Es ist eine Reise, die noch für Diskussionen sorgen dürfte: in den kommenden Wochen muss die EU entscheiden, ob sie die schmerzhaften Wirtschaftssanktionen gegen Russland verlängert. Der geplante Besuch des EU-Kommissionschefs dürfte zeitlich genau in diese Phase fallen, in der darüber hinter den Kulissen gerungen wird. Ebenfalls heikel: Seit über zwei Jahren hatten die Spitzen der EU-Institutionen wegen Moskaus Verhalten in der Ukraine-Krise von Reisen nach Russland abgesehen.
Es wäre überhaupt das erste Mal seit seinem Amtsantritt im Herbst 2014, dass Kommissionschef Juncker das Land besucht. Außenpolitik überlässt der ansonsten ohnehin gerne der in der EU dafür zuständigen Federica Mogherini.
Der "Gegenentwurf" zum Weltwirtschaftsforum
Nun hat der Luxemburger zwar nicht vor, nach Moskau selbst zu reisen. Vielmehr will Juncker am Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg teilnehmen. "Ich kann bestätigen, dass Präsident Juncker für den 16. Juni zum Internationalen Wirtschaftsforum eingeladen wurde und plant, daran teilzunehmen", so jetzt Junckers Chefsprecher.
Die Veranstaltung in Sankt Petersburg ist eine Versammlung von Politikern und Geschäftsleuten, die in der Vergangenheit des Öfteren als Präsident Putins "Gegenentwurf" zum Weltwirtschaftsforum in Davos bezeichnet wurde. Kritiker befürchten, dass der EU-Kommissionschef dem Mann im Kreml mit seinem Besuch zu einem Prestigegewinn verhelfen könnte.
Treffen mit Putin noch offen
Ob Juncker Wladimir Putin unter vier Augen sehen wird, steht nach Angaben der EU-Kommission noch nicht fest. Das Ziel des Besuchs aber schon: "Der Präsident wird die Gelegenheit nutzen, der russischen Führung und einem breiteren Publikum die EU-Sicht auf die Beziehungen zwischen beiden Seiten nahezubringen", so drückte es jetzt Junckers Chef-Sprecher Margaritis Schinas aus.
Bis Ende Juli muss die EU darüber entscheiden, ob sie die wegen der russischen Aggression in der Ukraine verhängten Wirtschaftssanktionen verlängert. Zuletzt hatten EU-Offizielle hinter den Kulissen signalisiert, dass es wohl auf eine Fortführung der Maßnahmen hinauslaufen würde. Allerdings gibt es durchaus EU-Staaten, die eine weniger harte Gangart gegenüber Moskau bevorzugen.
Abkehr von Prinzip "Ganz oder gar nicht"?
Die Strafmaßnahmen sind bislang an das im Februar 2015 ausgehandelte Waffenstillstands-Abkommen von Minsk für die Ostukraine gekoppelt: erst wenn alle Bedingungen erfüllt sind, so die offizielle Linie, werden die Sanktionen gekippt. Doch auch innerhalb der Bundesregierung wird nun offenbar über eine Milderung nachgedacht: "Wenn es zu Fortschritten bei den Minsker Vereinbarungen kommt, können wir auch über Sanktionserleichterungen sprechen", erklärte kürzlich Außenminister Steinmeier.
Setzt sich diese Haltung durch, dann wäre das die Abkehr vom alten "Ganz oder gar nicht"-Prinzip. Und der Einstieg in ein neues "Schritt für Schritt"-Prinzip: Eine schrittweise Verbesserung der Lage in der Ostukraine würde mit einem schrittweisen Abbau der Sanktionen belohnt.