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EU-Kommission und die Neuordnung Europas
"Mit kleineren Gruppen kommt man möglicherweise schneller voran"

Die Europäische Kommission habe durch Alleingänge von einigen Staaten nicht an Bedeutung verloren, sagte Roland Freudenstein vom Centre for European Studies im DLF. Dass sich Mitglieder zusammentun, um Dinge durchzubringen, sei überhaupt nichts Neues.

Roland Freudenstein im Gespräch mit Katrin Michaelsen |
    Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel
    Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel (dpa / picture alliance / Daniel Kalker)
    Katrin Michaelsen: Die EU-Institutionen, vor allem die EU-Kommission wirkt momentan wie gelähmt. Täuscht dieser Eindruck?
    Roland Freudenstein: Ja, also gelähmt ist sie ganz bestimmt nicht, die findet genug Betätigungsfeld. Aber es ist tatsächlich so, dass die Mitgliedsstaaten, sagen wir mal, das Format entdeckt haben, dass man in kleineren Gruppen manche Sachen schneller diskutiert und sie dann natürlich in die Sitzung des Europäischen Rates in Brüssel einbringt. Also Brüssel und die Kommission haben jetzt nicht ihre Bedeutung verloren, aber ich denke, dass in Debatten der letzten Jahre schon klar geworden ist, mit kleineren Gruppen kommt man möglicherweise schneller voran.
    "Treffen von Gleichgesinnten hat es schon immer gegeben"
    Michaelsen: Gerade die EVP, die Partei von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich immer sehr für die Gemeinschaftsidee Europas stark gemacht, ist das dann nicht einmal mehr ein Schlag ins Gesicht, wenn sich überall in Europas Hauptstädten exklusive Clubs bilden?
    Freudenstein: Es sind keine exklusive Clubs, das sind halt Treffen von Gleichgesinnten, die sich zunächst mal auf eine Strategie einigen, die sie dann gegenüber den anderen Mitgliedstaaten vertreten und ich meine, ehrlich gesagt, das hat es schon immer gegeben. Ja, das fällt vielleicht in den letzten Jahren ein bisschen mehr auf und die Kanzlerin hat das als hilfreiches Format entdeckt. Aber das Mitgliedstaaten sich zusammentun, um Dinge durchzubringen, ist überhaupt nichts Neues.
    Michaelsen: Aber wenn ich jetzt paar Beobachtungen mit Ihnen teilen darf, da lädt Österreichs Bundeskanzler Kern zu einem Flüchtlingsgipfel Ende September ein, Deutschland und Frankreich haben sich ein gemeinsames Papier überlegt wie eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik aussehen könnte. Das unterscheidet doch sehr von dem was Sie als "Business as usual" bezeichnen.
    Freudenstein: Ja gut. Die Zeiten sind ja nicht "usual". Aber, dass zum Beispiel Deutschland und Frankreich gemeinsam Vorschläge machen, das hat es immer schon gegeben. Sie kennen doch das vom deutsch-französischen Motor. Mit der Rhetorik, haben wir seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften, noch in den 50ern, also die Vorschläge bleiben ja nicht im luftleeren Raum stehen, sondern die sollen ja die anderen dazu anregen, sich zu äußern oder mitzumachen oder was anderes vorzuschlagen. Also ich würde darin jetzt noch nicht ein Abgehen von der Gemeinschaftsmethode oder überhaupt von der Integration sehen. Flüchtlingsgipfel ist vielleicht etwas anderes, weil wir halt eher zum ersten Mal eine Gruppe von Mitgliedsländern haben, die sehr sehr unzufrieden sind und mit der Flüchtlingspolitik die in Berlin und Brüssel gemacht wurden in den letzten Jahren. Das ist was Neues, weil auch die Problematik was Neues ist, aber auch da würde ich mal sagen, die Kommission maßt sich nicht an, da die Lösung zu bieten, sondern da müssen sich die Mitgliedstaaten zunächst mal auf Kompromisse einigen. Und das war immer so in der Integration.
    "Die Europäische Union muss in den Augen der Bürgerinnen und Bürgern was liefern"
    Michaelsen: Kompromiss ist das eine, aber Gestaltungsmacht ist das andere und gerade die Kommission unter Jean Claude Junker ist ja angetreten als eine politische Kommission und das haben viele so verstanden, dass die Kommission politisch etwas in Europa gestalten will. Zum zentralen Akteur in der Europapolitik werden sollte. Das Versprechen lässt sich momentan nicht einlösen.
    Freudenstein: Ja in der Tat. Sagen wir, Herr Junker hat Erwartungen geweckt am Beginn seiner Amtszeit, die es jetzt sehr schwierig sein wird einzulösen, um es mal so zu sagen. Aber im Prinzip wusste er, dass er ohne die Mitgliedstaaten, und damit sind natürlich die größeren gemeint, nicht Erfolg haben kann. Und ich denke, bei allem Gerede "politische Kommission – nicht politische Kommission" die Europäische Union muss in den Augen der Bürgerinnen und Bürgern was liefern. Und es wird im Moment, in Gegensatz zu den letzten Jahren weniger auf wirtschaftlichem Gebiet passieren ,sondern auf dem Gebiet der Sicherheit. Ja, und zwar Sicherheit vor terroristischen Anschlägen, Sicherheit vor militärischen Bedrohungen – wie durch Russland – und sicherlich in den Augen vieler Bürger und Länder auch Sicherheit vor unkontrollierter Massenmigration. Ich muss da jetzt vorsichtig sein, aber das ist das Gebiet wo die Union liefern muss und das kann nicht die Kommission allein tun, das können auch nicht die einzelnen Mitgliedstaaten tun, das geht nur zusammen. Und die Mitgliedstaaten brauchen natürlich die Kommission auch dafür und das Parlament nicht zu vergessen. Also entweder schaffen das alle zusammen oder wir schaffen das nicht.
    Tendenz, sich "gegenseitig als nicht mehr wirklich europäisch zu bezeichnen"
    Michaelsen: Wäre das auch der Ansatzpunkt für ein "wir"-Gefühl, das in letzter Zeit in der Europapolitischen Diskussion verloren gegangen ist?
    Freudenstein: Ja, das "wir"-Gefühl ist auch deswegen verloren gegangen, weil wir so eine unheimliche Tendenz haben, einander gegenseitig als nicht mehr wirklich "europäisch" zu bezeichnen. Ja, und das kommt von Seiten der Leute, die die Grenzen alle zumachen wollen und die am liebsten nur noch Weiße und Christen haben in der Europäischen Union. Das kommt aber auch von Seiten derjenigen die sagen, jetzt haben wir Globalisierung, können wir unsere Grenzen überhaupt nicht mehr kontrollieren, und wir müssen uns darauf einrichten, dass wir hier massenweise und unkontrolliert Leute bei uns aufnehmen. Also beide Seiten dieser Debatte bezeichnen sich gegenseitig ja nicht mehr wirklich als Europäer. Und da steckt was Gefährliches drin, das ist beschleunigt durch diese generelle Anspannung in unserer Gesellschaft, in das Phänomen des sogenannten "Populismus", das Parteien, die eigentlich mit allem was in der Politik passiert, überhaupt nichts mehr anfangen können und vollkommen gegen alles sind. Oder auch soziale Medien die halt das Phänomen verstärken, der sogenannten "Echo-Kammer", wie man das so sagt, dass man nur Leuten zuhört, die ähnlich denken wie man selbst und man dann der Meinung ist, das ist die einzig richtige Meinung. Also das sind alle Phänomene die dazu beitragen, dass wir uns gegenseitig das Europäertum absprechen und das muss aufhören.
    Michaelsen: Können Sie vor diesem Hintergrund verstehen, dass Jean-Claude Juncker, Martin Schulz als Präsident des Europa-Parlaments halten möchte? Obwohl die Amtszeit von Martin Schulz ausläuft, obwohl Juncker sich damit gegen die eigene Partei stellt?
    Freudenstein: Also ehrlich gesagt, ich kann das nicht verstehen. Es gibt eine schriftliche Abmachung zwischen den Europäischen Volkspartei und den Sozialisten im Europäischen Parlament, dass nach der Hälfte der Amtszeit Herr Schulz geht und jemand von der EVP kommt. Und die EVP hat sehr gute Leute, sie hat noch niemanden nominiert, aber meine persönliche Lieblingskandidatin wäre Mary McGuinness aus Irland. Ich habe sie selbst erlebt wie sie Diskussionen moderiert und es wäre endlich mal nach Simone Veil wieder mal eine Frau. Und Herr Schulz hat zwei halbe Amtszeiten hinter sich. Das ist schon mehr als irgendjemand in den letzten 10 Jahren. Also ich kann diese Äußerung von Herrn Junker nicht verstehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.