Die Selbstbewertung der Internetfirmen bezieht sich vor allem darauf, wie gut sie ihre Verpflichtungen aus dem Kodex umgesetzt haben, mit Blick auf die Europawahl. Die drei für Justiz, Sicherheit und Digitales zuständigen Kommissarinnen und Kommissare kommen zu einem ernüchternden Urteil.
"Die Fortschritte der einzelnen Unterzeichner sind sehr unterschiedlich, und die Berichte geben nur wenig Aufschluss über die tatsächlichen Auswirkungen der im Laufe des vergangenen Jahres ergriffenen Selbstregulierungsmaßnahmen sowie über Mechanismen für eine unabhängige Kontrolle."
Facebook
Doch was steht in den Berichten? Beispiel eins: Facebook: Das soziale Netzwerk hebt unter anderem hervor, es hätte Nutzerinnen und Nutzer benachrichtigt, wenn sie Inhalte teilten, die vom Faktencheck als falsch oder zweifelhaft eingestuft wurden. Die Warnungen beträfen auch falsche Fotos und Videos. Und dann hätte es noch ein spezielles Tool gegeben, mit dem Usern klargemacht werden sollte, aus welcher Quelle Informationen stammen.
"Letztes Jahr haben wir eine neue Funktion, den Kontext-Button, eingeführt, um den Nutzern das Anzeigen weiterer Informationen zu Websites und Publishern auf Facebook zu erleichtern. In diesem Frühjahr haben wir den Kontext-Button auf Bilder erweitert, die auf Facebook überprüft wurden." Allerdings kritisiert die EU-Kommission, dass Facebook nicht sagt, inwieweit diese Tools in allen EU-Mitgliedsstaaten zum Einsatz gekommen sind.
Dass die Brüsseler Behörde darauf Wert legt, ist verständlich. Manche EU-Länder eignen sich besonders gut für Desinformations-Attacken. Zum Beispiel die baltischen Staaten, in denen die russischsprachige Minderheit angestachelt oder Spanien, wo der Streit um eine Unabhängigheit Kataloniens Ressentiments gegen die EU wecken kann.
Google
Zweites Beispiel: Google. Es würde seine Dienste darauf auslegen, zu erkennen, ob ein neues Konto wahrscheinlich dazu angelegt wurde, um damit Manipulation zu betreiben und solche Accounts blocken. Google kann nach eigenen Angaben auch erkennen, ob zum Beispiel Videos mit Dislikes oder künstlichen Klickzahlen überhäuft werden.
"Im Zeitraum vom 1. September 2018 bis zum 31. August 2019 hat Youtube mehr als 10.842.500 Kanäle wegen Verstoßes gegen seine Richtlinien zu Spam, Irreführung und Betrug entfernt, sowie mehr als 56.500 Kanäle wegen Verstoßes gegen seine Identitätswechsel-Richtlinie." Die EU-Kommission kritisiert allerdings, dass diese weltweiten Zahlen kaum etwas über manipulatives Verhalten konkret in der EU sagen.
Twitter
Ein letztes Beispiel: Twitter: Das Netzwerk hatte im Oktober 2018 ein umfassendes Archiv veröffentlicht, das Aktivitäten, die von staatlichen Akteuren gesteuert werden, dokumentieren soll. Es hatte neue Datensätze im Januar, Juni, August und September zur Verfügung gestellt. Es geht um mehr als 30 Millionen Tweets. Forscher in 15 EU-Ländern haben über 20.000-mal darauf zugegriffen.
"Fast ein Jahr später ist das Archiv das größte seiner Art in der Branche. Tausende von Forschern haben diese Datensätze genutzt und ihre eigenen Untersuchungen durchgeführt und ihre Erkenntnisse und unabhängigen Analysen mit der Welt geteilt."
Hoffen auf die Zukunft
Was die Bereitstellung der Daten und Suchwerkzeugen für die Forscher angeht, erhofft sich die EU-Kommission allerdings noch mehr von den Internetfirmen. Sie findet, die Daten und Suchwerkzeuge seien nur episodisch und willkürlich zur Verfügung gestellt worden. Auch habe nur eine sehr begrenzte Gruppe von Forschern Zugang angeboten bekommen. Mit Blick auf die Europawahl gibt es aus Brüssel aber auch Lob.
"Auch wenn die Europawahlen sicher nicht frei von Desinformation waren, trugen die Maßnahmen dazu bei, Einmischungen weniger Raum zu lassen, die Integrität der Dienste zu verbessern, wirtschaftliche Anreize für Desinformation abzuschwächen und für mehr Transparenz in der politischen und themenbezogenen Werbung zu sorgen."
Die EU-Kommission will den Kampf der Internetfirmen gegen Desinformation nochmal von einem unabhängigen Berater prüfen lassen. Der dürfte kommenden Januar mit seinem Bericht fertig sein. Im einem weiteren Schritt könnte die Brüsseler Behörde zu dem Schluss kommen, dass die Selbst-Regulierung der Internetfirmen nicht ausreicht .