Jean-Claude Junckers erste Rede zur Lage der Union wird sich nicht nur um das Thema Flüchtlinge, Migration und Asylrecht drehen:
"Ich würde mir wünschen, dass wir jetzt nicht, wie in der Vergangenheit oft, diese weltbewegenden, großen Grundsatzreden bekommen, sondern dagegen auch konkrete Ideen, wie man Europa weiter entwickeln kann", wünscht sich Herbert Reul, der Vorsitzende der CDU/CSU-Abgeordneten im EU-Parlament.
Aber auch Herbert Reul weiß natürlich, dass zumindest das größte öffentliche Interesse sich auf die Antworten richtet, die der EU-Kommissionspräsident zur Flüchtlingsfrage geben wird. Die scheinen Reul, nach allem, was von den Vorschlägen schon durchgesickert ist, in die richtige Richtung zu gehen: "Wir brauchen konkrete Verabredungen über die Mengen, über sichere Herkunftsländer, darüber, wie rückgeführt wird und auch Vergleichbarkeit - das nicht jeder was Anderes macht."
Auch die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel sieht es so, dass Junckers Vorschläge in die richtige Richtung gehen: "Die einzigen, die auf der Bremse stehen, sind die Mitgliedsstaaten. Die Quote ist wichtig und die Zahl der zu verteilenden Flüchtlinge ist ja auch noch mal deutlich heraufgesetzt worden."
Bewegung bei den Mitgliedsländern
Das ist sie. Juncker wird wohl die Umverteilung von insgesamt 160.000 Schutzbedürftigen aus Griechenland, aus Italien und auch aus Ungarn vorschlagen. Nach einem Verteilungsschlüssel, der neben Bevölkerungsgröße, Wirtschaftskraft und Arbeitslosigkeit auch die Zahl schon aufgenommener Flüchtlinge berücksichtigen wird. Für Deutschland läge die Quote demnach bei rund 25 Prozent. Zudem wird Juncker wohl einen Automatismus vorschlagen, nachdem künftig immer umverteilt würde, wenn ein Land eine besondere Belastung geltend machen kann.
Entsprechendes müsste von den EU-Ländern mit qualifizierter Mehrheit, nicht einstimmig also, beschlossen werden. Diese Mehrheit ist keineswegs sicher, aber es hat sich in den letzten Tagen etwas bewegt, glauben beide, Herbert Reul und seine Kollegin Birgit Sippel.
"Not lehrt beten, hat meine Oma gesagt - das heißt: Der Druck ist mittlerweile so groß, dass alle Staaten mehr oder weniger merken, dass sie nicht dran vorbeikommen."
"Über die Sommerpause, mit all den dramatischen Bildern, die wir gesehen haben, ist möglicherweise bei dem einen oder anderen noch mal ein anderes Bewusstsein für die Dramatik der Lage entstanden."
Zwingen jedenfalls sollte man niemanden, findet die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms: "Ich habe ein sehr schlechtes Gefühl, wenn man Länder zwingt.
Solidaritätsklausel im Gespräch
Nicht unbedingt Strafen und Zwang - aber die EU-Kommission könnte eine Solidaritätsklausel einbringen - die so oder so ähnlich aussieht: Kann ein Mitgliedsstaat gute Gründe anführen, warum er sich für eine befristete Zeit nicht in an der Umverteilung beteiligt, dann könnte er in eine Art Fonds einzahlen, aus dem dann andere Länder, die dadurch zusätzlich belastet werden, finanziell unterstützt würden. "Ja, einen erheblich besser ausgestatteten Fonds, der nicht nur für die akute Situation, sondern auch für die Integrationsleistungen dieser Länder, die jetzt mehr tun, verfügbar gemacht wird."
Eine solche Möglichkeit, sich aus der Verteilung herauszuziehen, dürfe aber wirklich nur die Ausnahme und nur eine Kurzzeit-Variante sein, betont Birgit Sippel: "Wenn ich mein Lieblingsbeispiel Malta nehme - das ist eine kleine Insel. Da hilft auch Geld auf Dauer nicht, wenn es nicht zu einer Verteilung kommt."
Zu den Vorschlägen, die heute von EU-Kommissionspräsident Juncker erwartet werden, gehört auch, dass es eine EU-weit einheitliche Definition für sogenannte sichere Herkunftsländer gibt, aus denen zu flüchten Menschen nicht erwartbar einen Grund haben sollten und deren Asylantrag deshalb schnell, in der Regel ablehnend, beschieden werden sollte.
"Es könnte ein Land als sicher gelten, wenn es dort keinen Krieg oder Bürgerkrieg gibt, wenn der Staat keine Verfolgung vornimmt, bzw. massive Diskriminierung, Überfälle auf bestimmte Gruppen vom Staat geahndet werden."
Alle Länder, die EU-Kandidatenstatus haben, könnten künftig in der EU als sichere Herkunftsländer im Sinne der Definition gelten. Auch die Türkei.