."
Der Bericht der EU-Kommission dürfte bereits Anfang kommenden Monats bei dem Treffen der EU-Finanzminister auf dem Tisch landen. Wenn der Rat zustimmt, könnte das Defizitverfahren möglicherweise noch im Dezember, spätestens zu Beginn des neuen Jahres starten.
Ein langwieriges Verfahren, mit dem Ziel den italienischen Haushalt wieder in Einklang mit den EU-Regeln zu bringen. Darin eingebunden sind der Rat, Italien und die Kommission. Denkbar ist, dass Italien eine mehrere Monate andauernde Frist erhält, die erst nach der Europawahl im Mai ausläuft. Während des laufenden Verfahrens dürfte es der italienischen Regierung schwerer fallen, gegen Brüssel Stimmung im Wahlkampf zu machen.
Bußgeld in Milliardenhöhe?
Dass die italienische Regierung den Streit mit Brüssel zum Thema machen wird, steht allerdings schon jetzt fest: "Nur Verrückte würden ein Vertragsverletzungsverfahren gegen uns eröffnen", hatte Innenminister Mateo Salvini gesagt. Er mobilisiert für den 8. Dezember zu einer Kundgebung in Rom gegen die EU-Kommission.
Am Ende eines Defizitverfahrens könnte auf Italien ein Bußgeld in Höhe von bis zu 3,5 Milliarden Euro zukommen oder 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Letztlich ist es aber eine politische Entscheidung, ob es zu der Strafe kommt. Bis jetzt hat die EU noch nie eine Geldstrafe verhängt. Ein Bußgeldverfahren war zwar 2016 gegen Spanien und Portugal erstmals in Gang gesetzt worden, nachdem gegen beide Länder schon seit 2009 Defizitverfahren liefen. Doch Kommission und Euro-Finanzminister verzichteten auf die Geldstrafen, um die Länder nicht noch weiter wirtschaftlich zu schwächen.
Unterdessen ist Italien nicht das einzige Land, an dessen Haushaltsplänen die EU-Kommission heute Kritik geübt hat. Die Brüsseler Behörde rief ebenso Belgien, Frankreich, Portugal, Slowenien und Spanien zu mehr Haushaltsdisziplin auf.