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EU-Kommissionspräsident Barroso zweifelt am Sparkurs

Kein Wachstum, keine Jobs und noch immer steigen die Schulden. Sparen allein werde den Euro-Krisenländern nicht helfen, meint EU-Kommissionschef Manuel Barroso. Es fehle am nötigen Rückhalt in der Gesellschaft. Widerstand kommt aus Deutschland.

Von Jörg Münchenberg |
    Erst mit eintägiger Verspätung kamen die Reaktionen auf die Rede des EU-Kommissionspräsidenten - dafür aber umso heftiger. So nutzte Guido Westerwelle die mediale Gelegenheit beim NATO-Treffen der EU-Außenminister für eine Einschätzung, nach der die Journalisten gar nicht gefragt hatten. Doch der deutsche Außenminister wollte in Richtung Brüssel etwas klar stellen:

    "Wenn wir die Politik der Haushaltskonsolidierung aufgeben würden in Europa, wenn wir zurückfallen würden in die alte Politik des Schuldenmachens, dann zementieren wir Massenarbeitslosigkeit auf viele Jahre in Europa. Weil Wachstum kann man nicht durch neue Schulden kaufen, sondern Wachstum und Konsolidierungspolitik sind zwei Seiten derselben Medaille."

    Europa hat also eine neue Debatte über die richtigen Maßnahmen zur Bewältigung der Wirtschafts- und Schuldenkrise – eine Debatte, die schon im vergangenen Jahr Paris und Berlin geführt hatten. Jetzt aber wurde sie erneut von Manuel Barroso persönlich befeuert. Auf einer Veranstaltung gestern hatte der Kommissionspräsident die bisherige Krisenstrategie der Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik mir relativ deutlichen Worten indirekt in Frage gestellt:

    "Auch wenn diese Politik grundsätzlich richtig ist, so hat sie doch ihre Grenzen erreicht. Damit Politik erfolgreich sein kann, muss sie nicht nur richtig gestaltet sein. Sie benötigt auch ein Minimum an politischer und gesellschaftlicher Unterstützung."

    Völlig überraschend kommen diese Äußerungen freilich nicht – wie gesagt, auch auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gibt es über den richtigen Krisenkurs konträre Ansichten. Zumal die jüngsten Defizit-Zahlen der EU-Kommission weiterhin alarmierend sind: Demnach hat allein Deutschland 2012 einen Haushaltsüberschuss erzielt und nur drei der 17 Euromitgliedsländer haben die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes überhaupt erreichen können: Luxemburg, Finnland und Estland.

    In den südlichen Mitgliedsländern spitzt sich die Lage dagegen weiter zu: So liegt etwa in Spanien und Griechenland die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50 Prozent. Vor diesem Hintergrund hatte sich Barroso zu Wort gemeldet – angesichts der durchaus harschen Reaktionen mühte sich ein Kommissionssprecher heute um Schadensbegrenzung:

    "Die Behauptung, die EU-Kommission würde hier plötzlich eine Kehrtwende bei ihren politischen und wirtschaftlichen Analysen vollziehen, ist nicht richtig. Der Präsident hat nur gesagt, dass eine Politik, die nur als Spardiktat empfunden wird, dass die nicht nachhaltig ist."

    Doch die Debatte um den künftigen Krisenkurs dürfte anhalten: Im Mai soll die Entscheidung fallen, ob Spanien und Frankreich mehr Zeit bei der Einhaltung der Defizitziele erhalten. Zudem wollen die Staats- und Regierungschefs im Juni über die politische Weiterentwicklung der Union beraten. Rückendeckung bekam Barroso unterdessen von Herman van Rompuy: Neben Reformen seien auch Maßnahmen zur Schaffung von neuen Jobs notwendig, so der EU-Ratspräsident gestern Abend. Von der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament hieß es dagegen, der Kommissionspräsident stelle die Eurorettung infrage. Es dürfe aber keine Nachsicht bei der Sparpolitik geben.